"Alles ist möglich für Gott"
Predigt zum 28. Sonntag im Jahreskreis – B – Weish 7,7-11; Hebr 4,12-13 u. Mk 10,17-27
Da kommt einer zu Jesus, der, so sagt man es abschätzig, „mit einem goldenen Löffel im Mund geboren wurde“. Ein wohlhabender Mann, ein Reicher, kommt zu diesem Rabbi aus Nazareth. Offensichtlich hat er eine hohe Meinung von Jesus. „Guter Meister“ nennt er ihn, fällt sogar auf die Knie! Vielleicht war es ein wenig Schmeichelei, vielleicht aber auch ehrlich gemeint. Lassen wir es einfach so stehen. Jesus korrigiert die Meinung des Mannes: „Niemand ist gut außer der eine Gott“ (Mk 10,18b). Ja, es geht um die Beziehung, die Verbindung dieses Menschen mit Gott; will er doch wissen, wie er in seinem gläubigen Bemühen Sicherheit finden kann, um in das „Ewige Leben“, also zu Gott zu gelangen.
Jesus antwortet, wir haben es im Evangelium gehört, wie im Grunde jeder jüdische Rabbi damals es auch tun würde: Er verweist auf den Weg der Zehn Gebote, den die Bibel vorgibt (vgl. Ex 20,12-16 u. Dtn 5,16-20). Dabei fällt bei der Aufzählung der Gebote sofort auf, dass ihre Reihenfolge geändert ist. Der Schutz des Lebens und der menschlichen Gemeinschaft werden vor den Geboten genannt, die sich auf den Umgang mit materiellen Werten und auf die Sorge für die Eltern beziehen. Das hört sich an wie eine Art Gewissenspiegel. Die Gebote der Gottesverehrung, das sind die drei ersten im Kanon der Zehn Gebote – es gibt nur einen Gott, missbrauche nicht den Namen Gottes, heilige den Sabbat – nennt Jesus hier nicht.
Aber schauen wir weiter. Nun, der Mann hat, so könnte man es sagen, seine Hausaufgaben gemacht: „… alle diese Gebote habe ich von Kindheit an befolgt“ (Mk 10,20b) lautet sein Antwort. Fast könnte man annehmen, dass er die Suche nach dem „Ewigen Leben“ wie eine geschäftliche Unternehmung betrachtet, die man mit entsprechendem Vermögen angehen kann: Er handelt also wie ein Geschäftsmann. Jetzt wendet Jesus sich ihm neu zu. Wie einen Freund umarmt ER ihn und dann senkt er seine Einladung ganz tief in das Herz des Suchenden und sagt: „Eines fehlt dir noch…“ (Mk 10,21). Ja, ich nenne das, was Jesus diesem Mann sagt, eine Einladung. Es ist eine Einladung zur Freundschaft mit Jesus. Die aber kann wie der Weg zu Gott kein Geschäft sein. Sie führt über den Weg des Herzens. Im Herzen ist die Beziehung zu Gott verankert. Deshalb wirbt Jesus um ein volles JA der Gemeinschaft mit ihm, das nur möglich ist, wenn alles, was das Herz sonst besetzt, weggenommen wird. Der Mann ist eingeladen, so frei zu werden, dass er sich in der Nachfolge an Jesus binden kann. Sein Herz nun war allerdings mit seinem Vermögen besetzt, denn er entzieht sich der Einladung Jesu. Der Mann, so heißt es dann, war betrübt und ging traurig weg. Im Grunde kann man den griechischen Urtext, um die Dramatik des Augenblicks noch deutlicher zu zeigen, auch so übersetzten: „Sein Gesicht wurde finster und er ging traurig weg, denn er hatte ein großes Vermögen“ (Mk 10,22).
Die Gemeinde der Christen, das erschließt sich nach Markus aus dem Fortgang des Geschehens, hat die persönliche Adressierung der Nachfolge, die ja nur zur direkten Lebzeit Jesu möglich und an seine irdische Gegenwart gebunden war, und ebenso die Reaktion auf die Einladung Jesu, auf die nachösterliche Zeit übertragen. Sie hat aus dem besonderen und ganz persönlichen Ruf Jesu an den einzelnen den bleibenden Anruf an alle herausgehört. Das heißt: Alle haben auf dem Weg zu Gott und zum „Ewigen Leben“ danach zu schauen, wovon das Herz frei werden muss, um der Einladung Jesu zu folgen. Nicht jeder braucht seinen ganzen Besitz herzugeben oder gar sein Leben für Jesus und seine Botschaft aufs Spiel zu setzen. Jedem und jeder aber ist es aufgegeben, sich ganz konkret und in besonderer Weise mit der Einladung – der Berufung durch Jesus auseinander zu setzen. Das Bild vom Kamel und dem Nadelöhr wirkt wie ein sarkastischer Kommentar für jene, die sich dem Anspruch des Herrn verweigern. Es gibt nun mal Dinge und Haltungen, die eine solche Macht über den Menschen gewinnen können, dass der Weg zu und mit Gott unmöglich scheint: „Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt“ (Mk 10,25).
Es ist wiederum die Gemeinde, die in den Worten der Jünger dann fragt: „Wer kann dann noch gerettet werden?“ (Mk 10,26a). Die Antwort entspricht ganz dem Geiste Jesu: „… für Gott ist alles möglich“ (Mk 10,27). Gott bleibt immer der Größere, sein Tun und Handeln geschieht aus der Liebe und ist für den Menschen wunderbar, und seine Wunder sind Wunder der Liebe. „Alles ist möglich für Gott“ dieses Wort bindet zurück an IHN, der alles vermag. An uns ist es, zu vertrauen und uns beschenken zu lassen. Im Dunkel des irdischen Geschehens wirkt Gott verborgen zu unserem Heil. In der Unsicherheit menschlicher Wege gibt er allein die Gewissheit, dass wir unser letztes Ziel erreichen werden.
„Alles ist möglich für Gott“, das ist ein Wort des Trostes für alle, die im ehrlichen Bemühen dem je eigenen Anspruch Gottes gerecht zu werden versuchen und gleichzeitig immer wieder bemerken, dass sie stets hinter solchem Anspruch zurückbleiben. IHM, dem alles möglich ist, trotzdem zu vertrauen und Schritt für Schritt, wenn es auch kleine Schritte sein mögen, dem Menschensohn Jesus zu folgen, ist der wahre Weg zum „Ewigen Leben“, der Weg, an dessen Ende ER die Heiligkeit vollendet.
Ein Gedicht des Theologen Joachim Dachsel (1921-2008) mag hier den Weg bestärken:
An jenem Tag,
der kein Tag mehr ist —
vielleicht wird er sagen:
Was tretet ihr an
mit euren Körbchen voller Verdienste,
die klein sind wie Haselnüsse und meistens hohl?
Was wollt ihr
mit euren Taschen voller Tugenden,
zu denen ihr gekommen seid
aus Mangel an Mut,
weil euch die Gelegenheit fehlte
oder durch fast perfekte Dressur?
Habe ich euch
davon nicht befreit?
Wissen will ich:
Habt ihr die anderen
angesteckt mit Leben?
(An jenem Tage, Joachim Dachsel, Das Wort setzt über, EVA Berlin 1968, S. 59)
Bleiben wir auf dem Weg Jesu! Seid gesegnet und behütet!
Ihr P. Guido