Kann man sich die Aufnahme Mariens in den Himmel als physisch und greifbare Erhebung vorstellen, sozusagen aus dem Grab heraus und „hopp!“ in den Himmel hinein, als etwas vielleicht sogar, das man dokumentieren könnte, mit dem gezückten Smartphone etwa? Solche Vorstellung wird dem Glauben und der Glaubensaussage, dass die Gottesmutter mit Leib und Seele von Gott in den Himmel aufgenommen wurde, nicht gerecht. Warum? Nun, Glaubensaussagen, „Dogmen“, wie das theologische Fachwort für feste Glaubensworte heißt brauchen immer den Bezug zu denen, die glauben. Also Worte des Glaubens brauchen die Verbindung zur Fähigkeit des Glaubens, sie brauchen die Übersetzung in unser irdisches Leben. Konkret müssen wir uns vergewissern, was das Wort des Glaubens (Dogma) von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel für unseren irdischen Glaubensweg bedeutet und welche Auswirkungen es so für den Alltag deines und meines Glaubens hat.
Darf ich dazu eine Überlegung, einige Gedanken äußern?
Das kennen wir: Manchmal gibt es Situationen und Augenblicke im Leben, aus denen man nur raus möchte. Manchmal empfindet man eine Zeit so sehr bedrängend, dass man sie ganz schnell hinter sich lassen möchte. Da möchte man eine Krankheit überstanden haben, den lästigen und beängstigenden Termin abhaken, die Zeit der Trauer weiterdrehen und überwinden.
Manchmal möchte man ein anderer sein, oder eine andere, ein anderes Leben haben, sich verändern, verwandeln in den, der man immer sein wollte, in die, die nie so richtig leben durfte.
Manchmal möchte man einfach anders, verwandelt sein...
Schauen wir auf Maria, ein Mädchen, eine junge Frau, und ihre Geschichte. Ein Niemand und dann Schlag auf Schlag Veränderung, Verwandlung: von der Jungfrau zur Mutter, Mutter Gottes, Wegbegleiterin ihres Sohnes, Schmerzensmutter... Als der Engel, so wie es im Evangelium erzählt wird, zu ihr kam, wie mag es ihr gegangen sein? Dann die Schwangerschaft! Beachte: Sie war ledig, die Zweifel Josefs, ihr Sohn, den sie auf seinem Weg treu begleitet. Wie fremd wird er ihr, dann hält sie ihn tot in ihren Armen... Maria, ein besonderer Fall!
Mariens Lebensgeschichte, so wie das Evangelium von ihr erzählt, trägt in sich ein großes Geheimnis: Das Geheimnis der Verwandlung durch den Glauben an Gott. Weil Maria sich immer wieder ganz dem unnennbaren Gott öffnet und sich an Gottes Wort hält, das ihr begegnet und bewusst wird – es wird von Lukas erzählt, dass sie alle Worte, die sie hört, im Herzen bewahrt und bedacht hat (vgl. Lk 2,19), – ist sie aktiv hineingenommen in das göttliche Handeln der Erlösung. Was an ihr und durch sie exemplarisch und einmalig geschieht mit ihrer Einwilligung Zeit ihres ganzen Lebens, ist Ur-Bild für das, was durch den Glauben an allen geschehen soll, denen Gottes Liebe gilt: Den sie unter dem Herzen getragen hat, er ist Gottes Sohn, der durch Tod und Auferstehung zur Fülle des Lebens führen will. Sie, die Frau namens Maria wird durch ihr Ja zu Gott Gottesmutter, und die Sterbliche wird auf ihrem Lebensweg verwandelt zur Himmelskönigin.
Der Weg wie man also das Glaubenswort, das Dogma von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel verstehen und deuten kann, führt über den Lebens- und Glaubensweg des Menschen Maria, der Frau, die sich ganz in den Dienst Gottes stellte.
In einem geistlichen Musical mit dem Titel „Ave Eva“ haben in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts der Texter Pfarrer Wilhelm Wilms und der Musiker Peter Janssens einen kleinen Liedvers aufgeschrieben, indem sich das Gesagte verdichtet. Er lautet: „...und sie hat sich verduftet, die schönste Blume der Welt...“ Maria, das einmalige Geschöpf Gottes, wird als schönste Blume der Welt beschrieben. Im Liedvers nun wird Bezug auf eine alte Legende über die Aufnahme Mariens in den Himmel genommen, in der erzählt wird, dass man nach ihrem Tod und ihrer Aufbahrung durch die Apostel ihren Leichnam plötzlich nicht mehr sah. Dafür aber war ein wunderbarer Duft von vielen Blumen im Raum. Im Musical schließt sich später ein Jubelgesang an, in dem es heißt: „Der Himmel geht über allen auf, auf alle über, über allen auf!“ Maria, das wird hier ganz wunderbar gesagt, ist Urbild des Glaubens und Urbild der Vollendung des Glaubens.
„Und plötzlich riecht's nach Himmel“, so hieß auch ein Buch, in dem von der Verfasserin versucht wurde Räume des Lebens für das religiöse Leben zu erschließen (Jutta Schnitzler-Forster, Ostfildern 1997). Etwas, das uns allen gerade in unseren Tagen gut zu Gesicht steht. Dort, wo das Leben sich wandelt, verwandelt aus dem Glauben, wo wir es leben im Vertrauen auf Gottes Wort und seine Nähe, dort nämlich „riecht's nach Himmel“.
Das heutige Fest will uns helfen, dafür die rechte Sensibilität zu entwickeln. Maria ist Glaubens- und Wegbegleiterin durch ihren eigenen Weg und Glauben. Sie gibt Hilfe für die Richtung unseres Weges der Verwandlung aus dem Glauben. Sie hat ihren Weg der Verwandlung vollendet: Sie hat sich, wie das Musical sagt, „verduftet“ in Gottes große Liebe, in die ewige Gemeinschaft des Himmels. Wir dürfen uns an ihr orientieren. Und wir dürfen darauf vertrauen, dass auch an uns aus dem Glauben Verwandlung bis hin zur Vollendung in Gott geschehen wird.
Lassen wir uns überraschen: „...und plötzlich riecht's nach Himmel...“
Seien Sie gesegnet und behütet!
Ihr P. Guido