Gott vertraut uns die ganze Schöpfung an

Predigt zum 27. Sonntag im Jahreskreis B – Gen 2,18-24; Hebr 2,9-11 u. Mk10,2-16

„Die Ehe ist eine Zumutung“, das hörte ich bei einer Diskussion über dieses Thema. Was klingt da an? Das ist eine Zumutung, so sagt man, wenn man damit meint, dass man das, was verlangt wird, unmög­lich erfüllen kann. Also würde die Aussage: „Die Ehe ist eine Zumutung!“ bedeuten, also bitte, was alles mit der Ehe verbunden ist, das kann man doch nicht im Ernst verlangen! Es mag sein, dass da Befürchtungen mitschwingen: Kann man sich denn das Zusam­mensein für ein ganzes Leben versprechen? Wer weiß denn, wie ich und der andere sich entwickeln? Nein, so viel Bindung, damit haben manche ihre Probleme. Unabhängigkeit und Ungebundensein sind hohe Güter. Keine Frage! Tatsächlich gibt es aber auch, wie neuere Umfragen belegen, die gegenläufige Tendenz. Da sucht man für die Ehe die Bindung auf Dauer und gleichzeitig überfordert man sich im Anspruch aneinander.

Nochmal frage ich: Ist die Ehe eine Zumutung?

Was das Evangelium von heute anspricht, lenkt unseren Blick auf das Scheitern der Ehe: Zur Zeit Jesu gab es eine gängige Scheidungspraxis, die sogar im Wort der Bibel festgehalten war (vgl. Mk 10,4 u. Dtn 24,1). Bei genauerem Hinsehen war diese Scheidungspraxis allerdings einseitig: Ein Mann durfte die Frau aus der Ehe entlassen mit Brief und Siegel. Und die Gesetzeslehrer diskutierten, welche Gründe man da geltend machen durfte. In diese Ge­setzesdebatte sollte nun auch Jesus verwickelt werden.

Jesus lässt sich auf den Diskurs ein. Seine Position fordert allerdings heraus: Die Ehe ist eine Zu-mutung im Sinne des Wortes. Dem Menschen wird tatsächlich etwas zugemutet. Nicht als Belastung, sondern als ein Anvertrauen! Gott mutet zu, das heißt, er macht Mut, ermutigt, sich darauf einzulas­sen, was eheliche Partnerschaft sein kann, dabei bezieht sich Jesus auf die Worte des Schöpfungsberichtes im Buch Genesis (Gen 1,27 u. Gen 2,24). Gott legt es in die Schöpfung hinein, dass Mann und Frau zueinan­der streben und zueinander gehören, als gleichberechtigte Partner. Hier ist auch die Brücke zum Erntedankfest an diesem ersten Sonntag im Oktober. Denn Gott – und das ist der größere Zusammenhang – mutet uns Menschen ebenso die ganze Schöpfung zu. Will sagen: Er vertraut sie uns an, wie es im ersten Buch der Bibel, im Buch Genesis heißt (Gen 1,28-30): Die Schöpfung, die Natur und auch der Mitmensch und im Besonderen sind Mann und Frau einander anvertraut.

Schauen wir auf das Wort Jesu zur Ehe.

„Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“, sagt Jesus. Nicht als Moralpredigt, sondern um das Wohl der beiden willen, sagt er das. Warum? Was Gott – Gott selbst – verbunden hat, das ist so gut, ist so richtig, ist so im Lot, ist so heilig und unantastbar, dass Menschen, die daran herummachen und drehen und wenden, es kaum besser machen kön­nen. Das Geheimnis der Schöpfung ist zu wertvoll, zu einmalig, als dass der Mensch es nach Gutdünken bearbeiten und verändern könnte, ohne die Folgen zu bedenken. Gerade weil wir von Gott her Verantwortung für die ganze Schöpfung haben, ist es sinnvoll, nach dem Ansatz Gottes zu suchen, um ihn uns zum Wohl des Ganzen anzueignen. Nochmal: Jesus ordnet die Partnerschaft von Mann und Frau in die Schöpfungswirklichkeit Gottes ein.

Das ist der Kern der Aussage Jesu. Er mutet uns zu, den Blick der Liebe Gottes einzunehmen. Das bedeutet zunächst, dass wir unsere Existenz als von Gott geschaffene Wesen akzeptieren. Da sind wir doch eben auch schwach und unvernünftig. Aber bei all dem sind wir doch geliebte Partner Gottes, seine Kinder, seine Töchter und Söhne, Menschen nach seinem Abbild. Das gilt für alles in unserem Glauben: Ganz sicher muss man etwas von der gren­zenlosen Liebe Gottes erfahren oder begriffen haben, wenn man diesen Weg geht, sich auf einen anderen Menschen einzulassen, zu ringen, zu streiten, zu scheitern und sich zu versöhnen, Vergebung zu schenken und Vergebung anzunehmen.

Was das Zusammenleben in der Ehe betrifft, lässt sich ebenso mit der Verbindung des Menschen zur Natur und zur ganzen Schöpfung sagen. Zu Gottes Liebe gehört nicht nur, dass es immer gut geht. Vielmehr gehört auch dazu, dass es nach dem Fallen wieder ein Aufstehen und Aufheben gibt. Gott hebt uns wieder auf. Das Buch Genesis erzählt davon, dass Gott nach dem Sündenfall selbst Hand anlegte und für Adam und Eva Kleider anfertigte und sie damit bekleidete (vgl. Gen 3,21). Menschliche Liebe ist immer unvollkommen. Gottes Zuwendung und Liebe ist vollkommen. „Gott selbst vollende das gute Werk, das er in euch begonnen hat“, heißt es in einem Segensgebet. Nicht ich voll­ende, nicht ich perfektioniere – auch nicht wir! –, sondern ich lebe aus dem Geschenk der Liebe. Ich lebe aus dem Geschenk der Liebe des anderen und aus dem Geschenk der Liebe Gottes, aus seiner Gnade, aus seiner Barmherzigkeit. Wer das übersieht, dem muss die Ehe und das ganze Christentum mit seinen Ansprüchen immer zu viel Zumutung sein. Gottes Weg mit uns Menschen ist immer der Weg der Barmherzigkeit. Barmherzigkeit kann es allerdings ohne Wahrhaftigkeit nicht geben, sonst wäre sie eine Lüge. Der Blickwinkel und die Perspektive verändern sich. Mit Gott sollen wir auf die Schöpfung, die Natur, das Zusammenleben der Menschen, die Ehe schauen.

Am Ende des heutigen Evangeliums sind deshalb auch Kinder im Blick. Sie sind Symbol für die menschliche Schwachheit und für das Angewiesensein auf Liebe und Sorge und sie darf man nie übersehen. Kinder können nur leben und überleben, wenn sie konkrete Liebe erfahren. In diesem Sinne sind wir alle Kinder, Kinder Gottes. Wir brauchen das Angenommensein. Gott nimmt uns an. Immer und immer wieder... Und das kann uns Mut machen, dass auch wir einander und die uns anvertraute kleine und große Welt  und auch die Mitmenschen in Liebe annehmen.

So mutet uns Gott seine Liebe zu, auf dass wir sie zu unserer machen.

Deshalb ist er in Jesus Mensch geworden, damit wir in Jesus die göttliche Liebe annehmen. Wann werden wir es endlich begreifen?

Ich wünsche offene Ohren und Herzen und bleibt behütet! 

Ihr P. Guido