Es scheint ratsam, über die Bedeutung des Sonntags in unserer Zeit nachzudenken

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Predigt zum 9. Sonntag im Jahreskreis – B – Dtn 5,12-15; 2 Kor 4,6-11 u. Mk 2,23 – 3,6

Nicht jeder Gottesglaube entspricht der Würde des Menschen. Gerade haben wir gehört, wie die Pharisäer zusammen mit den Anhängern des Herodes den Beschluss fassen, Jesus umzubringen. Bei der Auseinandersetzung um das Sabbatgebot, von der Markus berichtet, geht es im Grunde um einen todernsten Streit über das rechte Gottesverständnis. Es gibt eine Frömmigkeit, die Gott und seinen Willen missversteht, eine Frömmigkeit, die am Menschen vorbeigeht. Das ist im Grunde unmöglich, denn der Gottesglaube Israels und damit auch unser christlicher Glaube an Gott hat immer eine religiöse und soziale Komponente. Warum?

Im Buch Deuteronomium lesen wir, worin die Sabbat-Weisung ihre Wurzel hat (vgl. Dtn 5,12-15, heutige Lesung). JHWH – Gott hat die Not seines Volkes in der ägyptischen Knechtschaft gesehen und es mit starker Hand in die Freiheit geführt. Im Gedenken daran wird es am siebten Tag keine Arbeit tun. Nun, Arbeit schenkt Erfüllung, ist aber auch Mühsal und Last. Am siebten Tag nun soll die von Gott geschenkte Freiheit gelten, und zwar für alle, auch für Sklave und Sklavin, für die Fremden, die in Israel Wohnrecht haben, sogar für die Tiere. Die Weisung der Sabbatruhe soll die Erinnerung an das befreiende Handeln Gottes lebendig halten und zählt zu den größten sozialen Errungenschaften überhaupt.

Im Laufe der Zeit bis zur Zeit Jesu hin, hat sich der Sinn der Sabbat-Weisung in der religiösen Praxis ins Gegenteil verkehrt. Sie ist zu einem Instrument religiöser Kontrolle geworden. Damit aber verliert sie ihren ursprünglichen Sinn. Gott wird zur Autorität schlechthin, der man sich bedingungslos zu beugen hat. Seine lebensfreundlichen Weisungen werden zur knechtenden Last. Das klingt im ersten Teil unseres Evangeliums an. Jesu Wort „Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat“ (Mk 2,27) öffnet den Blick auf Gottes Willen neu.

Diese Sichtweise wird im Folgenden verdichtet. Es beginnt damit, dass Jesus am Sabbat in der Synagoge, also im gottesdienstlichen Raum, zu einem, dessen Hand verdorrt war, sagt: „Steh auf und stell dich in die Mitte!“ (Mk 3,3). Der Behinderte steht also am Rand. Durch seine Behinderung gehört er nicht so recht dazu. Sein Ansehen ist beschädigt. Diesen Menschen hat Gott im Blick, als Jesus fragt, ob es denn nun am Sabbat erlaubt sei, Gutes zu tun oder Böses, ein Leben zu retten oder es zu vernichten (vgl. Mk 3,4). Die Umstehenden schweigen. Jesus möchte in ihren Gesichtern lesen, ob die Not dieses Mannes sie betrifft. Er sucht nach Erbarmen, findet aber keines. Zorn und Trauer Jesu über ihr verstocktes Herz ist Gottes Zorn und Trauer. Auch im Anblick eines Menschen in seiner Not bleiben sie aus falsch verstandener Gesetzesweisung verschlossen und unerreichbar.

Ja, Jesus wird kontrolliert, ob er das Sabbat-Gebot auch einhält. Nichts anderes zählt für seine Gegner. Für Jesus aber zählt dieser Mensch: Er heilt ihn. Das ist Gottes Botschaft. Die Reaktion der anderen ist nicht wie sonst bei Heilungen ein großes Staunen. Die religiösen Kontrolleure sehen sich in Frage gestellt und antworten mit tödlichem Hass.

Wer, so müssen auch wir fragen, gehört in die Mitte, ins Zentrum gläubigen Lebens, Gott oder der Mensch? Diese Frage ist im Grunde absurd. Denn Gott selbst ist es doch, der den Menschen in die Mitte ruft, und zwar gerade den, der – warum auch immer – am Rande steht. Wo Gott die Mitte ist, - dafür steht der Gottesdienstraum, die Synagoge - steht auch der Mensch in der Mitte. Dafür steht Jesus ein. Die Ehre Gottes und das Glück des Menschen stellen für ihn keine Gegensätze dar; sie gehören untrennbar zusammen. Denn die Ehre Gottes ist der heil gewordene Mensch, und der wiederum findet erst zum vollen Leben, wenn er Gott die Ehre gibt. So hat es auch der Hl. Irenäus von Lyon (+ um 200) formuliert: „Die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch und das Leben des Menschen ist die Ehre Gottes!“ Die Sabbatruhe und in der Folge auch das christliche Sonntagsgebot verweisen so auf Gott, dem die Befreiung von unmenschlichen Zwängen und Bedrückungen wichtig ist.

In diesem Zusammenhang scheint es für uns ratsam, auch über die Bedeutung des Sonntags in unserer Zeit nachzudenken.

Der christliche Sonntag ist ein Tag, an dem wir Gott die Ehre geben und Eucharistie feiern, also Dank sagen. Er ist aber zugleich ein Tag, an dem Gott uns die Ehre gibt. Gottesdienst heißt immer beides: Dienst an Gott und Gottes Dienst an uns. Gott in unserer Mitte ruft jene in unsere Mitte, um die er sich sorgt. Darum gehören Gottesdienst und Zuwendung zu denen, die uns brauchen, unbedingt zusammen. Die lebendige Erinnerung an den Tod und die Auferstehung Jesu in der Eucharistie und die Weitergabe dieser Erinnerung im praktischen Liebesdienst an die Menschen und in der Gesellschaft sind nicht zu trennen. Sie sind Verehrung und Verkündigung der Menschenfreundlichkeit und Liebe Gottes. Die Sonntagsruhe als Freiraum von Lasten verbunden mit dem Gottesdienst ist aus christlicher Sicht entscheidend für diese Erinnerung. Sie darf nicht wirtschaftlichen Überlegungen geopfert werden und hat nicht nur Erholungswert in der alltäglichen Arbeitsbelastung. Der Sonntag heißt für uns Tag des Herrn, weil er einen Freiraum schaffen möchte, der uns zum einen Gottesbegegnung und zum anderen die Begegnung mit den Mitmenschen und der Welt in Freiheit ermöglichen will. Dabei korrigiert die geistliche Dimension der Erinnerung an Gottes Wirken und seine Verehrung unser menschliches Machbarkeitsbestreben, das alles nur uns selbst und dem eigenen Vermögen zuschreibt. So hilft uns der Sonntag über den Horizont des bloß Materiellen hinauszublicken und das ganze Leben im Licht der Liebe Gottes und seines guten Willens für uns Menschen zu sehen und anzunehmen. Und wir ahnen etwas von der Freiheit und Liebe Gottes, die er uns schenkt. Daran erinnert mich ein Gedicht von Andreas Knapp:

Beim Zählen der Sterne lachend immer wieder von vorn beginnen

In der Zeitvergessenheit der Brandung Atem schöpfen

Den Zugvögeln einfach nur zuschauen wenn sie weiterziehen

Den Duft der Rosen

ungepflückt

verschweben lassen

Lauschen auf die Stille

nach dem Wort 

(Andreas Knapp in: „Wer alles gibt, hat die Hände frei“, München 2021)

Seien Sie gesegnet und in Gottes Liebe behütet!                                       Ihr P. Guido

Die liturgischen Texte des Tages