Der Mensch wird in Gott hineingeboren
Predigt zum 4. Advent – C – Mi 5,1-4a; Hebr 19,5-10 u. Lk 1,39-45
Lyrisch gestaltet, tief und zart ist der Blick der Glaubensgeschichte von Maria und ihrer Cousine Elisabeth. Doch für den Evangelisten Lukas geht es weniger um die beiden Frauen. Was nicht bedeutet, dass sie weniger wichtig wären. Sie gestatten uns, den Blick auf die tiefer liegende Wirklichkeit zu lenken: Auf die beiden Ungeborenen, auf Johannes und auf Jesus. Um sie herum gestaltet Lukas diese Begegnungsgeschichte als ein großartiges Zeichen, denn er will alles auf Jesus hin ausrichten. In IHM verdichtet sich das Geschehen von Gott her: Im Menschenkind und Gottessohn begegnet Gott dem Menschen neu. Schon im Ungeborenen zeigt sich die absolute Nähe Gottes selbst und sein Wille, ganz mit dem Menschen zu sein und ihn zu verwandeln.
Maria ist durch ihre Entscheidung, Ja zu Gottes Willen zu sagen, Trägerin Gottes, sie ist eine „Christusträgerin“ also Botin des Gotteswortes. Sie trägt es in sich. Gut drei Tage braucht man, um von Nazareth nach Ein Karim ins Bergland von Judäa zu wandern. Da hieß es nun bei Lukas: „Maria eilte“, was bedeutet, schnell muss es gehen, um das fleischgewordene Wort Gottes weiterzutragen, hin zu Menschen, die sich für IHN öffnen. Später am anderen Ort, genauer in der Apostelgeschichte, wird Lukas davon sprechen, dass das Wort Gottes zu allen Völkern gebracht werden soll, „… und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8). Maria ist in ihrem eilenden Gang Vorbild für die mit der Verkündigung beauftragte Gemeinde. Jesus selbst war selbst auch rastlos weiterwandernd hin zu den Menschen (vgl. Lk 13,33), ja, er gab sogar den Befehl „unterwegs niemand zu grüßen“, also keine Zeit mit einem Schwatz oder Austausch von sogenannten Neuigkeiten zu vertun, damit die Verkündigung möglichst schnell geschehen konnte (vgl. Lk 10,4). Gottes Wort muss zum Menschen gebracht werden! Bedeutet das dann nicht, dass wir, wenn wir auch nur ein wenig angestoßen sind von dem, was wir als unseren Glauben an Gott und Christus in unserem Leben begreifen, genau das in unseren Worten und Taten mit den Mitmenschen zu teilen haben? Und das bitte schnell und eilig! Durch unsere Taufe und Geistbegabung in der Firmung sind auch wir beauftragte „Christusträger“. Die Frage, die Lukas seiner Gemeinde, uns also stellt: Kommen wir diesem Auftrag nach und wissen wir um die notwendige Eile?
Am Ziel, dort, wo dann der Gruß angebracht ist, dort bleibt er nicht ohne Folgen. Der ungeborene Johannes mit seinem Strampeln im Mutterleib steht uns vor Augen. Der heilige Ambrosius von Mailand (+ 397), jener Bischof, der den heiligen Augustinus getauft hat, sagt dazu in einer Auslegung unseres heutigen Evangeliums: „Elisabeth hörte als erste die Stimme, aber Johannes spürte als erster die Gnade; jene hörte nach der Ordnung der Natur, der Jubel des Johannes steht in der Ordnung des Mysteriums; jene vernahm die Ankunft Marias, dieser das Kommen des Herrn, die Frau das Kommen der Frau, das Kind das Kommen des Kindes. Die beiden Frauen sprechen die Gnade aus, die Kinder wirken im Innern; sie beginnen das Mysterium der Liebe mit der Begnadung der Mütter, die Mütter weissagen durch den Geist der Kinder in dem zweifachen Wunder. Das Kind jubelt, und die Mutter wird (vom Heiligen Geist) erfüllt. Die Mutter wird nicht vor dem Sohn erfüllt, sondern der Sohn wird mit dem Heiligen Geist erfüllt und erfüllt dann die Mutter. Johannes jubelt, und der Geist Marias jubelt. Als Johannes sich regte, wurde Elisabet (mit dem Heiligen Geist) erfüllt.“
Hier wird erläutert, was die Begegnung des lebendigen Gotteswortes mit dem Menschen macht: Von Innen her, dort, wo von Gott her das Leben beginnt, dort beginnt auch die verwandelnde Begegnung. Wir werden an ein Prophetenwort des Maleachi erinnert, der sagte: „Für euch aber, die ihr meinen Namen fürchtet, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen und ihre Flügel bringen Heilung. Ihr werdet hinausgehen und Freudensprünge machen wie Kälber, die aus dem Stall kommen“ (Mal 3,20). So heißt es auch beim Propheten Nehemia: „Die Freude an Gott ist eure Stärke“ (Neh 8,10). Die Botschaft des Gotteswortes will für den Empfänger vor allem eines: Ihn oder sie froh machen und mit tiefer Freude darüber erfüllen, dass das Leben etwas Gutes und Positives ist. In allem, was lebt, findet sich der gute Schöpferwillen Gottes! Mensch, du bist angenommen und geliebt, sagt uns Gott selbst.
Jetzt ist die Reaktion Elisabeths verständlich. Denn vom Heiligen Geist erfüllt sagt sie zu Maria: „… selig, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ“ (Lk 1,45). Dort, wo das Wort Gottes ankommt, weckt es den Glauben an seine Nähe und Verheißung und sieht die Erfüllung. Die Glaubensgeschichte der Elisabeth lehrt, das dort wo lebenserweckendes und -stärkendes geschieht, Gott am Wirken ist. Das Kind, das im Leib der „Unfruchtbaren“ wächst, ist Leben und Zukunft für sie. Dieses Lebendige auf Gott hin zu deuten und zu verstehen, ist ihr Akt des Glaubens und der wird zur Antwort auf den Glauben Mariens auf Gottes wunderbares Tun in ihr. Deshalb ist Seligpreisung Elisabeths (vgl. Lk 1,45) die Antwort ihres Glaubens. Sollten also nicht auch wir immer wieder versuchen, das Lebensspendende und -verstärkende in unserem Leben ebenso auf Gott hin zu deuten und dankbar zu verstehen? Unsere Antwort wäre dann die dankbare Liebe, die wir in die Welt tragen können. Das ist die rechte Verkündigung des Evangeliums und ein Wachstumsschub für den eigenen Glauben.
Genau deshalb sagt Bischof Ambrosius zum Abschluss seiner angesprochenen Auslegung:
„Gott kann zwar durch die menschliche Stimme nicht reicher werden. Aber er wird verherrlicht in uns. Denn Christus ist das Bild Gottes (vgl. 2 Kor 4,4 u. Kol 1,15), und die Seele, wenn sie recht und fromm handelt, verherrlicht immer dieses Bild Gottes, nach dem sie geschaffen ist. Wenn sie das Bild Gottes verherrlicht, wächst sie durch eine gewisse Teilnahme an seiner Größe.“ Und, so möchte ich hinzufügen, wenn die Seele wächst, vollendet sie sich auf Gott hin. Was in Jesus begonnen hat und in jedem Menschen, der glaubt neu beginnt, vollendet sich durch den Heiligen Geist in Gott selbst. Der Mensch wird in Gott hinein geboren.
Weihnachten steht vor der Türe. Gottes Geburt im Menschen.
Ihnen einen gesegneten 4. Advent und bleibt behütet!
Ihr P. Guido