Wir müssen uns auf Antworten verlassen, die andere mitbringen
Predigt zum 3. Advent – A – Jes 35, 1-6b.10 und Mt 11, 2-11
Letzten Sonntag legte uns das Evangelium mit den mahnenden Umkehr-Worten des Täufers Johannes nahe, innezuhalten und den eigenen Lebens- und Glaubensweg zu betrachten. Bei solcher Betrachtung sieht man manches Positive und sicher auch das Negative. Eigentlich könnte man ja ganz zufrieden sein. Doch im Inneren melden sich Zweifel. „War das oder jenes, oder sogar der ganze Weg so, wie ich ihn gegangen bin und gestaltet habe, wirklich gut und richtig?“ Das Nachsinnen geht weiter. Und die Zweifel…
Nun, in seiner Gefängniszelle wird der Täufer Johannes auch von Zweifeln heimgesucht. Ist er doch überzeugt gewesen, dass jener, der nach ihm komme, aller Bosheit und Ungerechtigkeit durch hartes Durchgreifen ein Ende mache. Dabei ist ihm das Bild von der „Axt“ in den Sinn gekommen (vgl. Mt 3,10), mit der alle Bäume umgehauen werden, die keine guten Früchte bringen. So hat er gehofft, der „Stärkere“, der also „mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen“wird (Mt 3,11), werde die Feinde Gottes wie „Spreu in nie erlöschendem Feuer verbrennen“ (Mt 3,12). Er werde den bedrängten Gerechten zu Hilfe eilen. All das geschieht nicht. Also treibt ihn die Frage um, ob Jesus, auf den er gezeigt hat, denn wirklich der sein kann, der von Gott her Rettung bringen wird: „Da schickte er seine Jünger zu ihm und ließ ihn fragen: Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?“ (Mt 11,3).
Der alte Rabbi von Witebsk, so erzählt eine rabbinische Geschichte von Martin Buber, ging – auf Jesus als Messias angesprochen – zum Fenster, blickte hinaus und sagte: „Es hat sich nichts geändert.“ Also kann der Messias nicht gekommen sein. - Und wir heute können an die vielen Menschen denken, die in ihrem persönlichen Leid oder angesichts von Katastrophen, Kriegen, Hunger und Flüchtlingselend auch sagen: „Es hat sich nichts geändert“. Zweifelnd fragen auch wir: „Muss der, der von Gott her alles Unheil wenden soll, nicht erst noch kommen?“ angesichts einer Welt, die immer mehr aus den Fugen gerät.
Johannes hat erfahren müssen, dass der „Messias“, der „Retter“, „Erlöser“ und „Befreier“ auf ganz andere Weise gekommen ist, als er es angekündigt und sich vorgestellt hat. Statt nach der „Axt“ zu greifen, weiß Jesus sich von seinem Vater gesandt, nicht „damit er die Welt richtet, sondern dass die Welt durch ihn gerettet wird“ wie es der Evangelist Johannes später sagen wird (vgl. Joh 3,17). Besonders der Menschen auf der Schattenseite des Lebens nimmt sich Jesus an. Sie will er aus ihrer Vereinsamung herausholen und eine neue Verbindung zu Gott schaffen. Er will sie mit Gott versöhnen. Der Gott, den Jesus verkündet, handelt – man kann es gar nicht oft genug sagen – wie der gute Hirt, der dem verlorenen Schaf nachgeht, bis er es findet (vgl. Mt 18,12-14). Immer wieder spricht Jesus von seinem Vater als dem liebenden Vater, der seine Kinder einlädt, damit sie seine Zuwendung erfahren und anfangen, aus der beglückenden Gemeinschaft mit ihm zu leben. Alles, was Jesus sagt und tut, bezeugt Gottes unbegreiflich liebendes Entgegenkommen. Der Gott, den Jesus verkündigt, ist keiner, der Gewalt ausübt. Er zwingt niemand und bedrängt nicht. Er liebt und lädt ein zu lieben.
In seinem Zweifel, in seiner „Verunsicherung, fragt der Täufer also bei Jesus nach: „Bist du es wirklich?“ Und Jesus lässt dem Fragesteller ausrichten: „Blinde sehen wieder, und Lahme gehen; Aussätzige werden rein, und Taube hören; Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet“ (Mt 11,5). Es sieht so aus, als sei das keine Antwort auf die Frage, die der Täufer gestellt hat. Tatsächlich ist es eine Aufzählung der Taten, von denen der Evangelist Matthäus in den Kapiteln acht und neun seines Evangeliums erzählt und die Jesus als gottgesandten Messias ausweisen. Ja, Matthäus will in seinem ganzen Evangelium nachweisen, dass Jesus tatsächlich der angekündigte „Messias“ ist. Der Evangelist bezieht sich auf den Propheten Jesaja, um seinen Nachweis zu belegen (vgl. Jes 26,19; 29,18; 35,5f u. 61,1). Nach Matthäus gibt Jesus dem Täufer und auch uns zu verstehen: Was den Menschen in Wirklichkeit Frieden bringt. Was sie erlöst, was sie rettet, was sie frei macht, ist nicht die Gewalt einer Axt – überhaupt keine Gewalt und kein Zwang –, sondern erbarmende, entgegenkommende Liebe als Merkmal des Messias. Sie allein erlöst und verwandelt! Was sicher genauso wichtig ist: Wir haben diese Liebe und Barmherzigkeit anzunehmen und selbst umzusetzen in unserem Leben. Wir müssen Jesus fragen, wie das gehen kann.
Letztlich geht es uns dabei wie Johannes, dem Täufer. Und wie er, können wir Jesus nicht selbst fragen. Wir müssen uns auf Antworten verlassen, die andere mitbringen. Andere, das sind Menschen, die wir kennen, vielleicht unsere Großeltern oder Eltern, Lehrer oder Lehrerinnen, Priester, Ordenschristen oder auch ganz andere, die uns durch ihr Wort und ihr Leben in Jesu Auftrag erzählen, was sie gehört, und gesehen haben von Gott und seinem Tun. Seit den Tagen der Apostel erzählen sie uns, was Jesus wirkt, wie aufrichtend und heilsam sein Umgang mit allen ist, die um ihre Armseligkeit wissen. Sie erzählen von Menschen, die die Geschichte geprägt und verändert haben. Sie kennen Personen, die auch heute ganz im Sinne Jesu leben und Wunderbares bewirken. Sie können von Zeichen berichten, die Gewissheit schenken von der Nähe Gottes – aber immer in Anfechtung, nie in Reinkultur, immer als Hoffnungszeichen für etwas, das schon begonnen hat, aber noch nicht vollendet ist. „Das Reich Gottes ist schon zu euch gekommen“ (vgl. Mt 12,28) – seht ihr denn seine Zeichen nicht? So werden wir selbst gerufen, in unserer Umgebung die Vor-Zeichen zu sehen und wir lernen, auch andere durch unser Leben und unsere Worte darauf aufmerksam zu machen. Oder sind wir etwa wie das genannte „Schilfrohr, das im Wind schwankt“ (Mt 11,7) weil wir unsere Hoffnung und unseren Glauben verloren haben? Oder sind wir solche, die gut gekleidet in Palästen leben und von Gott nichts mehr erwarten…?
Gerade an diesem dritten Advent lenkt uns unser Blick vom Täufer Johannes zu uns selbst zurück. Überwinden wir die Verunsicherungen und die Zweifel! Strecken wir uns aus nach dem kommenden und wiederkommenden Herrn und rufen wir mit dem Apostel Paulus: „Freuet euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freuet euch! Denn der Herr ist nahe!“ (Phil 4,4.5).
Seien Sie so gesegnet und behütet! Ihr P. Guido
Tagestexte zum 3. Adventssonntag