Bisweilen bedarf es schmerzlicher Einschnitte
5. Sonntag der Osterzeit – 1 Joh 3,18-24 und Joh 15,1-8
Was uns in den Texten der Liturgie, also in den Lesungen und Evangelien in diesen Tagen zwischen Ostern und Pfingsten begegnet, will so etwas wie eine besondere „Lernhilfe“ für uns Christen sein, um uns im Glauben an die Auferstehung zu bestärken und ebenso unsere Beziehung zu Gott in Jesus Christus durch den verheißenen Heiligen Geist zu vertiefen.
Es ist wie am vergangenen Sonntag auch heute wieder ein altes Glaubensbild, das uns das Evangelium vor Augen führt. Das Volk der Erwählung, Israel, und die Kirche, das neue Israel, sie sind der Weinberg, in dem Gottes wahrer Weinstock, Jesus wächst. Und der entscheidende Aspekt dieses Bildes ist unsere Verbindung mit diesem Weinstock und in ihm mit dem Weinberg Gottes. Mit dem Glaubensleben verhält es sich wie mit unseren Lebenszusammenhängen insgesamt: Alles Leben wird und wächst aus anderem Leben. Unser genetisches Erbe kommt von unseren Vorfahren. Muttersprache und Dialekt haben wir gelernt, weil wir hier und nicht anderswo aufgewachsen sind. Wir sind in ein Umfeld hineingeboren, das uns prägt. Elternhaus, Schule, Beruf, Familie und die Bindungen, die wir eingegangen sind: von überall her bekommen wir Anstöße und Anregungen, verfolgen wir diese oder jene Spur, engagieren wir uns da oder dort. Dabei gibt es vieles, was uns guttut und weiterhilft. Anderes behindert und verwundet uns. Wir wissen es: Wir leben nicht als heile Menschen in einer heilen Welt.
Die Bildrede des heutigen Evangeliums setzt diesen Hintergrund voraus. Wir sind - so wird uns da versichert - in einen neuen Lebenszusammenhang hineingenommen, ohne dass wir den ursprünglichen zu verleugnen brauchten. Der Vater schenkt uns im Sohn den von seinem Geist erfüllten ganzen Menschen. Jesus ist deshalb der wahre Weinstock, weil er als der, der am Herzen des Vaters ruht uns Kunde gebracht hat (vgl. Joh 1,18) und selbst der Weg, die Wahrheit und das Leben ist (vgl. Joh 14,6). Im Glauben sind wir so eng mit ihm verbunden, wie es die Reben mit dem Weinstock sind. Und nur so können die Früchte reifen.
Hier wird das Bild vom Weinstock und den Reben überstiegen. Liebe, die teilhaben lässt, die eingeht und verändert, die Fruchtbarkeit hervorbringt, ereignet sich in Wechselseitigkeit. Die Initiative allerdings geht von Gott aus – „nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt" (Joh 15,16) sagt Jesus. Dennoch bedarf diese Frucht bringende Verbindung der Entgegnung in Form der Annahme, der Zustimmung, des Gewähren-Lassens, des Mittuns: „Die Worte, die du (Vater) mir gegeben hast, gab ich ihnen, und sie haben sie angenommen. Sie haben wirklich erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie sind zu dem Glauben gekommen, dass du mich gesandt hast" (Joh 17,8). Diese wechselseitige Verbindung geschieht vorzüglich in der Weise, die nur Menschen möglich ist: in Worten und den Taten, die aus diesen Worten entstehen. Die aufgenommenen Worte erzeugen eine innere Vorstellungswelt, die verändert. Jede Liebe, die reifen will, muss die empfangenen Worte wieder und wieder hören und darauf antworten. Wie sich eben Liebende immer wieder ihre Zuneigung zusprechen müssen. Viele andere Wörter machen sich im Alltag breit, beanspruchen alle Aufmerksamkeit. Wer es aber ernst meint mit der Liebe, darf nicht zulassen, dass die Liebesworte übertönt werden. Sie bringen die Lebensfülle hervor, die der dörrenden Hitze des Alltags widerstehen kann. Paulus hat das in seinem Brief an die Gemeinde in Galatien ausgedrückt, indem er die Früchte des Gottes-Geistes benennt, die aus der Liebe wachsen. Es sind: „Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Gewaltlosigkeit und Selbstbeherrschung“ (vgl. Gal 5,22).Wo solche Früchte reifen, leuchtet unverkennbar das Antlitz Jesu auf. So hat er gelebt, gehandelt, geholfen: aus dem Geist der Milde, Treue und Sanftmut. Und so gibt er es denen, die aus ihm und durch ihn leben. Aus der tiefen Lebensgemeinschaft mit Jesus und in ihm mit Gott verändern wir uns und die Welt wird verwandelt.
Deshalb heißt es: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“ (Joh 15,5). Es ist im Evangelium des Johannes ein wiederkehrendes Motiv, folgerichtig auch zum Bleiben einzuladen, zum Bleiben in dieser mystischen und tiefen inneren Beziehung, will heißen, in einem neuen Lebenszusammenhang. Es darf uns auch nicht wundern, dass es dazu bisweilen schmerzlicher Einschnitte bedarf. Deshalb das Bild vom Winzer, mit dem der Vater gemeint ist, der mit dem Winzermesser die unfruchtbaren Reben abschneidet und die gesunden reinigt, damit sie noch mehr Frucht bringen. Wer die Lebensgemeinschaft mit dem wahren Weinstock aufgibt, bringt sich selbst in einen Zustand der Unfruchtbarkeit und Dürre. Mehr ist da nicht gesagt, allerdings auch nicht weniger.
Das heutige Evangelium schließt mit den Worten Jesu: Bleibt in meiner Liebe. Und es deutet hin auf das größere Ziel der Verherrlichung des Vaters. Das besagt: Jesus hat uns längst schon das Seil zugeworfen, das uns mit ihm verbindet, und zwar dadurch, dass er uns liebt. An uns ist es, das Seil aufzufangen und ein Leben lang zu verinnerlichen, wie sehr uns Gott in seiner Liebe zuvorkommt; denn nicht darin besteht die Liebe, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass Gott uns geliebt und seinen Sohn gesandt hat (vgl. Joh 4,10). Darin liegt der Grund der Freude und der Hoffnung.
Diese Worte sind tatsächlich eine Lernhilfe des Glaubens! Sie sind auch eine „Lebenshilfe“ für das Miteinander im Sinne Jesu: Keiner glaubt für sich allein. Im Lebenszusammenhang des Auferstandenen zu bleiben, lässt deshalb die Gemeinschaft der Glaubenden nicht außen vor. Auch wenn sich gewiss nicht von jedem kirchlichen Raum und Rahmen sagen lässt, dass der heilende Einfluss des Gottesgeistes in ihm wirke, so gilt dennoch, dass der Auferstandene da ist, „wo immer zwei oder drei in seinem Namen zusammenkommen“ (vgl. Mt 18,20). Und wo wir so im Sinne Jesu um Notwendiges bitten, werden wir es auch erhalten.
Bitten wir den Vater in Jesus inständig um seine Hilfe in unserer Situation der Corona-Pandemie! Erkennen wir aber auch Gottes Hilfe und Beistand: Denken wir daran, wie überraschend schnell Impfstoffe entwickelt werden konnten. Wie viele haben sich für andere eingesetzt und tun es bis heute! Es liegt an uns allen mitzutun, dass mit Gottes Hilfe die Not gelindert werden kann. Teilen wir das Leben und die Liebe, denn so wird der Auferstandene sichtbar!
Bleiben Sie im Herrn gesegnet und behütet!
hr P. Guido