Predigt zum 4. Fastensonntag – C – 2 Kor 5,17-21 und Lk 15,1-3.11-32
Gleichnisse sind wie Gemälde, die nicht mehr loslassen. Das ist mit dem Gleichnis vom barmherzigen Vater, das allein Lukas erzählt, auch so. Das setzt voraus, dass wir uns darin wiedererkennen - und zwar nicht nur im verlorenen jüngeren, sondern auch im verlorenen älteren Sohn, ja sogar im liebenden Vater. Ich lade Sie ein, in einer Art Meditation den Weg des Erkennens mit mir zu gehen. Helfen wird uns bei der Betrachtung ein Buch von Henri Nouwen, in dem der Autor das Rembrandtgemälde „Die Rückkehr des verlorenen Sohnes“ (1666-1669) meditiert. (Nouwen, Henri, Nimm sein Bild in dein Herz, Geistliche Deutung eines Gemäldes von Rembrandt, Freiburg 1991/96).
Schauen wir kurz auf das Gemälde:
Der Sohn kniet vor dem Vater. Die zerrissene und abgenutzte Kleidung weist auf die schlimmen Erfahrungen. Seine Figur, die dem Betrachter den Rücken zuwendet, lässt ahnen, dass er schlecht dran ist. Der fast blinde Alte neigt sich zu dem Sohn herab und berührt mit einer zärtlichen Bewegung seine Schulter. Das Gesicht des Vaters ist leicht nach rechts gebeugt, die Augen scheinen fast geschlossen zu sein. Das von links kommende Licht lässt seine große Stirn besonders auffällig wirken. Die anderen Personen im Bild scheinen unbeteiligt, aber nachdenklich. Im Schatten sieht man einen, der um die Ecke blickt. Es mag der ältere Sohn sein.
Sich im jüngeren Sohn wiederzufinden, bereitet kaum Schwierigkeiten. Denn das Weggehen von Zuhause und im Gefolge das Gefühl der Verlorenheit ist uns nicht fremd. Das ist schon so, wenn wir für längere Zeit von daheim Abschied nehmen. „In ein fernes Land ziehen“ (Lk 15,13) meint im Gleichnis: in die Irre gehen, auf falsche Stimmen hören, sich Ziele setzen und Werten nachjagen, die von der eigenen Personen-Mitte entfernen und einsam werden lassen. Das Zuhause im Gleichnis ist nun das Zuhause Gottes in uns, seine leise Stimme. Henri Nouwen schreibt in einer geistlichen Deutung des Rembrandt-Gemäldes „Die Heimkehr des verlorenen Sohnes“: „...ich erkenne, dass die wahre Stimme der Liebe eine sehr leise und zärtliche Stimme ist, die zu mir an den verborgensten Stellen meines Seins spricht. Es ist keine laute Stimme, die sich mir aufdrängt und Aufmerksamkeit fordert. (...) Es ist eine Stimme, die nur von denen gehört werden kann, die sich berühren lassen"(a.a.O. S. 54).
Aus dem Vaterhaus „fortziehen“ bedeutet, diese leise Stimme zu überhören und anderen Stimmen zu folgen „In ein fernes Land“,was immer mit einschließt, wegkommen zu wollen - nur weg! Und eine Gnade ist es dann, eines Tages zu entdecken, wie weit man sich schon entfernt hat, wie verloren und wie arm man ist - trotz allen möglichen Erfolgs. Ein Glück ist es dann, der vermeintlichen „Selbstverwirklichung“ in Freiheit nicht länger nachzujagen, sondern heimzukehren ins Vaterhaus. Der Weg kann lang sein; es dauert, bis einer es lernt, sich beschenken zu lassen, ja, bis er erkennt, immer schon der Beschenkte gewesen zu sein. Henri Nouwen meint: „Heimkommen bedeutete für mich, Schritt um Schritt auf den Einen zugehen, der mit offenen Armen auf mich wartet und mich in einer ewigen Umarmung umfangen will" (a.a.O. S. 18).
Auch in dem älteren der beiden, dem Daheimgebliebenen, vermögen wir uns wiederzufinden, Er steht im Schatten – und doch ist er ebenso verloren wie der erste, ja vielleicht ist er es noch mehr. Das Gleichnis endet mit der Bitte, er möge doch das Fest der Heimkehr mitfeiern. Es bleibt offen, ob er es tut. Das Verloren-Sein des älteren Sohnes ist ein anderes und schwerer zu fassen als das des jüngeren, auch wenn der sein ganzes Vermögen durchgebracht hat.
Er, der ältere Sohn, ist stets zu Hause geblieben und hat alles recht machen wollen. Er ist gehorsam, pflichtbewusst, gesetzestreu und fleißig gewesen. Die Leute respektieren, bewundern, loben ihn, halten ihn für den überaus korrekten Sohn seines Vaters. Und das ist er ja auch – nach außen hin. Aber die Rückkehr seines Bruders und die für diesen weit ausgebreiteten Arme des Vaters bringen in ihm einen verborgenen Hass zum Vorschein. Was drängt da nicht alles nach oben, kommt da nicht ans Licht! Wie viel an Eifersucht, Wut, Neid und Vergeltungsgefühlen, wie viel an übelnehmerischem und herzlosem Empfinden! Er fühlt sich als der unverstandene, in die Ecke gestellte Sohn, fern vom Vater, fern vom Bruder, ja fern von sich selbst! Sich in ihm zu erkennen, fällt schwerer. Es ist erschütternd, dass ein Leben an der Seite des Vaters in solche Verlorenheit führen kann, wo der Vater nicht mehr der Vater ist, der Bruder nicht mehr der Bruder, sondern „der da“. Und es ist erschütternd, dass jeder versucht sein kann, den Vater-Gott zum Buchhalter und „Leistungseinforderer“ zu degradieren. Es liegt auf der Hand, dass so einer noch mehr der Umkehr bedarf als der jüngere Bruder im Gleichnis, und das meint ja auch: in ihm selbst. Ein Glück, eine Gnade ist es dann zu spüren, was heimkehren heißt: aus der Einsamkeit In der Ferne heimzukommen zum Fest.
Und der Vater im Gleichnis? Vielleicht entdecken wir, dass wir ihm am fernsten sind; wir spüren aber auch, dass der Einladung zum Fest zu folgen bedeutet, zu werden wie er. So Vater zu sein, ist nicht leicht. Eine Leere liegt darin und eine Größe zugleich: zu geben, ohne etwas zurückzuerwarten, zu lieben, ohne die Antwort darauf einzufordern. Diese Art Väter und Mütter brauchen wir. Denn alle tragen wir die Spuren der Ablehnung und des Verlassen-Seins in uns.
Alle suchen wir Hände, die segnen und umarmen. So ist Gott. So denkt er aber auch von uns. Jeden von uns hat er erschaffen als sein Bild und Gleichnis, als Bild und Gleichnis göttlicher Vaterschaft und göttlicher Mutterschaft.
Ich erwähnte es schon: Der Niederländer Rembrandt (+1669) hat das Gleichnis gemalt, nicht lange vor seinem Tod. Und sein Landsmann Henri Nouwen hat es, wie ich eingangs erwähnte, in einem wunderschönen Buch gedeutet, das Seite um Seite seine eigene tiefe Ergriffenheit widerspiegelt. Darin schildert er, wie eine gute Bekannte zu ihm sagte: „Ob du nun der jüngere Sohn oder der ältere Sohn bist, du musst dir im Klaren sein, dass deine Berufung darin besteht, wie der Vater zu werden." Nouwen schreibt dazu: „Ihre Worte trafen mich wie ein Blitzstrahl. In all den Jahren meines Lebens mit dem Bild und der Betrachtung des alten Mannes, der seinen Sohn umarmt hält, war es mir nie in den Sinn gekommen, dass es der Vater sein könnte, der meine Berufung im Leben am besten zum Ausdruck bringt" (a.a.O. S. 36).
Ja, wie Gott zu werden in Mütterlichkeit und Väterlichkeit, in seiner Güte und Liebe, das ist unsere Berufung als Menschen in der Nachfolge des Gottessohnes Jesus Christus. Bleiben wir gemeinsam auf dem Weg dieser Berufung.
Seien wir so gesegnet und behütet. Ihr P. Guido
