Eine Frau, die nicht hoch hinaus will, aber dennoch ganz oben ankommt


Predigt zum Hochfest Maria Himmelfahrt – 1Kor 15,20-27a und Lk 1,39-56
Das kennen wir. Sportler wollen hoch hinaus: Höher, weiter, schneller.
Doch trotz aller Anstrengungen und körperlicher und psychischer Vorbereitungen hängt der Erfolg am Ende von vielen Unwägbarkeiten ab: von Glück oder Pech, von der Tagesform, dem Rückenwind, den Bewertungen der Punktrichter, von dem, was man Zufall oder Schicksal oder Vorsehung nennen mag, vom Geschenk der Stunde, von einer Kraft, die einem unerklärlich zuwächst…
An Maria Himmelfahrt feiert die Kirche etwas ganz Besonderes: Maria ist mit Leib und Seele angekommen. Maria, eine Frau, die nicht hoch hinaus will, aber dennoch ganz oben ankommt. Dorthin, wohin auch wir wollen. Ganz zu Gott, in die Gemeinschaft des Himmels.
Man möchte fragen: Ist sie die, die als Erste einen Weltrekord in Frömmigkeit und Glaubensenergie aufstellt? Erklimmt sie als Erste mit Leib und Seele den Gipfel Gottes? Ähnelt ihr Fest einer Siegerehrung und Krönung? Manchmal wird sie so dargestellt, geehrt mit einer goldenen Krone. Aber ist es das, was sie erstrebt? Ist das ihre Zielperspektive? Ist sie die große unerreichbare Eine, deren persönliche Bestleistung heute mit dem Himmel belohnt wird? Wer ist diese Frau, die nicht um die Goldmedaille kämpft und doch den Siegespreis, den Himmel geschenkt bekommt? Der geschenkte Himmel! Der ist auf den alten Ikonen vergoldet als Hintergrund dargestellt. Ihr, der demütigen Magd, wird der Himmel geschenkt.
Tatsächlich feiern wir nicht das Fest einer einsamen Heldin Maria – was ihr geschenkt wird, kommt auf uns zu. So ist dieses Hochfest der Gottesmutter eine Perspektive für unseren Weg des Glaubens.
Wir kennen manche Mariendarstellungen – die Pieta zum Beispiel, Maria mit ihrem toten Sohn auf dem Schoß. Ich habe die Schmerzensmutter von Marienstatt vor Augen. Sieht diese Frau aus wie eine strahlende Siegerin? Auch wenn man es nicht sieht und es auch nirgendwo so beschrieben überliefert wird: Sie ist auf dem Golgotahügel unter dem Kreuz mit ihrem toten Sohn. Dort ist ihr Tiefpunkt und dort ist paradoxerweise der Höhepunkt ihres Weges. Und wir dürfen begreifen: Sie gehört zu denen, die von den Siegern der Welt weit hinter sich gelassen wurden, auf der Strecke geblieben, ausgeschieden. Sie zählt zu den Verlierern. Siegertypen und Helden sind keine gekreuzigten Verlierer. Dennoch: Die Frau, die am Karfreitag ihren Sohn verliert, gewinnt den Himmel.
Gerade die Darstellung der Schmerzensmutter, die Pieta, sagt mir: Der Sieg, der Himmel kann nicht aus eigener Kraft erkämpft werden. Der Sieg geht durch das Kreuz des Gottes- und Menschensohnes und das heißt: Das österliche Heil wird geschenkt. So erst sehen wir die Frau aus Nazareth richtig. Maria will nicht allein siegen. Je mehr wir zu punkten meinen und machen und schaffen, desto ferner rückt uns der Himmel, der nur als Geschenk zu haben ist! Als Geschenk der Hingabe: Bei Maria als Geschenk der mütterlichen Liebe, des Schmerzes und der unendlichen Liebe Gottes.
Doch – und das hat Maria auch mit Sportlern gemeinsam – ihr Leben war zielgerichtet, konzentriert, ohne Halbheiten und faule Kompromisse. Sie lief nicht mit jemandem um die Wette. Sie lebte das „Dabei sein“, dabei sein, wenn es geschieht, immer mit ihrem Sohn, hellhörig, ohne sich nach vorne zu drängen, und dann betend und wartend mit den Aposteln, den Freunden Jesu, ohne Gott die Wege vorzuschreiben, ohne Ambitionen auf Titel und glaubend und vertrauend ergeben. Darum ist ihr höchstes Fest ein Fest gegen die tödliche Gefahr, dass wir uns selbst überfordern. Maria ist keine Aufsteigerin, sondern wird als Dienerin und Magd, so umschreibt sie das Magnificat des Evangelisten Lukas, einfach mitgenommen. Und doch sagt sie: Es lohnt sich zu kämpfen, zu laufen. Sie hat sich Gott mit Leib und Seele geöffnet. Maria ist nicht Konkurrentin, die sich von anderen absetzt, um nach oben zu kommen. Sie widersetzt sich dem Drang nach oben, nach Selbsterhöhung. Eher reicht sie uns, wie im Staffellauf, die Stafette weiter. Sie sorgt sich, wenn ich, wenn wir nicht mitkommen. Sie will nicht, dass wir auf der Strecke des Lebensweges, auf dem Weg zu Gott, hängen bleiben und ausscheiden. Wie ihrem Sohn bleibt sie auch uns mütterlich zugewandt.
Maria will, dass alle das Ziel erreichen, jeder und jede, auch die, die nicht rennen, sondern bleiben und helfen und an der Stelle aushalten, wo sie gebraucht werden. Wer dies tut, wird an seine Grenzen geführt und darüber hinaus, der wird nicht ins Buch der Rekorde kommen, sondern ins Buch des Lebens. Da kann man am eigenen Leib erfahren, dass Gott uns mit Haut und Haaren, mit Leib und Seele liebt. Dafür steht diese Frau ein, Maria, die heute von Gott den Himmel geschenkt bekommt, den Himmel, der viel mehr ist als eine Goldmedaille.
So ist die Gottesmutter uns Vorbild im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe. In einem Marienlied unserer Tage, es findet sich im Limburger Diözesananhang (GL 885 – Text von H. Schlegel, 2009) heißt es:
- Glauben können wie du: Das Leben bejahen, wie Gott es mir gab, und hören mit fröhlichem Herzen sein Wort und singen mit dir: „Großes hat er getan.“ So will ich glauben, Maria.
- Hoffen können wie du: Den Frieden bereiten; das Mögliche tun und Jesus vertrauen, dem Freund, der mich kennt, und folgen dem Wort: „Was er euch sagt, das tut!“ So will ich hoffen, Maria.
- Lieben können wie du: Berühren mich lassen von Freude und Schmerz und sehen den Schöpfer in jedem Geschöpf und sagen wie du: „Mir geschehe dein Wort.“ So will ich lieben, Maria.
Seien Sie gesegnet und behütet und der Gottesmutter anvertraut. Ihr P. Guido
