Über die Weite und Freiheit
Predigt zum Dreifaltigkeitsfest
Röm 8,14-17 und Mt 28,16-20
Antoine de Saint-Exuperyerzählt in einem seiner Bücher eine Begebenheit aus seiner Jugend. Auf einem Bauernhof beobachtete er, wie die Hausgänse Tag für Tag ihren Weg nahmen, vom Futtertrog im Stall zum Weiher und vom Weiher wieder zurück zum Stall. Einmal aber widerfuhr ihnen Ungewohntes: Eine Schar wilder Gänse flog über sie hinweg. Die Hausgänse schauten hinauf und sie versuchten sogar, es ihren Artgenossen gleichzutun und mit den Flügeln zu schlagen, um so in die Weite und Freiheit zu kommen. Dann aber waren die wilden Gänse verschwunden, und die Hausgänse kehrten zu ihrer Gewohnheit zurück und watschelten vom Weiher zum Stall und vom Stall zum Weiher, ganz so, als ob sie nie etwas anderes gesehen, als ob sie nichts von der Freiheit und Weite gespürt hätten, aus der doch auch sie gekommen waren und die ihre Bestimmung waren.
In der Lesung aus dem Römerbrief vorhin haben wir etwas von der Freiheit und Weite gehört, für die wir bestimmt sind: „Ihr habt nicht einen Geist empfangen, der euch zu Sklaven macht, so dass ihr euch immer noch fürchten müsstet, sondern ihr habt den Geist empfangen, der euch zu Söhnen und - ich ergänze Paulus hier gerne - Töchtern macht, den Geist, in dem wir rufen: Abba, Vater!“ (Röm 8,15). Weite und Freiheit, das sind Wesensmerkmale des Christseins und ebenso Gottes.
Davon hörten wir auch im Evangelium. Weite, sie ist eine Qualität des Matthäusevangeliums sowieso. Am Anfang schon, in der Kindheitsgeschichte, sind es nicht wie bei Lukas die Hirten und die Frommen des Landes, sondern es ist sofort die ganze Welt versammelt, stellvertretend in den Sternkundigen, die von weither kamen; und auch am Ende, von dem wir gerade hörten, wird auf die ganze Welt und auf alle Völkerverwiesen. Ja, es geht um die Weite und Freiheit Gottes, von dem wir den Geist empfangen haben, der uns zu Söhnen und Töchtern macht (vgl. Röm 8,15)und uns beauftragt, zu taufen „auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Mt 28,19). Der Namen, das verweist uns auf die Einzigkeit Gottes – des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes –, und so auf sein Wesen und Wirken in der erfahrbaren Geschichte des Glaubens und der Beziehung zu ihm und so auch auf die Verschiedenheit. Das aber ist das Bekenntnis zum Geheimnis Gottes – die Verschiedenheit und Einheit – Wesen und Wirken – Nähe und Fernsein. Und wie begegnen wir diesem Geheimnis? Wir müssen danach fragen!
Im Grunde suchen wir Fragen des Lebens auf zwei Arten zu lösen. Wir können sachlich eine Lösung suchen: bei einem technischen, einem finanziellen oder einem organisatorischen Problem zum Beispiel; dann fragen wir nach der prinzipiellen Lösbarkeit auf der Sachebene. Und wenn wir es gelöst haben, ist das Problem auch nicht mehr von großem Gewicht. Es ist erledigt, so wie kaum jemand ein Kreuzworträtsel, das er einmal gelöst hat, noch einmal lösen wird. Aber es gibt auch die anderen Fragen im Leben, Fragen, die etwas zu tun haben mit dem Inneren, mit der Beziehung, mit dem Sein und Wesen, mit dem Geist von Söhnen und Töchtern und nicht von Sklaven (vgl. Röm 8,15) wie Paulus es sagt. Wenn wir so nach dem fragen, was das Leben eigentlich ist, was der Mensch ist, was Liebe, was Sterben ist und dann auch, wer Gott ist, dann fragen wir nicht nach einer Sachebene, sondern nach dem Geheimnis. Und wir dürfen vermuten, dass so ein Geheimnis nicht leicht lösbar ist, wenn überhaupt. Aber, indem wir danach fragen, tasten wir uns voran und kommen vielleicht weiter. Zu einem Ende, zu jenem Punkt also, an dem wir sagen könnten, das ist jetzt ein für alle Mal gelöst, kommen wir wahrscheinlich nicht. Das bedeutet im Umkehrschluss: Einen „Gott“, den wir absolut kennen könnten, durchschauen und erklären könnten, wäre nicht Gott, sondern eine Fiktion, eine Einbildung. Das heißt auch: Fragen, das gehört wesentlich zur Weite und Freiheit der Kinder Gottes, zu fragen gehört wesentlich zum Christsein. Die bewegenden Dinge des Lebens sind jene, nach denen wir so immer wieder fragen müssen und auch nur fragend vorankommen, aber nie dorthin gelangen, wo das Fragen aufhört, es sei denn wir begegnen dem selbst, der die Frage ist.
Und so haben wir auch fragend unser Leben zu bestehen und nicht mit absoluten Fakten, wie ich die vorläufigen Sicherheiten einmal nennen möchte. In dieser Haltung des Fragens, das ausgeht von Vernunft und Herz, gilt es auszuharren, was nicht immer leicht ist. Nur Ideologen und Fundamentalisten haben auf alles eine exakte Antwort. Sie sind sich sicher, wie sie die Welt einzuteilen haben, was gut und was böse ist beispielsweise und vor allem letztlich, wer Gott ist. Sie haben ihre vorgefertigten Ansichten. Das ist sicher ein falscher Weg. Wir haben es gerade in der Begegnung mit dem SarsCov2-Virus erfahren, dass es selbst in den Naturwissenschaften keine absolut endgültigen Antworten gibt! Es geht darum, so zu fragen, wie beispielsweise Ijob Gott gefragt hat, warum ihm denn so Entsetzliches widerfahren ist – seine Familie, sein Besitz bis hin zu seiner Gesundheit, alles wird ihm genommen, wie wir im Buch Ijob lesen. Er hatte keine Antworten. Seine besserwisserischen Freunde wohl. Dann aber tritt Gott selbst auf, und zu den Freunden, die die Antworten „wussten“, sagt Gott zweimal: „Ihr habt nicht recht von mir geredet so wie mein Knecht Iiob (Ijob 42,7f), - obwohl der doch immer Gott fragte und das manchmal auf wenig respektvolle Art. So stehen wir an diesem Dreifaltigkeitssonntag fragend vor dem Geheimnis Gottes, jenes Gottes, der einzig ist und dreifaltig zugleich. Wir haben keine Antworten, aber das Fragen führt uns weiter. Es führt uns hinein in die grenzenlose Weite Gottes und hinein in die Begegnung und Beziehung mit dem Einen und Dreifaltigen, mit Vater, Sohn und Geist. Wir brauchen keine Angst zu haben vor der Freiheit zu fragen. Denn der Text des Evangeliums heute endet mit den Worten: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Damit erinnert Jesus an den Namen Gottes: Jahwe – der Lebendige ist sein Name – und der bedeutet: Ich werde mit euch und für euch in eurer Geschichte da sein (Ex 3,14). Und Geschichte ist nicht nur Zeit miteinander, sondern gemeinsames Leben und erleben. Nach IHM müssen wir fragen, immer und immer wieder. Dazu sind wir bestimmt.
Seien Sie gesegnet und behütet in Gottes Liebe! Ihr P. Guido