Predigt Weihnachten 2023 – B –
Hl. Nacht: Jes 9,1-6; Tit 2,11-14 u.LK 2,1-14
Am Morgen: Jes 62,11-12; Tit 3,4-7 u. Lk 2,15-20
Am Tag: Jes 52,7-10; Hebr 1,1-6 u. Joh 1,1-18 od. Kurzf.
„Stille Nacht, heilige Nacht, alles schläft, einsam wacht... Holder Knabe im lockigen Haar…“ - es gibt kaum ein Lied, das so sehr wie dieses im Jahr 1818 durch Josef Mohr und Franz Xaver Gruber entstandene Lied auch heutzutage unser Weihnachtsfest prägt.
Es gibt aber auch zunehmend viele Menschen in unserem Land, denen das in diesem Lied besungene Festgeheimnis nichts oder nichts mehr bedeutet. Für manche mag es Gewohnheit sein, bei diesem Lied mitzusingen. Doch wirklicher Ausdruck einer inneren Haltung ist es vielleicht nicht mehr.
Ja, Weihnachtsfreude und Weihnachtsfriede, sie werden gesucht und viele Menschen unserer Erde wünschen sie sich: Keine Bomben mehr, das Schweigen der Waffen, die Schreie der Verletzten mögen ein Ende haben, die Angst vor Terror, die Unsicherheit vor der Zukunft... JA, es ist unsere tiefreichende Sehnsucht, die sich im Wunsch nach Frieden, Gerechtigkeit und Leben äußert. Dennoch wird dieser Friedenswunsch in unserer so vielfältigen und unübersichtlich empfundenen Welt im Kleinen wie im Großen als Wunschtraum und weniger als erfüllbare Wirklichkeit erfahren.
Kann es sein, dass wir Menschen und noch viel mehr wir Christen, das Geschehen der Weihnacht, der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus doch nicht so recht verstanden haben? Fromme persönliche Gefühle und Sehnsucht im Herzen der einzelnen, sind die eine Seite – der harte Alltag mit seinen Machtkämpfen, verletzten Eitelkeiten und selbstbezogenen Durchsetzungsstrategien sind die andere Seite unserer Existenz. Ein Wort des Heiligen Augustinus aus einer Weihnachtsansprache trifft. Er sagte einmal: „Du wolltest als Mensch Gott sein, um zugrunde zu gehen, er hingegen wollte als Gott Mensch sein, um wiederzufinden, was verloren gegangen war. Menschlicher Stolz hat dich in einer Weise niedergedrückt, dass nur noch göttliche Demut dich wieder aufrichten konnte.“ Was bedeutet „göttliche Demut“?
In dieser Frage begleitet mich seit einiger Zeit ein Gedicht des schwäbischen Dichters Paul Konrad Kurz (+ 2005). In einem Buch mit Advent- und Weihnachtsgedichten ist es veröffentlicht. (Paul Konrad Kurz „Das Bündel Gottes“ – Gedichte zu Advent und Weihnacht, Schwabenverlag Ostfildern, 1994). Das Gedicht trägt den Titel „Das Bündel Gottes“. Es lautet:
Das Bündel Gottes
Ein bisschen Fleisch.
Wie Menschenfleisch
und rohes Kinderfleisch.
Kaum anzufassen.
Die Augen noch geschlossen.
Die Brust zerbrechlich
und eingepackt in Schlaf.
Ein Nacktes.
Lämmernackt
und sperlingsnackt im Nest.
Ein Wurm zum Wickeln
für eine Mädchenmutter,
die kniet und wieder kniet
und ihre Sinne martert
und nicht begreifen kann
das Bündel Gottes.
Wir sind schockiert durch diese Worte. Sie haben so wenig zu tun mit unserem „Weihnachtsgefühl“ und dem „Holden Knaben“. Und doch treffen diese Worte in unser Herz, gerade in unseren Tagen und angesichts zerhackter und zerbombter Kinder und Erwachsener in der Ukraine, in Israel, im Gaza-Krieg und all der Aggression irregeleiteten Machtstrebens. Aber genau in diese grausame Realität hinein, die sich weltweit in der Verletzlichkeit des Menschen zeigt, gehört die Suche Gottes von der Augustinus gesprochen hat. Dieses Suchen Gottes nach dem Menschen, der er sich stellt in seinem Sohn Jesus Christus, ist nicht zu Ende. Sie dauert an und ist aktuell zu jeder Zeit. Sie dauert an, solange des Menschen Überheblichkeit, Stolz und Rechthaberei den Menschen zu Grunde richten. Diesem Stolz setzt Gott seine Demut entgegen, so sagt es der Dichter: ...ein bisschen Fleisch. Wie Menschenfleisch und rohes Kinderfleisch... – Was Gewalt und Hass vernichten wollen – das genau ist Gottes Antwort: Die zerbrechliche Wirklichkeit, das Lamm, das geschlachtet wird, der Sperling im Nest, zart und in der Gefahr erdrückt zu werden... Der Dichter bringt uns auf die Spur einer anderen, nicht der menschengemachten, sondern der gottgewollten Wirklichkeit. Solange wir dieser Wirklichkeit der Liebe und des füreinander Daseins unsere Uneinsichtigkeit entgegensetzen, wird kein Friede sein und keine Weihnachtsfreude. Persönliche Frömmigkeit und Gefühle sind dann bloß romantische Anwandlungen und können auch missbraucht werden, solange sie nicht im Alltag unseres Lebens, in unserer Glaubens- und Lebenspraxis Hand und Fuß gewinnen. Der Dichter hilft uns auch hier auf die Spur, wenn er schreibt: Die Mädchenmutter Maria kniet und kniet – und betet und betet – und selbst sie kann das Unbegreifliche der Liebe Gottes nicht fassen, das durch sie wurde: Das Bündel Gottes...
Und auch wir fassen diese Liebe Gottes letztlich nicht und sind aufgerufen, vor dem „Mensch-Sein“ in seiner verletzlichen Art niederzuknien und immer wieder und immer neu unser Sinnen, Denken und Handeln auf den auszurichten, der uns zu neuen Menschen machen will. Er wurde Menschenkind, damit wir Gotteskinder werden. Lassen wir uns durch die Demut und Liebe Gottes aufrichten.
So möchte ich ermutigen, Weihnachten mit allen unseren Wünschen und Sehnsüchten nach Menschlichkeit, nach angstfreier Zukunft und Frieden, wie eine Türe zum eigenen Herzen zu sehen. Gott selbst steht an dieser Türe. Er will eintreten in unser Leben. Er will uns zu neuen Menschen machen und mit uns die Welt zum Guten führen.
Lassen wir die Worte des Gedichtes von Paul Konrad Kurz noch einmal nachklingen…
Ihnen den Segen der Weihnacht und bleiben Sie behütet! Ihr P. Guido