Brot vom Himmel hast du ihnen gegeben
Predigt zum 18. Sonntag i. Jahreskreis – B – Ex 16,2-4.12-15; Eph 4,17.20-24 u. Joh 6,24-35
Es ist die Geschichte, die von einem alten Bäcker in Paris erzählt. Eine Geschichte, die mich sehr berührt.
„… Sie sehen bedrückt aus“, sagte der alte Bäcker zu dem Mann im Laden, der in der Nähe der Seine war. „Ich habe Angst um meine kleine Tochter“, antwortete der Busfahrer Gerard. „Sie ist gestern aus dem Fenster gefallen aus dem zweiten Stock. – „Wie alt?“, fragte der alte Bäcker. „Vier Jahre“, antwortete Gerard. Da nahm der alte Bäcker ein Stück vom Brot, das auf dem Ladentisch lag, brach zwei Bissen ab und gab das eine Stück dem Mann vor der Theke. „Essen Sie mit mir“, sagte der alte Bäcker, „ich will an Sie und ihre kleine Tochter denken.“
Der Mann hatte so etwas noch nie erlebt, aber er verstand sofort, was der alte Bäcker meinte, als er ihm das Brot in die Hand gab. Und sie aßen beide ihr Brotstück und schwiegen und dachten an das Kind im Krankenhaus. Zuerst war der Busfahrer Gerard mit dem alten Bäcker allein. Dann kam eine Frau herein. Sie hatte auf dem nahen Markt zwei Tüten Milch geholt und wollte nun eben noch Brot kaufen. Bevor sie ihren Wunsch sagen konnte, gab ihr der alte Bäcker ein kleines Stück Weißbrot in die Hand und sagte: „Kommen Sie, essen Sie mit uns: Die Tochter dieses Herrn liegt schwer verletzt im Krankenhaus. Sie ist aus dem Fenster gestürzt. Vier Jahre ist das Kind. Der Vater soll wissen, dass wir ihn nicht allein lassen.“ Und die Frau nahm das Stückchen Brot und aß mit den beiden …
(aus: Heinrich A. Mertens: „Brot in deiner Hand“, München, 1982/6).
Unsere Sprache sagt uns, was Brot tatsächlich ist. Es ist mehr als nur ein „Sattmacher“ oder eine „Speise, die verdirbt“, wie es im Evangelium heißt (Joh 6,27a). Es ist ein „Lebensmittel“ – ein Mittel zum Leben nicht nur im vordergründigen Sinn, um den Hunger des Leibes zu stillen. Man muss es mit einer gewissen Geduld kauen, darf es nicht runterschlingen, damit es seinen vollen Geschmack und seinen Gehalt erschließen kann. „Satt-Werden“ am Leib ist die eine Ebene. Wie manches andere hat „Brot“ aber auch eine tiefere Bedeutung.
Mit dem Hunger ist es ebenso: Es gibt den Hunger des Leibes und der ist schrecklich. Ich denke an die vielen Menschen, die im Gegensatz zu uns, wirklich nichts zum Essen haben... die leibhaftig verhungern. Es gibt aber auch den anderen Hunger. Vor allem den Hunger nach „Angenommen-sein“, nach „Geachtet-werden“, nach „Anteilnahme“. „Zusammenführen und Gemeinschaft“ sind also weitere Stichworte, die mit dem Essen des Brotes zusammenhängen. All das zeigt uns die kleine Geschichte aus dem Pariser Bäckerladen. Und genau dieser Zusammenhang führt uns auch zu dem, was der Evangelist Johannes von Jesus erzählt. Gleichzeitig werden die genannten Stichworte allerdings auch vertieft und überschritten.
Die Menschen um Jesus damals, jene, die er durch die wunderbare Brotvermehrung gesättigt hat, haben ihn nicht wirklich verstanden. „Ihr sucht mich nicht, weil ihr Zeichen gesehen habt, sondern weil ihr von den Broten gegessen habt und satt geworden seid“ (Joh 6,26). Die Menschen um Jesus sind an der Oberfläche des Geschehens hängengeblieben und das ist das leibliche „Satt-Werden“. Die Worte Jesu, mit denen uns uns der Evangelist Johannes weiterführt, leiten an, Schritt für Schritt Jesus selbst und seiner Bedeutung näher zu kommen. Denn letztlich ist ER der „Vermittler“ und damit das „Lebensmittel“, das zum Leben aus und in Gott führt. Konsequent sagt er: „ICH bin das Brot des Lebens; …“ (Joh 6,35a). Ihn zu essen – also ganz innig mit ihm verbunden zu sein – das bedeutet, an allem, was in ihm und an ihm ist, Anteil zu haben, an seiner Beziehung zu Gott, an seinem Auftrag der Liebe und der Hingabe, an seinem Leben, das durch den Tod hindurchgeht, an seinem Sterben und an seiner Auferstehung.
Für das Volk Gottes, die Israeliten auf dem Weg durch die Wüste, war das erwähnte „Manna“ (Ex 16,4) ein Gottes-Geschenk, um zu überleben und die Verbindung mit dem Gott der Befreiung aus der Unterdrückung in Ägypten zu bestärken. Für alle Menschen, die Gott zu seinem neuen Volk sammeln will, ist der Menschen- und Gottessohn Jesus Christus mit seiner ganzen Geschichte und seinem ganzen Sein „das wahre Brot vom Himmel“. Ihn schenkt Gott allen Menschen. Ihn anzunehmen, ihn zu glauben und in ihm Gottes Liebe zu vertrauen, ist nicht Leistung des Menschen, sondern Gottes Werk (vgl. Joh 6,28-29). Wenn wir dieses Brot essen, sagen wir Gott im Grunde Dank dafür, dass Gott uns Menschen annimmt, dass er uns achtet, dass er uns liebt und befreit zur Fülle des Lebens in der Gemeinschaft mit ihm selbst. Darin ist Jesus „das wahre Brot vom Himmel“ (Joh 6,32).
Es gilt, diesen Zusammenhang und die tatsächliche Zuwendung Gottes zum Menschen in Jesus zu verinnerlichen. Wenn dieser Schritt des Verständnisses nicht gelingt, bleibt man an der Oberfläche des Geschehens hängen. Das ist entscheidend für den ganzen Kontext unseres Glaubenslebens. Es gibt im religiösen Sprachgebrauch sogar ein Wort dafür, das wir sicher kennen: „Andächtig-Sein“. Wenn wir beispielsweise die Eucharistie, die Kommunion, die Heilige Messe, die Sakramente ohne innere Anteilnahme, ohne Andacht, nur als Gemeinschafts-Event und so als ein religiöses Ritual verstehen, an dem wir teilhaben können, wenn wir meinen, das Bedürfnis danach zu haben, dann bleibt man an der Oberfläche und das war es dann. In der Tiefe unseres Seins wird sich dann nichts tun. Dann ist man nicht offen für das Geschenk „vom Himmel“, nicht bereit zu glauben. Das „Brot“ zu essen, das Jesus ist, bedeutet, mit dem Brot zum besonderen Zeichen, selbst zum Sakrament zu werden, gewandelt zu neuen Menschen, zu „Brot vom Himmel für die Welt“. Die Geschichte des alten Bäckers erklärt nicht... aber sie hilft uns zu verstehen. Hören wir noch einmal auf das Ende der kleinen Geschichte:
„… Bevor die Frau ihren Wunsch sagen konnte, gab ihr der alte Bäcker ein kleines Stück Weißbrot in die Hand und sagte: „Kommen Sie, essen Sie mit uns: Die Tochter dieses Herrn liegt schwer verletzt im Krankenhaus. Sie ist aus dem Fenster gestürzt. Vier Jahre ist das Kind. Der Vater soll wissen, dass wir ihn nicht allein lassen.“ Und die Frau nahm das Stückchen Brot und aß mit den beiden …“
Seien Sie gesegnet und behütet in der Liebe Gottes!
Ihr P. Guido