
7. Sonntag der Osterzeit – 1 Joh 4,11-16 und Joh 17,6a.11b-19
„Gott bewahre!“ so rufen manche aus, auch wenn sie ansonsten wenig mit Gott zu tun haben, und meinen damit, irgendetwas Unangenehmes möge ihnen erspart bleiben. „Bewahren Sie die Quittung gut auf, sie gilt als Garantiebeleg!“, empfiehlt die Verkäuferin der Kundin.
Gleich dreimal kommt das Verb „bewahren“ im heutigen Evangelium vor. Schauen wir es an. Es ist ein Teil des Abschiedsgebetes Jesu und er sagt: „Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen“ (Joh 17,11b) und später: „Solange ich bei ihnen war, bewahrte ich sie in deinem Namen“ (Joh 17,12a). Und dann spricht er die Bitte aus: „Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst“ (Joh 17,15).
Zunächst meint dieses Verb so viel wie „behüten, beschützen, nicht aus den Augen verlieren, nicht fallen lassen“ – und das soll in Gottes Namen geschehen. Jesus legt die Seinen buchstäblich an das Herz des Vaters. So, wie Jesus selbst im Vater seine letzte Geborgenheit erfuhr, so dürfen die Jünger sich in Gottes Liebe geborgen wissen. Das heißt: Das „Bewahrtsein“ von Gott her, von dem Jesus sein Leben lang Zeugnis gegeben hat, ist eine unverbrüchliche Zusage und der Grund, auf den sich die Jünger verlassen können. Daraus folgt wie von selbst Jesu weitere Bitte, der Vater möge sie „nicht aus der Welt nehmen, sondern sie vor dem Bösen bewahren“ (vgl. Joh 17,15). Hier hat das Verb „bewahren“ die Bedeutung von „abwehren“ und tiefer noch im Wortsinn „in etwas halten, tragen“, Jesus sagt es dann so: „Heilige sie in der Wahrheit, denn dein Wort ist Wahrheit“ (Joh 17,17).
Kehren wir zum Anfang unserer Schriftstelle zurück. Da hatte Jesus gebetet: „Vater, ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir gegeben hast“ (Joh 17,6a). Gottes Name… Denken wir beim Gottesnamen an Mose, an die Dornbuschszene am Gottesberg auf dem Sinai, wo Mose Gott nach seinem Namen fragt und der ihm antwortet: „Ich bin der Gott deiner Väter, Abraham, Isaak und Jakob… und weiter: Ich bin, der ich bin – Ich werde sein, der sich in deiner Geschichte zeigt“, was so viel heißt wie „in der Geschichte deiner Vorfahren war ich mit ihnen unterwegs und habe ihnen meine Nähe geschenkt und jetzt und in Zukunft sollst du und das Volk Israel es ebenso erfahren“ (vgl. Ex 3,14f). Gottes Name ist die erlebte und gedeutete Geschichte Gottes mit den Vätern (und natürlich auch den Müttern) und seinem ganzen Volk. Und Jesus hat nun das, was dieser Gottes Namen bedeutet, also den Weg in die Freiheit aus der Unterdrückung, den Weg des Heiles hin in die Nähe Gottes, hin in das Land des Lebens und der Verheißung und sein Wirken als Löser aus dem Dunkel des Todes und Vollender des Lebens, als seinen Auftrag vom Vater den Menschen verkündet und vorgelebt. In Jesus ist Gottes Name gegenwärtig. Er ist Gottes Wort und Wahrheit.
Jetzt verstehen wir: In dieser Wahrheit zu leben und den Glauben an den sich so offenbarenden Gott zu bewahren, das ist nichts, was man wie eine Quittung in die Schublade oder in eine Sammelmappe legen könnte. „Ich bin – Ich werde mit dir…“ Dieses Sein und Werden des dreifaltigen und -einen Gottes kann man nicht wegschließen und aufbewahren. Gott zeigt sich dynamisch und lebendig. Den Glauben an Gott bewahren, das hat mit Entwicklung, Wachsen und Werden zu tun. Und so ist der Weg in Gottes Wahrheit ein Weg, der sich in Jesus vor den Jüngern öffnet, ein Weg in die Zukunft. Und ein solcher Weg fordert, nicht starr am Überkommenen festzuhalten, sondern alles von Gott her zu prüfen, damit sich erweisen kann, was gut und hilfreich ist für das Leben. So erschließt sich der Weg. Dazu sendet Gott seinen Geist.
Gerade in unseren Tagen, in der Situation der scheinbaren Unsicherheit über den rechten Weg des Glaubens auf die Zukunft hin, ist die lebendige Gemeinschaft, das Miteinander-Unterwegs-Sein, wie es im Zweiten Vatikanischen Konzil begonnen hat und sich hoffentlich auf dem sogenannten „Synodalen Weg“ fortsetzt, also ein notwendiger Prozess. Jene in der Kirche, die die Aussage des Konzils „Ecclesia semper reformanda – die Kirche muss sich immer reformieren“, mit dem Hinweis man müsse nur das Alte treu bewahren, um die Zukunft zu gewinnen, ablehnen, können sich nicht auf das Evangelium dieses Sonntags berufen. Und ebenso jene nicht, die meinen, der Glaube und die Kirche seien am besten dadurch zu retten, dass man alles festschreibt und, einmal festgeschrieben, das Gespräch und den Austausch und die Suche nach Antworten im Leben verweigern. „Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig“, sagt Paulus (vgl. 2Kor 3,6).
„Bewahren“ im Sinne Jesu ist nichts, das für die Lebendigkeit des Glaubens und der Beziehung zu Gott und den Mitmenschen gefährlich wäre, sagt Jesus doch ausdrücklich: „Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst“ (Joh 17,15). Irrtum und Versagen, Sünde und Leid und auch Krankheit und Tod sind ernüchternde Wirklichkeiten des menschlichen Lebens. Das müssen wir schmerzhaft im schrecklichen Fehlverhalten von Christen durch sexualisierte Gewalt in der Kirche, durch Machtmissbrauch, Lüge und Lieblosigkeit erfahren, oder auch in der Not und Bedrohung durch Seuchen, durch Kriege und Ungerechtigkeiten. Gott möge vor dem Bösen bewahren und in der Wahrheit heiligen, das ist die eindringliche Bitte des Herrn an den Vater, die lebendige und dynamische Beziehung zu ihm zu stärken, damit diese Beziehung vor dem Sturz in die Verzweiflung und der Sinnleere, vor Ungeborgen sein und vor jenem Unglauben bewahrt, den gerade das Johannesevangelium mit dem eigentlichen Tod gleichsetzt, weil er die Zurückweisung und Leugnung der zuvorkommenden Liebe Gottes wäre. Mit Jesus dürfen und müssen wir nach der göttlichen Wahrheit suchen und uns ihr stellen. Mit ihm werden mögliche Umwege und Irrtümer korrigiert, weil Gott uns bewahrt und immer wieder zur vollen Wahrheit führen wird: Zu ihm, zu Gott selbst, dem Geist der Liebe und seinem Wort in Jesus. Er ist die Mitte. Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben.
Seid gesegnet und behütet in der Kraft Gottes, dem Hl. Geist! Ihr P. Guido