Predigt zum 7. Sonntag im Jahreskreis – C – 1 Sam 26,2.7-9.12f.22f; 1Kor 15,45-49; Lk 6,27-38
Auf den ersten Blick scheinen die Forderungen Jesu, die uns heute das Evangelium nach Lukas in der Fortschreibung seines „Grundsatzprogrammes“ zumutet, eine Überforderung zu sein:
- Liebt eure Feinde…
- Segnet die, die euch verfluchen…
- Betet für die, die euch beschimpfen… (vgl. Lk 6,27-29).
Es kann nicht die Zielperspektive Jesu sein, die Menschen, die er zu Gott führen will, mit unerfüllbaren Ansprüchen zu konfrontieren. Vielmehr begegnet er den Menschen in ihrer Schwäche, Bedrängnis und Not und sichert ihnen zu, dass Gott sie ebenso wahrnimmt, wie er, und ihnen zur Seite stehen will, um zu helfen. Gemeinsam arbeiten wir am Reich Gottes.
Genau das klang in den Worten der „Seligpreisungen“ und der „Wehe-Rufe“ an, die wir vergangenen Sonntag in der lukanischen Fassung der „Bergpredigt“ („Feldrede“) hörten. Da wurde deutlich, dass die Erfahrung des Hier und Jetzt als bewusste Wahrnehmung – hier arm, weinend, hungernd, leidend aber dennoch geborgen in Gottes Liebe – „Selig seid ihr“ – und dort satt, reich, lachend und gelobt und verschlossen in sich selbst und der Angst vor Verlust ausgeliefert – „Wehe euch“ – die Menschen Gott und seiner schenkenden Liebe zuführen soll. Die „Seligpreisungen“ sind eine Zusage der Fülle des Lebens und der Gnade Gottes, welche die so Angesprochenen motivieren wollen aus der zugesagten Lebensfülle selbst zu leben und sie weiterzuschenken.
Der Blick öffnet sich auf Gott hin! Das ist die Grundlage, das Fundament auf dem Jesus selbst steht. Mehr noch, was er sagt, ist was Gott will. Der Zielpunkt ist der Mensch als Kind Gottes, sind wir Menschen als Söhne und Töchter des Höchsten, die im Denken und Handeln dem barmherzigen Gott nahekommen sollen. Der Mensch, als Abbild Gottes geschaffen soll in der Tat der Liebe werden und sein wie Gott.
Überforderung ist der Anspruch Jesu nur dann, wenn er nur aus uns selbst erfüllt werden muss. Mir kommt ein Bild in den Sinn, das viel mit der heutigen Frage nach nachhaltiger Energienutzung zu tun hat. Auf uns selbst zurückgeworfen können wir nicht die Kraft, nicht die Energie haben, dem Wort Jesu nachzukommen. Selbst die Ölfelder überkommener Glaubensvorstellungen werden irgendwann erschöpft sein. Wir benötigen die Sonnenkollektoren, und die Windkrafträder, die uns die Energie Gottes erschließen! Wie Jesus selbst müssen wir uns mit dem Vater selbst verbinden, um aus seiner Energie, seiner Liebe, seinem Geist heraus unser Leben zu gestalten. Der Hl. Geist muss uns antreiben! So die Verbindung zu Gott aufzubauen und zu pflegen, bedeutet ihm ähnlich werden. Dabei sollen wir nicht Gott spielen! Das funktioniert nicht! Wer nur auf sich selbst setzt, der gerät in den Teufelskreis der Angst sich zu verlieren. Die Ähnlichkeit mit Gott hat ER selbst nach dem Zeugnis der biblischen Schöpfungsgeschichte schon in uns Menschen angelegt. Wir können ihm also nahekommen, wenn wir wie Jesus versuchen, die Menschen bedingungslos anzunehmen und zu lieben. Dazu muss man sich allerdings entscheiden! Das muss man wollen und dabei auf die Hilfe und Gnade Gottes setzen! Was hindert, in einem Gebet diesen Willen auszusprechen?
Öffne mir Augen und Ohren
Herr, öffne meine Augen,
dass ich die Not der anderen sehe;
öffne meine Ohren,
dass ich ihren Schrei höre;
öffne mein Herz,
dass sie nicht ohne Beistand bleiben.
Gib, dass ich mich nicht weigere,
Schwache und Arme zu verteidigen.
Zeige mir, wo man Liebe,
Glauben und Hoffnung nötig hat.
Öffne mir Augen und Ohren,
damit ich für deinen Frieden wirken kann.
(aus: Patzek, Martin, Auf dein Wort Herr, Caritas-Gebete, Lambertus 1988)
Das Evangelium, das wir heute gehört haben, öffnet uns also die Augen für die Beziehung zu Gott und gleichzeitig für den inneren Zusammenhang dieser Beziehung zum Mitmenschen. Gottesliebe und Nächstenliebe gehören unbedingt zusammen.
Ich denke auch an die Enzyklika von Papst Benedikt XVI. „Deus Caritas est“. Er schreibt:
„(Nächstenliebe) besteht ja darin, dass ich auch den Mitmenschen, den ich zunächst gar nicht mag oder nicht einmal kenne, von Gott her liebe. Das ist nur möglich aus der inneren Begegnung mit Gott heraus, die Willensgemeinschaft geworden ist und bis ins Gefühl hineinreicht. Dann lerne ich, diesen anderen nicht mehr bloß mit meinen Augen und Gefühlen anzusehen, sondern aus der Perspektive Jesu Christi heraus. Sein Freund ist mein Freund. [...] Wenn die Berührung mit Gott in meinem Leben ganz fehlt, dann kann ich im anderen immer nur den anderen sehen und kann das göttliche Bild in ihm nicht erkennen. Wenn ich aber die Zuwendung zum Nächsten aus meinem Leben ganz weglasse und nur "fromm" sein möchte, nur meine "religiösen Pflichten" tun, dann verdorrt auch die Gottesbeziehung. Dann ist sie nur noch "korrekt", aber ohne Liebe. Nur meine Bereitschaft, auf den Nächsten zuzugehen, ihm Liebe zu erweisen, macht mich auch fühlsam Gott gegenüber. Nur der Dienst am Nächsten öffnet mir die Augen dafür, was Gott für mich tut und wie er mich liebt.“
(Enzyklika „Deus Caritas est“, Nr. 18)
Nicht eine Überforderung ist es, was Jesus da in seinem Anspruch an uns äußert. Es ist auch viel mehr als Mitmenschlichkeit und ethisch begründeter Humanismus, so wichtig die auch sind. Es ist unsere ureigene Berufung als Christen und uns von Jesus in unsere DNA als Menschen in seiner Nachfolge eingeschrieben: „Seid barmherzig wie es euer Vater (im Himmel) ist!“ (Lk 6,36).
Seid gesegnet und werdet Segen! Bleibt behütet in der Liebe Gottes!
Ihr P. Guido