Herbstgedanken


In der Westerwälder Zeitung am Samstag, 28. Oktober 2022 unter der Rubrik „Augenblick"
Herbstgedanken
Wenn an diesem Wochenende die Uhr zurückgestellt wird, dann ist der Sommer endgültig zu Ende.
Ein langer, heißer Sommer legt sich dem Herbst in die Hände, um endlich auszuruhen nach Wochen des Wärmens und Wachsenlassens… nach nicht enden wollenden Tagen und kurzen Nächten mit leichtem Schlaf.
Der Herbst ist ein anderer Typ als der Sommer: er riecht anders… er ist ein Farbenkünstler an den Bäumen und Sträuchern… er holt die letzten Früchte von den Bäumen und aus der Erde. Der Herbst trägt Pullover und tanzt mit dem Wind. Er bläst den Zugvögeln ins Gefieder und schickt sie auf ihre Reise in den Süden.
Sind Sie – liebe Leserinnen und Leser – eher Frühjahrstypen, die sich an den ersten Knopsen und wärmenden Sonnenstrahlen freuen können? Erwacht dann auch in Ihnen das Leben wieder voller Tatendrang und Lebenslust? Oder sind Sie eher der Herbsttyp, der etwas melancholisch den fallenden Blättern und den abgeernteten Feldern hinterherschaut? Wird Ihnen weh ums Herz, wenn die Rufe der Zugvögel am Himmel zu hören sind?
Alles hat seine Zeit – so sagen wir oft, und so lesen wir es auch im Alten Testament im Buch Kohelet: die Zeit des Säens und des Erntens… die Zeit des Aufwachens und die Zeit, in den Schlaf zu sinken… die Zeit inneren Jubilierens und die Zeit der Nachdenklichkeit… die Zeit vieler Begegnungen und Ge-spräche und die Zeit des Rückzugs und der Stille.
Wir Menschen sind eingewoben in den natürlich Zyklus der Jahreszeiten… sind in unserer Seele Teil der großen Schöpfungsordnung Gottes. Alles hat darin SEINE Zeit. Mir hilft das Wissen um dieses Aufgehobensein in den Rhythmus Gottes, um mich auf die andere Stimmung, die der Herbst mit sich bringt, einzulassen… mich loszulassen… mich fallen zu lassen in einen größeren und tieferen Sinn, als ich mir selber oft zusammenzimmere. Manchmal nehme ich ein buntes Blatt in die Hand und danke einfach für die gelebte und geschenkte Zeit der zu Ende gehenden Jahreszeit. Dann lege ich das Blatt behutsam auf die Erde und wünsche ihm und mir Zeit zum Ausruhen und zur Verwandlung. Ich weiß, dass Gottes Kraft all diese Wege der Wandlung mitgehen wird – auch in mir.
Mit einem kleinen Text, der mir letztes Jahr eingefallen ist, möchte ich schließen:
„Schwer klebt der Nebel an den Hügeln.
Sommermüde segeln bunte Blätter zu Boden.
Modrig atmet die Erder nach getaner Arbeit aus.
Stille ist die Musik des Waldes jetzt.
Das Knacken kleiner Äste gibt den Rhythmus vor.
In dampfenden Schwaden verschwindet jedes Wort.
Schwer ist die Luft zum Atmen,
enggeführt der Blick – auf Sicherheit bedacht.
Schlag ruhiger, mein Herz,
es beginnt die Zeit des inneren Wachsens.“
Doris Nolden
Gemeindereferentin und Geistliche Begleiterin
Katholische Kirchengemeinde Maria Himmelfahrt, Hachenburg