Das Ziel der Weggemeinschaft Jesu mit seinen Jüngerinnen und Jüngern ist Jerusalem. Dort wird sich alles vollenden… Sie kommen vom See Genezareth, sie ziehen durch die Dörfer Galiläas, kommen Jerusalem nahe, wenden sich wieder hin zur Jordangegend, Jericho liegt auf ihrem Weg… Dieser Weg erinnert an den Weg der Gemeinschaft Israels von Ägypten durch die Wüste ins verheißene Land, Weg von Unterdrückung und Knechtung, hin ins Leben. Lukas führt uns vor Augen, dass das „Neue Volk Israel“ – die Kirche, wie unter Mose die Gemeinschaft der Hebräer durch die Wüste zieht, begleitet und geformt von Gott, so erfährt die Gemeinschaft um Jesus, seine Nähe, seine Botschaft, seine Formung.
„Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben“ (Lk 12,32). – Das Reich Gottes. Das ist kein ferner und unnahbarer Ort, kein Traum und keine Utopie. Gott will dem Menschen unmittelbar begegnen. Was dem Volk Israel verheißen und schon begonnen, in Jesus und in seiner Menschwerdung wird es unwiderruflich greifbar. Da ist Gottes guter Wille, der sein Ja und Amen spricht, sein „es geschehe“. So hat – und die Geschichte Israels erzählt davon bis zu Jesus hin - das Leben begonnen, die Vollendung des Lebens, hat Gott sich den Menschen zugewandt, hat die Väter und Mütter des Glaubens seit Urzeiten über Abraham und Sarah, über David, über die Propheten begleitet. Er will eine enge Verbindung mit seinem Volk, damit die Welt erkennen kann: Er ist ein naher Gott, einer der die Not und die Tränen der Menschen teilt und der mit ihnen geht auf dem Weg des Menschseins über Höhen und Tiefen bis durch den Tod hindurch. Es ist seine Absicht, dass er zum Menschen kommt und so der Mensch zu ihm, in sein Reich, in seine Gemeinschaft, in seinen Himmel, in die Fülle des Lebens.
Diese Nachricht für den Menschen ist eine Einladung, den oft genug menschlich begrenzten Horizont zu überwinden. Nicht als Utopie zur Besiedelung anderer Planeten, sondern als Auftrag, mit Gottes Hilfe unsere Erde und unser Leben so zu gestalten, dass sie lebenswert bleiben und immer mehr werden können. So finden wir den Weg mit Gott.
Wir, die Gemeinschaft um Jesus, Jünger und Jüngerinnen, Männer und Frauen, alle, die ihm nachfolgen, die Ge- und Berufenen, die Kirche, wir müssen uns vergewissern, wie dieses Leben mit Jesus sich gestaltet, wie wir mit ihm auf dem rechten Weg bleiben. Auch wir wollen und sollen ja die Berührung von Himmel und Erde, die Nähe des lebendigen Gottes spüren und erfahren. Das Evangelium und gerade Lukas, der Evangelist mit seiner besonderen Sichtweise helfen uns dabei. Was in der Kirche als Geschichte des Weges mit Jesus lebendig ist, bringt er ins Wort und gibt es uns weiter. Und er sagt: Euer Weg ist Gottes Weg. Schaut mit seinen Augen und fühlt mit seinem Herzen. Seht die Not eurer Welt! Habt offene Herzen und teilende Hände, um die Not zu lindern! Schaut auch in eurem eigenen Leben auf das, was wirklich notwendig ist, Lebens-notwendig! Und denkt daran immer, das größte und schönste ist euch schon gegeben, das Geschenk der Nähe und Liebe Gottes, die Fülle des Lebens in Jesus!
Das ist euer Werkzeug und eure Zurüstung für diesen Weg. Bleibt wachsam und aufmerksam. Eure Hüften sollen gegürtet sein und eure Lampen brennen (vgl. Lk 12,35f), so begegnet ihr ihm, der Lebensfülle, wie er es selbst sagt, in den Hungrigen und Durstigen, in den Alleingelassenen und Vergessenen, in den Fremden und Kranken, und… und…
Das ist klar, die Last der Verantwortung ergibt sich aus dem, was anvertraut ist. – Gottes Herrschaft und Reich ist uns anvertraut. In der Nachfolge Jesu und als Menschen, die auch heute mit ihm unterwegs sind, sind wir – jeder und jede einzelne und wir als Gemeinschaft – Gottes Zeichen seiner Verbindung mit dieser Welt. Gemeinsam herausgerufen, gemeinsam Kirche sollen wir sein. Papst Franziskus hat es einmal so formuliert: „Ich träume von einer Kirche als Mutter und Hirtin.“ Und er zeichnete eine Kirche, die nicht verurteilt, sondern verzeiht, die nicht moralisierend von oben herab belehrt, sondern einfühlsam auf Augenhöhe begleitet, die nicht missbräuchlich Menschen verwundet, die vielmehr mitgeht, mitempfindet und heilt, wo Menschen schwach und verwundbar sind. Solcher Art ist Kirche kein Selbstzweck. Vielmehr ist ihre Zeugenschaft ausgerichtet auf den wiederkommenden Herrn, der von einer Hochzeit zur Feier eines neuen Festes kommt. Er ist der gottgesandte Erlöser, der Befreier, der Menschen- und Gottessohn, der uns zu einem neuen Leben führt.
Nehmen wir doch einmal an Du stehst am Meer. Du greifst in die Wellen, um Wasser zu schöpfen. Und schau: Das Wasser, das Du schöpfst, es zerrinnt Dir zwischen den Fingern. Das ist ein Bild für den Menschen in seinem Streben und seiner Sehnsucht nach Leben. Das Wasser, das Du mit deinen Händen schöpfst, steht für all das Leben, für Deines und das der Deinen. Es zerrinnt Dir zwischen den Fingern. Du kannst es nicht festhalten. –
Und dann schaust Du hoch und siehst das Meer. Und Du begreifst: All das Wasser, das Du in der Weite des Meeres siehst, es steht für die unendliche Fülle des Lebens, das Gott schenkt, für das ewige Leben, das der Herr Dir aus Liebe erwarb. Du wirst dieses Leben wie das Wasser des Meeres mit Deinen Händen niemals fassen können. Nur mit ihm kannst Du fassen, was diese Fülle bedeutet, weil er sie Dir schenkt.
Seien Sie in der Fülle der Liebe gesegnet und behütet!
Ihr P. Guido