Ein Schluck Wasser
Predigt zum 13. Sonntag im Jahreskreis (A) – 2 Kön 4,8 – 11.14 – 16a und Mt 10,37 – 42
Vom Propheten Elischa ist in der ersten Lesung dieses Sonntags die Rede. Er lebte in der zweiten Hälfte des neunten vorchristlichen Jahrhunderts. Von Elija berufen, wird er zunächst dessen Diener und Prophetenjünger. Der überlieferte und weithin legendäre Erzählkranz über sein Wunderwirken (vgl. z.B. 2 Kön 4,1 – 6,7), in dem auch die Erzählung von der Schunemiterin noch eine wunderbare Fortsetzung findet, will ihn als großen Wohltäter charakterisieren.
Er war sicher nicht irgendwer. Und so hat die vornehme und wohl auch wohlhabende Frau aus Schunem an Elischa etwas entdeckt, etwas, das ihr wichtig geworden ist, etwas, das ihr all ihr Reichtum nicht geben konnte. Zunächst bittet sie ihn dringend, bei ihr zu essen. Und, so heißt es dann weiter, kehrte er seither zum Essen bei ihr ein, so oft er vorbeikam (vgl. 2 Kön 4,8).
Zu ihrem Ehemann sagt sie: „Ich weiß, dass dieser Mann, der ständig bei uns vorbeikommt und einkehrt, ein heiliger Gottesmann ist“ (2 Kön 4,9). Wie auch immer – sie war überzeugt: Wenn Elischa vorbeikommt und einkehrt, dass ist es so, als käme Gott vorbei und kehrte bei ihr ein.
Es ist bedeutsam, wie da erzählt wird, dass es gerade eine Frau ist, die diesen Zusammenhang entdeckt. Ihr Mann bleibt im Hintergrund. Vielleicht, weil er mit seinen Geschäften genug zu tun hat? Er ist alt, heißt es später von ihm. So sagt es der Diener des Propheten namens Gehasi. Doch dieser Umstand gehört zum Erzählschema biblischer Geburtsankündigungen. Aber ich greife vor. Sicher lässt der Alte auf Anregung seiner Frau das Obergemach des Hauses ausmauern. Und von da an gibt es in dem Haus noch ein Zimmer, das für den Gottesmann immer offensteht – wir vermuten richtig – so etwas wie ein Gästezimmer für Gott.
Schauen wir auf das, was gewöhnlich übersehen wird: Der kleine Raum wird hinsichtlich seines Mobiliars genau beschrieben: ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl und ein Leuchter. Hierher kann sich der Prophet zurückziehen, sich ausruhen, beten und lesen. Solche Räume der Erholung und der Stille, in die man sich zurückziehen kann, sind wie ein Geschenk, wir wissen es.
Dahinter steckt noch mehr: Das kleine bescheidene Zimmer scheint der wohlhabenden Frau ihren Reichtum sinnvoll gemacht zu haben. Jetzt gibt es in ihrer vornehmen Welt einen kleinen, geordneten und überschaubaren Raum, der für Gott offensteht: mit einem Bett, einem Tisch, einem Stuhl und einem Leuchter. Da wird so etwas wie die heile Welt Gottes sichtbar, besonders dann, wenn Elischa zu Besuch kommt.
Genau hier ist die Brücke zum heutigen Evangelium. Die heile Welt Gottes kann auch in einer kleinen Geste der Hilfsbereitschaft sichtbar werden. Das ist es, was Jesus seinen Jüngern gegenüber anspricht. Gleichzeitig wird hier die Gestalt der Glaubensverkündigung in der jungen Kirche deutlich. Gerhard Lohfink hat das in seinem Buch „Wie hat Jesus Gemeinde gewollt“ (Kath. Bibelwerk, Stuttgart, akt. Neuausgabe 2015) sehr treffend herausgearbeitet. Wir haben uns die Jünger als Wanderprediger vorzustellen, die Gottes Herrschaft und Reich verkündigen. Wenn man so will, eine Kirche unterwegs – Volk Gottes unterwegs –, zumindest ist das eine Gestalt der damaligen Gemeinde. Sie sind auf die Hilfe sesshafter Menschen angewiesen. Wer solch einem durstigen Jünger, „einem von diesen Kleinen“ (Mt 10,42) auch nur einen Becher frischen Wassers zu trinken gibt, der reicht diesen Trunk ihm selbst. Wer den Boten aufnimmt, nimmt mit dieser Geste der Hilfsbereitschaft Jesus selbst in sein Leben auf, so als bewirte er IHN selbst. Der Becher Wasser ist eine offene Stelle, ein offener Raum für Gott!
Noch einmal zu Elischa: Bedeutet das, was bisher bedacht wurde, dass wir Christen heute unser Zuhause umbauen müssten und ein Zimmer mit Bett, Tisch, Stuhl und Leuchter herrichten sollen? So völlig falsch ist das nicht. Wir müssten auch fragen: Was ist für dich und mich der Becher Wasser?
Wir sind schon angefragt, wo wir in unserem Leben Raum für Gott offenlassen. Nicht nur jeder einzelne, unsere ganze Gesellschaft ist gefragt, ob sie solche „Gästezimmer“, also Räume für den Glauben offenlässt, damit wir und sie nicht durch die absolute Orientierung am Diesseitigen und Vergänglichen von innen heraus bedroht werden. Wie die Frau in der Elischa-Geschichte vielleicht von ihrem Reichtum bedroht wurde. Genau das beschreibt die Qualität der sogenannten Systemrelevanz des Glaubens und der Kirchen überhaupt und auch in Krisenzeiten, wie derzeit! Es muss offene, nicht verzweckte und besondere Räume in unserer Welt geben, die dem Glauben und damit Gott vorbehalten sind. Also Anders-Räume in der Welt, Heils-Räume, geheiligte Räume.
Bei der Elischa-Erzählung geht es fast märchenhaft weiter. Aber nicht weniger bedeutsam. Der Gottesmann weiß sein Gästezimmer zu schätzen: mit Bett, Tisch, Stuhl und Leuchter. Dafür will er sich bedanken. Von seinem Diener Gehasi hat er gehört, dass die Frau keine Kinder hat. Ihr Mann ist alt. Er lässt die Vornehme zu sich rufen. Sie betritt das Gästezimmer nicht. Sie bleibt in der Türe stehen. Dort hört sie von Elischa, dass sie den ersehnten Sohn bekommen wird. Sagen wir es deutlich: Das Leben der vornehmen reichen Frau mit dem alten Mann wird plötzlich fruchtbar. Darum geht es.
Auch unser Leben wird fruchtbar, wenn wir einander Raum geben, weil wir so Gott Raum geben. Menschliche Gemeinschaft, die Gesellschaft, kann viel Gutes tun, fruchtbar werden und ihren eigentlichen Sinn finden, wenn sie den Raum offen hält für den Glauben, für die Kirchen und andere Religionsgemeinschaften, letztlich für Gott.
Jesus spricht davon, dass die Gastfreundschaft Gott gegenüber nicht ohne Folgen bleiben wird. Es gilt: „Wer einem von diesen Kleinen auch nur einen Becher Wasser zu trinken gibt, weil es ein Jünger ist, wird gewiss nicht um seinen Lohn kommen“ (Mt 10,42).
Gottes Heil, seine Zuwendung bedeutet fruchtbares Leben – welch ein Lohn für einen Schluck Wasser – oder für ein kleines Gästezimmer!
Seien Sie gesegnet und bleiben Sie behütet! Ihr P. Guido