Was ist Unkraut?
Predigt zum 16. Sonntag im Jahreskreis (A) – Röm 8, 26-27 u. Mt 13, 24-30
Mehrere Gleichnisreden Jesu hat Matthäus im 13. Kapitel seines Evangeliums zusammen überliefert. Letzten Sonntag begegnete uns das Gleichnis vom „Sämann“ oder dem „vierfachen Acker“ (Mt 13, 1 – 23). Heute hören wir vom „Unkraut unter dem Weizen“ (Mt 13, 24 – 30). In der Folge ist noch das Gleichnis „vom Senfkorn“ und „vom Sauerteig“ eingefügt und dazu eine Erklärung des Unkrautgleichnisses (Mt 13, 31 – 43). Diese Sammlung der Gleichnisse Jesu und auch die noch folgenden verweisen darauf, dass es wohl als Jesu Absicht bezeichnet werden kann, die Geheimnisse der Schöpfung in Gleichnisform den Menschen zu vermitteln (vgl. Mt 13, 35 u. Mk 4, 33f). Auch an diesem Sonntag gibt die Liturgie die Möglichkeit, eines der Gleichnisse als Evangelientext vorzutragen.
Schauen wir also auf das Gleichnis „vom Unkraut unter dem Weizen“. Im Gegensatz zum Gleichnis vom vergangenen Sonntag, bei dem es ja um den Sämann und sein Tun ging, beginnen die nachfolgenden Gleichnisse nach Matthäus alle mit dem einleitenden Wort: „Mit dem Himmelreich ist es wie…“ Diese Einleitung gibt schon die Grundausrichtung des Gleichnisses an. Es geht eindeutig um den Kern der Verkündigung Jesu, um das Reich Gottes. Es geht also um den Raum und den Begegnungsort Gottes mit seiner Schöpfung, mit der Welt und dem Menschen. Gott will kein Fremder sein, keiner der weit weg ist, sondern mitten unter den Menschen, mit ihnen leben und für sie da sein. In Jesus hat er diesen entscheidenden Schritt getan, um die Grenzen der geschaffenen Welt zu überwinden und so eine Brücke zwischen Schöpfer und Geschöpf zu bauen. Er will einen Weg ermöglichen, um all das, was in ihm und was er selbst ist, mit den Menschen zu teilen. Das Himmelreich oder das Reich Gottes ist zum einen das Ziel am Ende und es ist gleichzeitig in Jesus schon jetzt Vollendung, weil in Jesus der gute Wille Gottes präsent ist bis in die Hingabe am Kreuz und im Heiligen Geist bleibt.
Schauen wir in die Natur wie das Gleichnis. Im Ackerbau gelten im Wesentlichen drei Zeiten: die Zeit der Aussaat, die des Wachsens und die Zeit der Ernte. Vergleichbar sind die Zeiten des Himmelreiches. Deshalb beginnt Jesus: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte. Es ist also schon ausgesät. Gott hat seinen Sohn – sein Wort – gesandt. Die Saat von Jesu Worten und Taten, die Saat seines Lebens und Sterbens und der Liebe Gottes ist ausgestreut. Sie keimt bereits. Die Zeit, in die das Gleichnis hineingesprochen ist – heute ist das unsere Zeit –, ist die Zeit des Wachsens. Wir, die wir heute das Gleichnis hören, müssen wissen: Die geistliche Qualität unserer Zeit ist die Zeit des Wachsens!
Nun findet sich mitten im Weizen Unkraut. Die Knechte des Gutsherrn sind aufgebracht. Nicht nur die gute Saat ist aufgegangen. Auch das Unkraut wächst kräftig heran. Lassen wir den benannten „Feind“ einmal beiseite, der das Unkraut unter den Weizen gesät hat. Der Acker ist ebenso wenig heil wie die Welt, in der wir leben. Gutes und Lebensfreundliches vermischt sich mit Bösem und Lebensfeindlichem. Der Acker unserer gemeinsamen Geschichte wie der unserer je eigenen Geschichte ist nun mal keine heile Welt. Die Alternativen: Entweder das Unkraut auszujäten oder abzuwarten. Der Gutsherr entscheidet sich für das Abwarten. Genau darauf liegt der Schwerpunkt des Gleichnisses. Der Herr lehnt es ab, das Problem kurzerhand zu lösen, und verlangt Geduld, bis sich bei der Ernte eine Lösung findet.
Hier wird ein Problem angesprochen, das uralt ist und dennoch damals wie heute aktuell: Warum lässt Gott in der Welt das Böse gedeihen und sich ausbreiten? Müsste nicht, da das Himmelreich ganz nahe ist, das Böse verschwinden? Möglich, dass man da auch von Jesus eine Antwort erwartet hat. Es hat zu allen Zeiten in der Geschichte der Kirche beginnend bei den älteren Geschwistern im Bund Gottes im Judentum, Versuche gegeben, das Ende, die heilige und vollendete Gemeinde der Endzeit zu verwirklichen. Es gab immer welche, die meinten, absolut Bescheid zu wissen. Die Geschichte der Menschen, die Jesus nachfolgten und nachfolgen bis hin zu uns und ganz bestimmt auch noch morgen, mit all den Irrwegen, mit Aufspaltungen, mit Sektierertum, mit Fundamentalismus und wie immer man es bezeichnen mag, sie alle leben mit der Versuchung und der Gefahr, zu vergessen, dass es nicht die Zeit der Ernte ist, sondern die Zeit des Wachsens. Das ist die Antwort Jesu, die Antwort Gottes.
Noch ist nicht Zeit der Ernte, sondern die Zeit des Wachsens. Und in dieser Zeit werden auch wir in Geduld hinnehmen müssen, dass beides wächst: Weizen und Unkraut, Gutes und Böses.
Keine Frage. Damit ist objektiv wie subjektiv schwer zu leben. Was da als Aussaat des Feindes wächst, behindert Leben. Wir spüren es in und an uns selbst. Es verursacht Leid. Es trennt Menschen. Es bedrängt und schädigt und bringt vom Weg ab. Dass die Knechte lieber jäten als zuwarten wollen, ist gut zu verstehen. Wenn man auf all das schaut, was schiefläuft nicht nur in der Kirche... Manchmal wäre es einem lieber, wenn das Gottesreich als Gericht in die Welt einbräche, um wirklich reinen Tisch zu machen, um Leid und Unheil zu beenden. Jesus hätte sich – so ein verrückter Gedanke – seine Passion ersparen können, wenn er das Jäten befohlen, das heißt, wenn er das Gericht Gottes über die Menschen gebracht hätte. Das aber war nicht sein Auftrag. Machen wir uns nichts vor! Es gibt das Gericht. Das Himmelreich, das in ihm und mit ihm anbricht, kennt die Zeit, die auch Gerichtszeit sein wird, wie es die Evangelien sagen: das ist die Zeit der Ernte. Jetzt aber ist die Zeit des Wachsens. Und für sie gilt, was der Apostel sagt: „Richtet nicht vor der Zeit!“ (vgl. 1Kor 4,5).
Es kommt die Zeit der Ernte. Um dieser Ernte willen braucht es Geduld: keine Geduld, der alles gleichgültig ist, sondern die Geduld des Gutsherrn, der, um der Ernte willen, an den guten Pflanzen hängt, die er nicht gefährden will. Sagen wir es doch im Klartext: Gott braucht ziemlich viel Geduld mit jedem einzelnen von uns, weil keiner von uns heil ist. Wenn wir ihm Raum geben in unserem Leben, dann dürfen wir von der Geduld Gottes mit uns leben, einer Geduld, die das in uns wachsen lassen möchte, was unser Leben gut macht und zur Entfaltung bringt. So finden wir den Weg zu ihm.
Seien Sie in diesem Sinn gesegnet und bleiben Sie behütet! Ihr P. Guido