Gott macht sich klein, um uns groß zu machen.
Predigt zum Fest Christkönig – B – Dan 7,2a.13b-14; Offb 1,5b-8 und Joh 18,33b-37
Der russische Schriftsteller Leo N. Tolstoi (1828-1910) hat die uralte Frage des Menschen nach Gott in einer Geschichte erzählt. Ich möchte sie nacherzählen:
Da gab es einen Herrscher, der viel erlebt hatte. Nun wollte er unbedingt auch Gott sehen. Und weil er ein absoluter Herrscher war, so befahl er seinen Priestern und Weisen, ihm innerhalb einer bestimmten Frist diesen Wunsch zu erfüllen. Natürlich konnte das keiner. Und schon war man traurig über die Strafen, die der König aussprechen würde. Da kam ein Hirte vom Felde, der von des Königs Befehl gehört hatte, und sagte: „Erlaube mir, König, deinen Wunsch zu erfüllen!“ - „Gut“, entgegnete der König, „aber bedenke, es geht um deinen Kopf.“ Der Hirte führte den König auf einen freien Platz und zeigte ihm die Sonne. „Sieh hin“, sagte er. Der König hob seine Augen und wollte die Sonne sehen. Aber der Glanz blendete ihn, und er senkte den Kopf und schloss die Augen. „Willst du, dass ich erblinde?“ sagte er zu dem Hirten. „Aber, König, das ist doch nur ein Ding der Schöpfung, ein schwacher Abglanz der Größe Gottes, ein kleines Fünkchen eines flammenden Feuers. Wie willst du mit deinen schwachen, tränenden Augen Gott sehen? Suche ihn mit anderen Augen!“ Der Einfall gefiel dem König. Er sagte zu dem Hirten: „Ich erkenne deinen Geist und sehe die Größe deiner Seele. Antworte nun: „Was war vor Gott?“ Nach einigem Nachdenken sagte der Hirte: „Sei nicht zornig wegen meiner Bitte, König, aber zähle!“ Der König begann: „Eins, zwei ...“ - „Nein“, unterbrach ihn der Hirte, „nicht so, fange mit dem an, was vor eins kommt!“ - „Wie kann ich denn? Vor eins gibt es doch nichts.“ - „Sehr weise gesprochen, Herr! Auch vor Gott gibt es nichts.“ Diese Antwort gefiel dem König noch besser als die vorhergehende. „Ich werde dich reich beschenken; vorher aber antworte noch auf die dritte Frage: „Was macht Gott?“ Der Hirte sah, dass des Königs Herz weich geworden war. „Gut“, sagte er, „auch darauf will ich dir antworten. Nur um eines bitte ich dich: Lass uns die Kleider für eine kurze Zeit tauschen.“ Und sie tauschten die Kleider. Und der Hirte sagte: „Das macht Gott: Er stieg vom Thron seiner Erhabenheit und wird einer von uns. Er gibt uns, was er hat, und nimmt das an, was wir haben und sind!“ Lange stand der König da und dachte nach. Plötzlich erkannte er und voller Freude brach es aus ihm heraus: „Jetzt sehe ich Gott!" So endet die Geschichte von Leo Tolstoi. (Leo N. Tolstoi, Der König, der Gott sehen wollte, Fundstelle: Internet)
Es sind große Fragen, die diesen König beschäftigen, ja beunruhigen. Denn die Frage nach Gott ist keine Angelegenheit, über die man so oder anders entscheiden kann. Sie ist keine Frage allein für Fachleute, also nur für Philosophen oder Theologen. Es ist eine entscheidende Frage des Menschseins. Denn diese Frage bestimmt den Ort und die Position, von wo her ich mich als Mensch definiere. Bleibe ich als Mensch allein im Horizont des Universums oder sehe ich mich als Teil einer zu vollendenden Schöpfung. Gibt es ein DU, mit dem ich eine Verbindung aufbauen kann oder bin ich auf mich zurückgeworfen. Es geht also um alles oder nichts: Gibt es Gott überhaupt? Gibt es Beweise? Wie kann man sich Gott vorstellen? Im Grunde ist es äußerst bedauerlich, dass gerade in unseren Tagen viele sich dieser Frage gegenüber gleichgültig verhalten. Zumindest sieht es so aus! Deshalb, ganz persönlich gefragt: Suche ich überhaupt nach ihm? Und was heißt es, was macht es mit mir, was bedeutet es, nach Gott zu suchen?
Natürlich ist es nur folgerichtig, dann auch, wie der König in der kleinen Geschichte Tolstois, zu fragen: Was macht Gott? Gibt es eine Verbindung zwischen Gott und uns Menschen? Es sind Fragen, die weit über uns selbst und die Welt hinausweisen. Es ist gut, dass der König anfängt, Fragen zu stellen, dass er unruhig, neugierig und offen ist. Ja, das ist doch wirklich eine gute Frage: „Was macht Gott eigentlich?" Verschiedenes fällt einem dazu, je nach Perspektive, ein: Gott thront im Himmel; er ist also weit weg; er beschützt uns; er herrscht über die Erde; er schaut nur auf die Erde herunter, greift aber nicht ein ... aber, ist er wirklich Gott, wenn da so viel Unrecht geschieht, und Krieg und Hass und Terror? Ist es nicht unglaublich, dass er es zulässt, wenn Despoten und Diktatoren und menschenverachtende Ideologien Gott einfach für sich beanspruchen? Wie ist das mit den Katastrophen? Mit Krankheiten? Vielleicht existiert er ja doch nicht? Vielleicht bilden wir ihn uns nur ein? So oder so ähnlich sind nur einige Mutmaßungen und Vorstellungen von Gott und seinem Wirken.
Was sehen wir im Blick auf Gott? Was sieht der König? Mit anderen, mit gläubigen Augen sieht er besser: So wie er gerade vom Thron herabgestiegen ist, so steigt Gott selbst herab von seinem Thron, legt alle seine Macht ab. Gott schlüpft in unsere Kleider, ja er schlüpft in unsere Haut, so nahe kommt er uns. Er macht sich klein, arm und schutzbedürftig. In Jesus hat er es getan. Doch warum tut er das? Weil er mit uns zu tun haben möchte, weil er sich für uns interessiert, weil wir ihm wichtig sind, weil sein Ziel Gemeinschaft ist und Beziehung der Liebe. Weil er nicht einfach über uns bestimmen will. Und das macht uns groß, erhebt uns, gibt uns Ansehen und Würde, wie sie ein König hat. Gott macht sich klein, um uns groß zu machen. Vom kürzlich verstorbenen Bischof Franz Kamphaus stammt das Wort: „Mach es wie Gott: Werde Mensch!“ In Jesus geschah und geschieht das alles. Und noch mehr. In ihm geht er in den Tod, um durch ihn hindurch die Fülle des Lebens allen zu schenken, die den Weg Jesu gehen.
Gebe Gott, dass wir Augen haben, um zu sehen, Ohren, um sein Wort zu hören und Herzen, seine Liebe zu begreifen.
Seien Sie gesegnet und behütet!
Ihr P. Guido