Viele wenden sich ab, erzählt Johannes. Und wie ist es heute?
Predigt zum 21. Sonntag im Jahreskreis (B) – Jos 24,1-2a.15-17.18a und Joh 6,60-69
Es war gewissermaßen ein kleiner, aber nicht unwichtiger Abstecher, auf dem uns letzten Sonntag, dem 15. August, die Gottesmutter Maria als bei Gott vollendete Schwester des Glaubens begegnet ist.
Heute wollen wir den mit dem 17. Sonntag im Jahreskreis begonnenen Bogen der Evangelien-Texte nach Johannes in diesem Markusjahr zu Ende führen. Damals hörten wir, wie Jesus die Vielen satt gemacht hat. Daraufhin wollen sie für immer dieses Brot (vgl. Joh 6,34). Er aber möchte einen anderen Hunger wecken und stillen, den Hunger nach Sinn und nach Leben, einen Hunger nach Gott. DiesenHunger will er stillen mit seinem Wort und mit dem wahren Brot des Himmels, mit der Eucharistie, von der er sagt: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag.“ Doch das begreifen sie nicht oder wollen es nicht begreifen. Sogar viele der Jünger Jesu meinen: „Was er sagt, ist unerträglich. Wer kann das anhören?“ (Joh 6,60).
Auf einmal ist Jesus inmitten der vielen Menschen ganz allein. Aber er versucht nicht, Menschen oder auch die Jünger mit irgendwelchen Kompromissen zu halten. Er versucht nicht, seine als „hart“ empfundenen Worte abzuschwächen. Er versucht nicht, irgendjemand um jeden Preis an sich zu binden. Da steht mitten in dieser Glaubenskrise sein freisetzendes Wort: „Wollt auch ihr weggehen?“ Er gibt sie frei. Sie sollen entscheiden. Jesus will keine Marionetten, keine Nachläufer, sondern Männer und Frauen, die mehr im Sinn haben als Brot, das nur für Stunden sättigt, die einen Hunger verspüren nach der Fülle des Lebens. Er will Menschen, die Hunger haben nach Gott. Es ist großartig, wie der Evangelist Johannes, der ja als sogenannter „Lieblingsjünger“ Jesu dem Innersten des Herrn besonders nahe war, seiner Gemeinde und damit uns heute, diese wunderbare Haltung Jesu, dieses echte Zeichen der Liebe – denn die Liebe ist ein Kind der Freiheit – vermittelt.
Für den Menschensohn Jesus ist es im Grunde das zweite große Wagnis, mit dem er den Blick auf Gott neu öffnet: Menschen, die ihm gefolgt sind, freizugeben, sie nicht festzuhalten, sondern neu in die Entscheidung zu rufen. Das ersteWagnis war es, unter die Menschen zu gehen, vom nahen Reich Gottes zu sprechen und Menschen um diese Botschaft zu sammeln – aber dabei kann es nicht bleiben; denn echte Bindung bedarf der immer neuen Entscheidung zur Treue. Nur so, ohne zu resignieren, auch bei Schwierigkeiten immer wieder anzufangen und dranzubleiben, verleiht seiner Botschaft und der Gemeinde seiner Jünger die Beständigkeit, die sich auch in Krisen bewährt.
Deshalb lassen sich auch die um Jesus, auf das Wagnis ein, und Petrus gibt die Antwort: „Herr, wohin soll wir denn gehen? Du allein hast Worte des ewigen Lebens“ (Joh 60,68). Und damit meint er gewiss nicht ein angelerntes und nur oberflächliches Glaubensbekenntnis. Das trägt nicht in einer solchen Situation. Das trägt nie! Er spricht vielmehr ihre persönliche Erfahrung mit ihrem Herrn an. Der Glaube muss durch das eigene Leben hindurch – er muss durch Herz und Verstand –, damit er standhalten kann. Das ist die Dynamik des Lebens, in dieser Krise und in den folgenden jeweils neu und frei Ja zu sagen und den Weg mit Jesus weiterzugehen.
Ich denke, wir sind mit diesen Überlegungen ganz nah bei unserer heutigen Glaubenssituation und der Krisensituation der Kirche. Gott will uns helfen, über unseren begrenzten Horizont hinauszugreifen. In Jesus, Gottes menschgewordenem Sohn, bietet er uns Menschen die Dimension des Neuen Lebens der Gemeinschaft mit ihm an. Das ist nicht nur einfach ein Sinnangebot. Es ist das Angebot der Verwandlung des Lebens. Viele wenden sich ab, erzählt Johannes. Und wie ist es heute? Viele wenden sich ab von der Kirche, der Trägerin der Botschaft. Ich denke dabei nicht nur an jene, die der Kirchensteuer wegen die Kirchengemeinschaft verlassen; da sind auch die, die sich stillschweigendverabschieden oder wegen des sexuellen oder wegen Machtmissbrauchs von Amtsträgern enttäuscht Anstoß nehmen am Erscheinungsbild der Kirchen und deshalb weggehen. Was bedeutet es hier, ein Wagnis einzugehen und die immer wieder neue Entscheidung zum Glauben zu treffen? „Herr, gib uns Mut zum Glauben, an dich den einen Herrn“ (vgl. GL 448,4).
Ich kann jene, die weggehen, in ihrer Enttäuschung und in ihren Verletzungen verstehen. Uns allen aber muss bewusst sein: Die Kirche ist keine perfekte Gemeinschaft. Sie ist immer auch eine Kirche der Sünder. Sie ist aber auch von Jesus her der gottgewollte Weg des Heiles. Und so wünsche ich mir eine Kirche, die wie Jesus auf Glaubenskrisen und -hemmnisse reagiert. Der Evangelist sendet diese Botschaft an seine eigene Gemeinde und auch an uns. Ich wünsche mir eine Kirche, welche die Menschen freisetzt und ihnen eine gute Entscheidung zutraut. Dazu muss die Institution hinter die Botschaft, sprich hinter Jesus zurücktreten. Das betrifft alle, die Verantwortung tragen, aber auch und nicht zuletzt die Glaubwürdigkeit unserer Gemeinden. Und es betrifft unser unmittelbares Umfeld, unsere Familien und unsere Gemeinschaften. Alles Einüben in den Glauben kann nur Einübung in die wachsende Freiheit der Liebe sein und in mehr wirkliche Solidarität im Miteinander des Glaubens und im Austausch der Erfahrungen. Das schließt die Möglichkeit mit ein, dass es welche gibt, die weggehen und nach anderen Wegen suchen. Aber nur so wird das Wagnis des Glaubens möglich, das allein weiterträgt. Wer als Christ glauben will, der muss zu Jesus Christus Position beziehen. „Wohin sollen wir gehen?“ sagt Petrus: „Du Herr, hast Worte des ewigen Lebens.“ Der Weg in die Zukunft des Glaubens und der Kirche kann nur mit Jesus, dem ewigen Wort des Vaters im Himmel gelingen.
Die Antwort auf die Glaubenskrise unserer Tage könnte dann in dem Bemühen der Glaubensgemeinschaft bestehen - und sie müsste vom Amt in der Kirche dazu ermutigt werden -, neue Lebensräume zu erschließen, wo sich gute Erfahrungen mit Gott und miteinander machen lassen, Erfahrungen von Angenommensein und Gemeinschaft, von Gerechtigkeit und Versöhnung, ohne Besserwisserei und Bevormundung, ohne Verurteilung und Druck. Dann werden Freiräume geschaffen, die zum Glauben ermutigen. Da ist jeder und jede von uns gefragt!
Die Zwölfdamals, jene unmittelbar bei Jesus, haben es getan. Sie bleiben bei ihrem Herrn. Sie antworten ihm auf die Frage: Wollt auch ihr weggehen? so: „Herr, zu wem sollen wir gehen. Du hast Worte des ewigen Lebens.“Glaube wurzelt in der persönlichen Zuwendung, vom ICH zum DU, von Gott zum Menschen, vom Menschen zu Gott und von Mensch zu Mensch. Das gilt es, mehr zu erfahren und sichtbar zu machen. Wir glauben doch nicht an irgend etwas, sondern wir glauben an den, dessen Worte Geist und Leben sind.„Herr, gib uns Mut zu diesem Glauben!“ Du allein bist der Weg, die Wahrheit und das Leben!
Seien Sie behütet und gesegnet! Ihr P. Guido