
Predigt zum 2. Sonntag im Jahreskreis – B –
1 Sam 3,3b-10.19; 1 Kor 6,13c-15a.17-20 u. Joh 1,35-42
Da hat uns der Evangelist Markus also Jesus, den Gottes- und Menschensohn bei der Taufe am Jordan vorgestellt. Jesus, von Gott her, einzigartig mit dem Hl. Geist verbunden, wie es das große Glaubensbekenntnis sagt: „Wir glauben an den Hl. Geist, der Herr ist und lebendig macht, der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht …“ Gott wirkt einzigartig durch ihn und ebenso durch jeden und jede, die gleich ihm durch den Hl. Geist zu Geistträgern werden. Jesus und jene, die ihm folgen, sollen alle zum Leben, zu Gott hinführen.
Und heute hören wir aus dem Johannesevangelium von der Berufung von Menschen, die zu Jesu Jüngern werden und in seiner Nachfolge zu ebensolchen Geistträgern. Schauen wir auf diese Berufung und vor allem auf den Vorgang dieses Geschehens.
Drei Bezeichnungen sind es, mit denen Jesus da benannt wird: „Das Lamm Gottes“, der „Rabbi“ und der „Messias“, so haben wir gehört.
Jesus, „das Lamm Gottes!“ Dieser Hinweis des Täufers bewegt zwei seiner eigenen Jünger, Jesus nachzufolgen. Sie folgen Jesus nach und wollen zu ihm gehören. Was, so frage ich, steckt in dieser Bezeichnung „Lamm Gottes“, dass sie für Andreas und den anderen Jünger Motiv genug ist, alles auf eine Karte zu setzen, alles Bisherige hinter sich zu lassen und Jesus zu folgen? Die Bedeutung dieses Begriffes ergibt sich aus seinem religiösen Gehalt. Das Lamm galt in der Tradition des Judentums als eine für Gott besonders angenehme Opfergabe. Für das Erinnerungsmahl des „Pascha“ (Auszug aus Ägypten) war ein einjähriges und fehlerloses männliches Lamm vorgeschrieben (vgl. Ex 12,5). Beim Propheten Jesaja wird der Knecht Gottes mit einem Lamm verglichen, und zwar als Deutung seines Schicksals, weil er wie ein Opfertier die Sünde und Gottesferne der vielen trägt und sein Leben als Schuldopfer hingibt (vgl. Jes 53,7 und auch Jer 11,19). Es geht bei all dem um Entlastung, um Entschuldung. Nehmen wir einmal an, wir hätten eine übergroße Schuld und könnten sie nicht bezahlen, und da kommt einer und begleicht sie für uns. Wir würden aufatmen, wären ihm dankbar und auf ewig verpflichtet! Entlastung, Entschuldung, Aufatmen, eine neue Lebendigkeit, große Dankbarkeit – das sind nun genau die Erfahrungen, welche die frühen Christen mit Jesus gemacht haben. Genau das schlägt sich in den Worten des Täufers nieder.Sie haben die Verbindung zwischen den Prophetenworten und Jesus gesehen und die Erfahrung von Befreiung und Entlastung in Jesus machen können.
Wo wir ihm dann wie die Johannesjünger ihm wirklich begegnen und ihn nicht vorübergehen lassen (vgl. Joh 1,36), hören wir auf, vollkommen sein zu müssen. Da hören wir auf zu glauben, dass das Heil der Welt von uns abhänge. Da hören wir auf, unsere Schwächen und Grenzen zu verstecken. Wo wir ihm wirklich begegnen, kann uns aufgehen, dass nur eines wichtig ist: Sich loslassen – auf Jesus hin. In ihm wird nämlich deutlich, dass Gott nur eines sein will: Opferlamm, Liebe, die sich hingibt, Liebe, die sich verausgabt, ein offenes Herz und offene Arme – nichts als Liebe eben. Ist das nicht wahre Freiheit? Was müssen wir da noch sein, welche Fassade müssen wir aufrechterhalten? Wir dürfen uns fallen lassen in die Liebe hinein, in eine Liebe, die uns immer schon vorausliegt und die in uns eindringt und die uns dann auch vorwärtsdrängen will. Alles, was wir sind, können wir in diese Liebe hineinwerfen und dabei spüren: Wir sind angenommen und getragen, jetzt und immer!
Das ist es, was der Evangelist Johannes mit den Worten des Täufers auch seiner Gemeinde mitgibt und was die Kirche wirklich zur Kirche dieses Gottes macht: Eine Gemeinschaft, die ihre Entlastung, ihre Freiheit feiert und bezeugt, eine Gemeinschaft, die nicht auf die eigenen Kräfte baut, sondern Gottes Liebe wirken lässt. Wir müssen lernen, uns, wie die johanneischen Christen, um das Lamm Gottes zu scharen! Und es ist auch das, was die Menschen von heute in ihrer Vereinzelung und Sehnsucht nach Angenommen- und Geachtet-Sein brauchen und was ihnen von uns Christen als Gabe des Hl. Geistes zukommen kann, ja muss.
Die beiden Jünger sind jedenfalls so davon fasziniert, durch Jesus entlastet zu sein von Leistungszwängen, dass sie ihm folgen. Jesus wendet sich um und fragt: „Was sucht ihr?“ (Nicht plump: Was wollt ihr? – Joh 1,38). Jetzt sprechen sie Jesus mit einer zweiten Bezeichnung an: „Rabbi“. Der Evangelist übersetzt: Rabbi – Meister oder Lehrer bedeutet dieses Wort. Auf ganz andere Weise ist Jesus allerdings Lehrer: Er verkörpert den Sinn des Lebens, versinnlicht den letzten Hintergrund der Welt, das, worum es sich zu leben lohnt, er veranschaulicht die Hingabe, ja, die totale Verausgabung und Liebe Gottes für uns. Das kann man nur erfahren und erleben, darauf kann man sich nur einlassen. In das, was Jesus zu sagen hat, kann man sich nur „hineinbergen“. Deshalb fragen die Jünger: „Wo wohnst du?“ Deshalb gehen sie mit ihm, deshalb machen sie die Augen auf, um zu schauen, um durchzublicken – und bleiben dann bei ihm.
Und wieder wird vom Evangelisten eingespiegelt, was Gemeinde – Kirche sein muss: Orte, wo wir solche bergenden Erfahrungen machen dürfen und anderen davon erzählen, eine Erfahrungs- und Erzählgemeinschaft also. Kirche ist da, wo wir einander erzählen von dem, was uns im Letzten angeht, und wo wir deshalb auch ganz zu Hause sein können.
Einer der beiden Jünger im Evangelium ist Andreas. Und der erzählt nun weiter, wie und wo er „Heil“ gefunden hat. Er musses weitererzählen. Er kann gar nicht schweigen. So und nicht anders wird er für seinen Bruder Simon zum Glaubenszeugen! Er benennt Jesus mit einem dritten Namen, wenn er zu Simon, der dann Petrus genannt wird, sagt: Wir haben den „Messias“ gefunden. Und wieder übersetzt: Christus! – der Gesalbte, also mit dem „Hl. Geist“ begabte. Das ist kein Eigenname. Christus ist der von den Propheten verheißene, der von Gott her das Chaos ordnen wird. Andreas muss diese seine gefundene Erfahrung weitergeben, weitererzählen. Und dann muss er seinen Bruder zu Jesus führen, in dessen Nähe es sich aufatmen lässt. Womit wir nach Johannes wieder bei der christlichen Gemeinde sind, deren Aufgabe im Grunde nichts anderes sein kann, als Orte zu schaffen, an denen die Menschen Jesus begegnen können, wo sie angenommen sind, von Schuld befreit und an denen es sich aufatmen lässt und wo man miteinander über die Erfahrungen spricht und sie feiert.
Seien Sie so gesegnet und behütet! Ihr P. Guido