Der Lebensatem, der Geist ist es, der alles zur Vollendung bringt
Predigt Pfingsten – B – Apg 2,1-11; 1 Kor 12,3b-7.12-13 u. Joh 20, 19-23
Plötzlich hat man verstanden. Nichts ist mehr undeutlich. Alles wird klar. Ein paar Töne werden zur Melodie und einige Farben zeigen das Bild…
Nicht nur mit dem menschlichen Verstehen hat das zu tun, vom Glauben her betrachtet, mit dem Heiligen Geist. Weg mit dem Bild von der flatternden Taube über den Köpfen – obwohl mir dieses Bild der Flügel wegen sympathisch ist – holen wir uns doch die Feuerzungen in den Sinn, die sich auf die Apostel verteilen(vgl. Apg 2,3). Endlich hat der Funke der Worte Jesu gezündet.
Aber das ist beileibe längst nicht alles!
Plötzlich findet die Geschichte zusammen. So wie einzelne Töne, wie Takt und Harmonie zusammenwirken und eine Melodie entsteht, wie Farben und Konturen und Perspektive ein Bild sichtbar machen: Eine Komposition.
Schauen wir auf die Worte des Paulus, die er an die so arg zerstrittene christliche Gemeinde in der quirligen Hafenstadt Korinth schreibt: Da sind die verschiedensten Gaben aber der nur der eine Herr, der eine Glaube… da sind die verschiedensten Völker und Kulturen, aber die eine Sprache, der eine Leib des Herrn, der die Kirche ist – wir sind gemeint.
Und wem das immer noch zu theoretisch, zu abstrakt ist: Da wird aus schrecklichem Missklang von Leid und Tod, von Untergang und Sterben, der Klang und die Harmonie der Nähe Gottes in Jesus Christus. Das göttliche Lebensprinzip wird deutlich. Der Lebensatem, der Geist ist es, der alles zur Vollendung bringt.
Ich erinnere mich an meine Kindheit. Erst spät in den Sechzigern des letzten Jahrhunderts hatten wir zu Hause ein Fernsehgerät. Damals gab es eine Musikratesendung. „Erkennen Sie die Melodie?“ so war ihr Name. Die Ratenden mussten aufgrund eines kurzen Ausschnitts aus einem Musikstück den Musiktitel erkennen. Warum mir das in den Sinn kommt? Fragen wir doch nach dem Takt und der Melodie unseres Lebens. Erkennen wir das Göttliche in ihr? Ist der Takt bestimmt vom Herzschlag der Liebe Gottes in Jesus Christus? Die Gabe des Geistes, so erzählt es der Evangelist Johannes, ist die Vergebung, ist also Harmonie der Liebe (vgl. Joh 20,22-23). Es geht um die verschiedensten Klänge und Farben des Lebens, der Mitmenschlichkeit und der Schöpfung. Als Christen dürfen, ja müssen wir offen sein für sie in unserer Zeit. Es gibt dieses wunderbare Wort: „Vox tempora, vox Dei“ – „Die Stimme der Zeit ist die Stimme Gottes“. Auch für uns heute gilt es, die Melodie Gottes zu hören in den vielen Klängen der Welt, das ist die Unterscheidung, die uns der Geist Gottes schenken will. Begreifen wir, dass alles Lebensverneinende, alles, was den Menschen und die vielfältige Schöpfung zerstören, sich gegen Gott und seine Liebe, seinen guten Willen richtet?
Und nicht zuletzt werden wir im Hören auf den Klang und die Farben der Welt, im Wahrnehmen der Dinge und im Erlauschen und Sehen der Harmonie Gottes unserer eigene, von ihm in uns gelegte einzigartige Komposition erfahren. Wir dürfen sie annehmen und dann verstärken, damit sie mitschwingen kann im großen Chor und Bild der ganzen Schöpfung. Nur wenn wir unsere Gaben, von denen Paulus im Korintherbrief spricht (vgl. die Lesung), zur Vollendung der Welt in Gottes Liebe nutzen, werden wir dem Sendungsauftrag Jesu gerecht.
Und da ist ganz sicher als entscheidender Rhythmus für unser Leben und als Grundlage unseres Lebens der Glaube an die Liebe Gottes in Jesus Christus als besonderes Element.
„Pfingsten“ ist unser deutsches Wort für das lateinische „Pentecoste“, das den fünfzigsten Tag nach Ostern benennt. „Fünfzig“ ist eine biblische Zahl. Im Alten Testament, im Buch Levitikus, wird auf das „fünfzigste Jahr“ als dem Jahr des Neubeginns verwiesen (vgl. Lev 25,10-13). Alle Schulden sollen erlassen werden und alle in Unfreiheit freikommen. Mit der Geistesgabe am fünfzigsten Tag nach Ostern beginnt also etwas Neues. Der auferstandene und erhöhte Herr ist, wenn man es im zeitlichen Bild versteht, ab diesem Tag im Gottesgeist in den Jüngern und dann in allen Christen das Lebensprinzip der Freiheit in Gott. Wir dürfen auch sagen: Gott, Vater, Sohn und Hl. Geist sind in den Herzen derer, die sich auf den Weg der Nachfolge Christi machen. Gott selbst ist der Grund der Freude und der Hoffnung. So wie es zum einen die Worte des Paulus im Kolosserbrief sagen, „singt Gott in eurem Herzen Psalmen, Hymnen und Lieder, wie sie der Geist eingibt, denn ihr seid in Gottes Gnade!“ (Kol 3,16b). Ebenso betet der Geist Gottes in uns mit unaussprechlichem Seufzen der Liebes-Sehnsucht, wie es der Römerbrief zum Ausdruck bringt (vgl. Röm 8,18-30). Und zum anderen ist da das wunderbare Wort vom „sein und bleiben in Gottes Liebe“ aus dem Johannesevangelium (vgl. Joh 15,9-13).
Wir wissen es aus den Erfahrungen unseres Lebens: Dieses Lebensprinzip der Liebe im Glauben leitet zu allen Lebenszeiten: In guten und auch in schweren Tagen. Wenn wir uns daran erinnern und erinnert werden, dass es nicht nur das sichtbar Irdische gibt, sondern dass Gott in uns lebendig sein will und uns auf unserem Lebensweg immer begleitet, haben die Mächte der Dunkelheit und des Todes keine Chance.
Es ist Gottes Melodie und sein Bild des Lebens, das in und durch uns lebendig sein will:
- „Komm herab, o Heilger Geist, der die finstre Nacht zerreißt,
strahle Licht in diese Welt.
- Komm, der alle Armen liebt, komm, der gute Gaben gibt,
komm, der jedes Herz erhellt.
- Höchster Tröster Tröster in der Zeit, Gast, der Herz und Sinn erfreut,
köstlich Labsal in der Not.
- In der Unrast schenkst du Ruh, hauchst in Hitze Kühlung zu,
spendest Trost in Leid und Tod.
- Komm, o du glückselig Licht, fülle Herz und Angesicht, dring bis auf der Seele Grund.
- Ohne dein lebendig Wehn kann im Menschen nichts bestehn,
kann nichts heil sein noch gesund.
- Was befleckt ist, wasche rein, Dürrem gieße Leben ein, heile du, wo Krankheit quält.
- Wärme du, was kalt und hart, löse, was in sich erstarrt, lenke, was den Weg verfehlt.
- Gib dem Volk, das dir vertraut, das auf deine Hilfe baut, deine Gaben zum Geleit.
- Lass es in der Zeit bestehn, deines Heils Vollendung sehn und der Freuden Ewigkeit.
Amen. Halleluja.“ („Veni Sancte Spiritus“ Stephen Langton um 1200, GL Nr. 343 u. 344)
Ich wünsche die Freude des Hl. Geistes und bleibt behütet! Ihr P. Guido
Die liturgischen Texte des Pfingsttages