Wer nach oben schaut, den zieht es nach oben
Predigt zum Hochfest Christi Himmelfahrt – Eph 1,17-23 und Lk 24,46-53
Die lettische Schriftstellerin Zenta Maurina (1897-1978) war während ihres ganzen Lebens an den Rollstuhl gefesselt. Ihr christlicher Glaube ließ sie alle damit verbundenen Behinderungen ertragen. „Was hat mein Unglück, mein Leid zu sagen, wenn ich die Kraft habe, glücklich zu sein?“ schreibt sie. Und: „Petrus ging übers Meer. Man kann also über ein Meer wandern, wenn man nur überzeugt ist, dass man nicht untergeht; auch über das Meer der Schmerzen. Und man ertrinkt, sobald man den Glauben verliert.“ (Zenta Maurina, Meine Wurzeln sind im Himmel, Memmingen 1979).
Als literarisches Resümee ihrer letzten Lebensjahre hat sie Aufzeichnungen hinterlassen, die nach ihrem Tod unter dem Titel „Meine Wurzeln sind im Himmel“ veröffentlicht wurden. Diese Verwurzelung im Himmel, die sie zuversichtlich dem Ende ihres Lebens entgegensehen ließ, erinnert uns an etwas, das auch unserem Leben tief eingeschrieben ist: Immer streben wir dorthin, wohin wir schauen, wohin wir uns ausrichten. Wer nach oben schaut, den zieht es nach oben, der hat seine Wurzeln im Himmel.
So gibt Jesu Blick nach oben die Zielrichtung seines ganzen Lebens an. Vor jeder Entscheidung hat er nach oben geschaut und sich verbunden mit dem Willen seines himmlischen Vaters. So ist seine Aufnahme in den Himmel folgerichtig die Vollendung seines Weges und das Ziel seines irdischen Lebens. Daraus könnten wir nun ableiten, dass Jesus mit seiner Himmelfahrt die Erde und damit uns Menschen verlassen hat. So mag es auch den Aposteln vorgekommen sein, die „unverwandt ihm nach zum Himmel schauten“, und die sich von zwei Männern „in weißen Gewändern“ in die irdische Wirklichkeit zurückrufen lassen mussten, wie es die Apostelgeschichte erzählt (vgl. Apg 1,10 f).
Der Theologe Karl Rahner schreibt dazu in seinen Betrachtungen zum Kirchenjahr: „Ist er uns fern, da er aufgefahren ist über alle Himmel? Ach, wann ist uns jemand nahe? Wenn wir ihn betasten und küssen können? (..) Oder sind das Gesten, die im Grunde doch nur zur Kategorie der Klopfzeichen gehören, mit denen die Gefangenen von Zelle zu Zelle ihre versperrte Einsamkeit morsen? Muss man nicht gestorben sein, "fern" geworden und so leben, um nahe zu sein? Muss man nicht abgestiegen sein - eingestiegen - ins Herz der Welt durch den Tod, um allem nahe zu sein, nahe von der geheimen Wurzel aller Dinge her?“ (Karl Rahner: 'Das große Kirchenjahr'. Freiburg 1987, S.302). Und die hl. Therese von Lisieux hat am Ende ihres Lebens gesagt: „Mein Himmel wird sich auf Erden ereignen, Ja, ich will meinen Himmel damit verbringen, auf Erden Gutes zu tun.“ Diese Sichtweisen von „Himmel“ können uns helfen, auch das Abschiedswort Jesu aus dem Johannesevangelium tiefer zu verstehen: „Euer Herz ist von Trauer erfüllt.... Doch ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich fort gehe, denn wenn ich nicht fort gehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen“ (Joh 16,6f).Erst in seinem Geist ist uns Jesus vollkommen nahe, ist er im Herzen der Glaubenden.
Himmelfahrt bedeutet daher keinen Abschied, wie wir ihn kennen. Deshalb finden wir im Evangelium des Lukas von der „Himmelfahrt“ Jesu einen kleinen, aber bedeutsamen Hinweis, der genau in diese Richtung zeigt. Dort kehrt der Auferstandene seinen Jüngern im Augenblick seines Weggangs, so wie ihn Lukas erzählt, nicht den Rücken zu, wie es bei jedem Abschied früher oder später geschieht, auch wenn man sich noch so oft umwenden und zurückwinken mag. Vielmehr bleibt Jesus den Jüngern zugewandt und segnet sie. „Und es geschah: Während er sie segnete, verließ er sie und wurde zum Himmel emporgehoben“ (Lk 24,31).
Karl Rahner, den ich noch einmal zitieren möchte, sagt es so: „Die Trennung, die das Fest aussagt, ist doch nur ein anderes Wort für die Nähe des Herrn in seinem Geist, der uns durch seinen Tod und seine Auferstehung verliehen wurde. Er ist also näher, als er je war, näher als damals, als er noch im Fleisch wandelte.“
Diese „Nähe des Herrn in seinem Geist“ möchte unser oft so enges und ängstliches Herz in die Weite des Himmels hinein aufsprengen. Das können wir wachen Herzens mitten in den unscheinbaren Situationen des Alltags erfahren. Und wo finden wir solche Augenblicke? Dort, wo der Geist des Herrn Freude und Freundlichkeit, Treue und Zuversicht, Liebe und Gemeinschaft im Alltag unseres Lebens wirkt, da erfahren wir den irdischen Weggang des Herrn als sein himmlisches Kommen, mitten hinein in unsere irdische Gegenwart. Dort können wir, wie es die zu Beginn genannte Schriftstellerin aus ihrer eigenen Lebenserfahrung aufgeschrieben hat, sogar über ein Meer von Schmerzen und Chaos wandeln, weil uns der auferstandene und erhöhte Herr trägt und hält.
So heißt es in einem geistl. Kanon (copyright: Junges Gotteslob, hersg. Patrick Dehm, Limburg/Lahn, Nr. 297):
Du bist da, wo Menschen leben, du bist da, wo Leben ist…
Du bist da, wo Menschen lieben, du bist da, wo Liebe ist…
Du bist da, wo Menschen hoffen, du bist da, wo Hoffnung ist…
Seien Sie so behütet, getragen und gesegnet! Ihr P. Guido
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