
Predigt zum 2. Fastensonntag – A – 2 Tim 1,8b-10 und Mt 17, 1-9
Da sitzt man im Theater oder im Kino oder ist bei einem guten Konzert und plötzlich hat man das Gefühl Raum und Zeit zu vergessen. Man ist ganz in dem, was die Sinne wahrnehmen und ganz in der Musik oder dem Geschehen. Man ist überwältigt und eine Gänsehaut läuft einem über den ganzen Körper. Oder man schaut einen Menschen an, der einem viel bedeutet, ob es der oder die Geliebte oder die Eltern oder das Kind ist, und für einen kurzen Moment scheint die Zeit still zu stehen, weil man plötzlich weiß, wie viel einem dieser Mensch bedeutet, und man ist ganz voller Freude und Glück. Oder man feiert einen Gottesdienst mit oder betet für sich und ganz plötzlich ist da eine Verbindung zu Gott, ist seine Nähe spürbar, ist tiefes Eins-sein mit ihm. Das sind Augenblicke von reinem Glück und Klarheit. Momente, die binden und lange nachklingen, Augenblicke, die tief in uns einen Raum öffnen, der uns sagt, dass wir genau richtig sind.
Die Jünger waren unterwegs mit Jesus. Petrus hatte bei Cäsarea Philippi auf die Frage Jesu, wer er in den Augen der Menschen sei, gesagt: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Zum ersten Mal im Matthäusevangelium hatte Jesus von seinem bevorstehenden Leiden in Jerusalem gesprochen und davon, dass ein Mitgehen mit ihm auch ein Kreuzweg sei (vgl. Mt 16,13-28). Wenige Tage danach - nach der Darstellung und dem Zeitempfinden des Evangelisten Matthäus - ereignet sich das, was wir die „Verklärung“ Jesu nennen.
Jesus nimmt seine drei vertrautesten Jünger, Petrus, Jakobus und dessen Bruder Johannes, mit auf einen hohen Berg, wo er vor ihren Augen verwandelt wird. Für einen Augenblick bricht mit überwältigendem Glanz das durch und wird sichtbar, was Jesus, den Gottes- und Menschensohn ausmacht und was später im sogenannten „Großen Glaubensbekenntnis“ der Liturgie (Nicänisches Glaubensbekenntnis) so gesagt wird: „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott.“
Mose und Elija, die für das Gesetz und die Propheten stehen, erscheinen und reden mit dem, der gekommen ist, Gesetz und Propheten zu erfüllen (vgl. Mt 5,17). Sie bezeugen damit: In Jesus teilt Gott sich unüberbietbar mit. „Indem er uns seinen Sohn gab“, sagt der Hl. Johannes vom Kreuz (+1591), „sein einziges und alleiniges Wort, hat er uns alles auf einmal und nur durch dieses sein einziges Wort gesagt und offenbart; weiter brauchte er uns nichts mitzuteilen.“
Die Szene auf dem Berg mutet an wie ein Vorgeschmack des Himmels, wie eine Momentaufnahme der Ewigkeit, wie ein Augenblick unendlichen Glücks, tiefsten Friedens und letzter Geborgenheit, wie ich es eingangs unserer Überlegungen für uns selbst gezeichnet habe. So ähnlich und noch intensiver stelle ich mir das Erlebnis der drei Jünger vor, die Jesus auf den Berg mitnahm. Sie erleben einen Moment von großer Klarheit. Urplötzlich werden sie in eine göttliche Sphäre hineingenommen. Dass dieses Erlebnis die Jünger überwältigt, ja buchstäblich umwirft, ist verständlich. Aber auch, dass Petrus, trotz aller Furcht, diesen Moment bewahren will, indem er vorschlägt, Hütten zu bauen für Jesus und für Mose und Elija. Aber solche Momente kann man nicht bewahren. Petrus läuft mit seinem Vorschlag ins Leere. Die Stimme vom Himmel lenkt die Aufmerksamkeit allein auf Jesus. Und so nimmt Jesus ihn und die anderen beiden wieder mit herunter vom Berg.
Die Glaubens-Geschichte von der „Verklärung“ Jesu ist ein österlicher Text und konnte von Matthäus erst vom Osterglauben her so erzählt werden. Zurückprojiziert ist sie in die Zeit des irdischen Wirkens Jesu, und da stehen ihm Todesangst, Passion und Kreuz noch bevor. „Verklärung“ heißt nun nicht, dass da etwas beschönigt werden oder wie wir es manchmal auch sagen „verklärt“ werden soll. Das Kreuz Jesu wird durch diese Erzählung nicht verharmlost. Es behält seine Schwere und seine Bitterkeit. Aber dieses Kreuz erscheint vor den Jüngern und deshalb auch vor uns im Licht des göttlichen Willens. Für diesen göttlichen Willen stehen in der Erzählung Mose und Elija. Sie stehen für „Gesetz und Propheten“, für die ganze Botschaft der Heiligen Schriften. Die Erzählung offenbart uns für einen kurzen Augenblick den Sinn, der dem Kreuz-Weg Jesu von Gott zukommt: Der Gekreuzigte triumphiert sterbend als König der Herzen. Und für einen Augenblick soll er in seiner wirklichen, endgültigen Gestalt enthüllt werden, in einem Vorgriff auf Ostern, so dass wir zu ahnen vermögen, was Auferstehung bedeutet: der Weg durch das Kreuz hindurch verwandelt und macht Gott und Mensch neu sichtbar.
Genau diese Botschaft gilt für uns und unseren Glauben. Und sie zeigt sich in der abschließenden Aufforderung an die Jünger von dem Erlebten nicht zu erzählen bis nach der Auferstehung Jesu. Denn es geht nicht um das „Erzählen“ oder um das „Zerreden“, sondern um „Glauben“: Der Blick wird völlig ausgerichtet auf Jesus und auf seinen Weg. Die Auferstehung Jesu zu glauben und damit auch an die eigene Auferstehung zu glauben heißt, selbst hineingenommen sein in diese leuchtende Verwandlung des Herrn. Jetzt schon und einmal vollendet für immer.
Deshalb wohl heißt es in der Kantate „Herz und Mund und Tat und Leben“ von Johann Sebastian Bach (BWV 147), genauer in dem bekannten Choral „Jesus bleibet meine Freude“: „Jesus wehret allem Leide, er ist meines Lebens Kraft, meiner Augen Lust und Sonne, meiner Seele Schatz und Wonne; darum lass ich Jesum nicht aus dem Herzen und Gesicht.“
Übrigens: Im ersten Vers unseres Evangeliums hieß es: „Sechs Tage danach“ (Mt 17,1). Ich sprach vom „Zeitempfinden“ des Evangelisten. Sechs Tage, das ist eine unvollendete Woche. Das könnte bedeuten, dass der Weg ist noch nicht vollendet ist. Und das heißt: Jesus ist mit uns noch unterwegs, hinauf auf den Berg der Verklärung und hinunter ins Tal des Alltags. Mit ihm wird der Blick in die göttliche Herrlichkeit Wirklichkeit und Ostern – das ewige Ostern steht noch aus für uns. Lassen wir Jesus deshalb „nicht aus dem Herzen und Gesicht“, wie es in der Kantate heißt.
Ihnen eine gesegnete Fastenzeit und bleiben Sie behütet! Ihr P. Guido