Predigt zum 7. Sonntag im Jahreskreis – C – 1 Kor 15,45-49 und Lk 6,27-38
Jesus verlangt viel, so kommt es uns vor, wenn wir die heutigen Weisungen in der sogenannten „Feldrede“ des Evangelisten Lukas hören. Ist das nicht eine Überforderung? Sind die Worte des Evangeliums nicht unzumutbare Verhaltensregeln?
Schauen wir hin! Schon im Alten Testament gibt zum Beispiel der alte Tobit seinem Sohn Tobias folgende Regel mit auf den Weg: „Was dir selbst verhasst ist, das mute auch einem anderen nicht zu“ (Tob 4,15)!Und der jüdische Schriftgelehrte Hillel, er war ein Zeitgenosse Jesu, sagt es ähnlich: „Was dir unlieb ist, tu nicht deinem Nächsten; das ist das ganze Gesetz, alles andere ist Erläuterung.“ Auch in der griechischen Weisheitslehre war diese Regel bekannt. Die philosophische Richtung der Stoa hat sie mit Worten ausgedrückt, die zu dem uns sicher bekannten Sprichwort geworden sind: „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu!“ Der Mensch trägt also das Maß seines Verhaltens zum Mitmenschen stets mit sich. Das eigeneVerlangen und Bedürfnis, von anderen nicht geschädigt oder beeinträchtigt zu werden, lehrt ihn, was er selbst anderen gegenüber zu tun hat, oder zutreffender: nichtzu tun hat.
Jesus aber fasst diese Goldene Regel, wie sie auch genannt wird, neu: „…wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut auch ihnen!“ (Lk 6,31).Jesus weitet diese Regel aus, indem er deutlich macht: Es geht nicht darum, nichts Böses zuzufügen, sondern von vornherein das Gute zu tun, und zwar alles Gute, das wir uns selbst wünschen. Das heißt: Unsere Selbstliebe wird zum Maßstab unserer Nächstenliebe. Das „Prinzip der Gegenseitigkeit“ („wie du mir so ich dir“) wird überwunden und ganz neu definiert, wenn Jesus sagt: „Wenn ihr die liebt, die euch lieben, welchen Dank erwartet ihr dafür? Denn auch die Sünder lieben die, von denen sie geliebt werden“ (Lk 6,32). Und es wird noch einmal gesteigert in den Worten: „Doch ihr sollt eure Feinde lieben und Gutes tun und leihen, wo ihr nichts zurückerhoffen könnt“ (Lk 6,35).
Hier scheint die eigentliche Zumutung, das Überfordernde der ethischen Weisung Jesu zu liegen, ganz abgesehen davon, ob wir überhaupt persönliche Feinde haben. Wenn wir keine Feinde haben, sind wir aber nicht gut raus, denn schlimmer noch als der gelegentliche Groll gegenüber jemandem ist die schreckliche Gleichgültigkeit, mit der wir einander oft genug begegnen. Sie ist schlimmer als Feindschaft, sie ist tödlich wie Eis. Und das ist es, was als Veränderungsansatz in den Worten Jesu steckt: Jesus macht nach den Worten des Evangelisten neu auf die Grundlagen menschlicher Gemeinschaft aufmerksam. Durch unsere gemeinsame Herkunft von der Erde (vgl. Gen 2,7) sind wir miteinander verbunden und aufeinander angewiesen. In der Schöpfungsgeschichte des Buches Genesis schon fragt Gott Kain nach seinem Bruder Abel. Wir kennen die Antwort: Kain weist die Verantwortung, die er für seinen Bruder hat, weit von sich (vgl. Gen 4,3-16). Das ist die Ursache seiner Schuld! Gott hat uns aber wirklich dazu bestimmt, und das, seit es Menschen gibt, einander zu behüten, zu schützen, zu hegen und zu pflegen. Einer soll für den anderen Hoffnung, Kraft und Zuversicht werden. Das ist die eigentliche Herausforderung. Das Ziel ist die neue Ordnung des Miteinander im Reich Gottes.
Genau das ist es auch, was Jesus in den Weisungen der „Feldrede“ des Lukas wie auch in der „Bergpredigt“ des Matthäus (vgl. Mt 5 - 7) in ungewöhnlichen, so vorher nie gehörten Sprachspielen unterstreichen will. Es ist schöpferische, kreative Rede und kommt nicht in einer nüchternen und wenig motivierenden Sprache juristischer und moralisierender Bestimmungen einher. Da geht es nicht um trockene Gesetzeserfüllung! Die Worte Jesu wollen auf dem Hintergrund der Zuwendung und Liebe von Gott her zur konkreten Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten und zur Gewissenserforschung der ureigenen Absichten auffordern. Und das eben im Spiegel der auf Gottes Reich verweisenden neuen Goldenen Regel: „Wie ihr wollt, dass die Menschen euch tun sollen, das tut auch ihnen!“ So ist die Botschaft Jesu keine „Drohbotschaft“, sondern in die Freiheit des eigenen Handelns führende „Frohbotschaft“, denn sie zeigt hin auf die neue menschliche Gemeinschaft, die Gott, beginnend in und mit seinem Sohn Jesus mit den Menschen zusammen aufbauen will. Jesu Worte sind keine Zumutung, sondern Heilsbotschaft, die den Menschen von Angst und vom Leistungsdruck - auch dem religiös moralischen - befreien sollen. Die besten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für dieses Vorhaben sind jene, die in Kenntnis und Bewusstsein der eigenen Schwachheit und Armseligkeit durch die Gnade Gottes und den Heiligen Geist sich befreien und stärken lassen, um am Reich Gottes mitzubauen.
Wieder einmal wird hier auch etwas typisch lukanisches greifbar: Gott liebt den Menschen nicht wegen eigener Vorleistungen, und er liebt den Frommen nicht mehr als den Sünder. Das mag uns nicht passen, wie es ja auch die Frommen damals gestört und empört hat. Aber Jesus verkündet Gottes Liebe zu allen Menschen und besonders zu den Schwachen, zu den Armen und Sündern. Auf sie setzt er besonders. Denn sie wissen, was not tut. -
So gesehen ist unser heutiges Evangelium mehr als eine Goldene Regel. Es ist auch viel mehr als ein Katalog von extremen und kaum erfüllbaren Forderungen. Was Lukas uns weitergibt, ist vor allem Frohe Botschaft: Gott kommt uns - gleichgültig, ob wir sie „verdienen“ - mit seiner Liebe zuvor. „Denn auch er (Gott)“,sagt Jesus, „ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen“ (Lk 6,35).Aus diesem riesigen Vorschuss an zuvorkommender Liebe sollte dann für uns wie selbstverständlich folgen, auch wenn es uns gar nicht selbstverständlich vorkommt und manchmal, wie wir aus Erfahrung wissen, sehr schwerfallen kann: „Seid barmherzig, wie es auch euer himmlischer Vater ist! Richtet nicht! – Verurteilt nicht! – Erlasst einander die Schuld! Seid freigiebig!“ (vgl. Lk 6,36-38). So entsteht von Gott her neues Leben!
Seid in Gottes Liebe gesegnet und behütet! Ihr P. Guido