Predigt zum 12. Sonntag im Jahreskreis – C – Sach 12,10-11;13,1; Gal 3,26-29 u. Lk 9,18-24
Obwohl ich gar nicht mehr weiß, wo ich es gesehen habe, ist das Bild noch deutlich vor meinen Augen. Man sieht auf dem Bild nur den sehr muskulösen Oberarm eines jungen Mannes. Der Arm ist voller Tätowierungen. Ganz oben auf dem Arm, fast schon an der Schulter, ist ein etwas lädiertes Herz tätowiert und trägt die Aufschrift „Love“ - Liebe. Unter dem Herzen mit dem Wort Liebe stehen nacheinander vier Mädchennamen: Sabina, Birgit, Claudia, Daniela. Jeder dieser Namen ist fein säuberlich durchgestrichen, anscheinend ist die Liebe zu Ende oder ungültig. Nur der fünfte Name, Katja - der steht schon fast am Ellenbogen - ist nicht durchgestrichen: Dieser Name gilt wohl gerade. Was bedeutet solch eine Tätowierung? Was sagt sie aus? Vielleicht dies: Eine Beziehung nach der anderen wird abgehakt. Vier Namen sind schon durchgestrichen, der fünfte Name ist noch aktuell; aber der Unterarm hat noch viel Platz für neue Namen auf der Suche nach dem Glück. Da bestimmt jemand seinen Wert von anderen her. Auch wenn Beziehungen schnell ein Ende finden und Treue und Liebe weniger bedeuten. Ich frage: Kann man so den Weg durchs Leben finden und die eigene Identität entdecken, das eigene Sein und auch entsprechende Erfüllung im Leben?
Das Evangelium von heute legt eine andere Spur.
Da wird von Jesus den Jüngern die Frage gestellt, wie die Menschen ihn sehen und wahrnehmen und wofür sie ihn halten. Jesus fragt nicht, weil er sich vom Urteil der Menschen abhängig machen will. Vielmehr will er mit denen, die mit ihm unterwegs sind, etwas Entscheidendes an Erkenntnis über sich und seinen Auftrag teilen. Petrus spricht aus seinem Inneren aus, was er wahrgenommen hat: Du bist der „Christus“ – der „Gesalbte“ Gottes, was so viel bedeutet wie – in dir ist Gottes Geist lebendig – (vgl. Lk 9,20). Und Jesus entfaltet vor den Jüngern, was es bedeutet, den Geist Gottes in sich zu haben als Gegenpol zu den Gesetzen der Welt und ihren Karrieren: Die Bereitschaft alles einzubringen für das von Gott her als richtig erkannte und so auch Leid und Verfolgung und gar den Tod auf sich zu nehmen im Vertrauen auf Gott und seine absolute Schöpferkraft – er … „muss verworfen werden; er muss getötet und am dritten Tage auferweckt werden“ (Lk 9,22b). Auf die Dominanz und Durchsetzung des „ICH“zu verzichten und sich selbst mit der eigenen Zerbrechlichkeit und Ängstlichkeit ganz in Gottes Hände zu legen, um allein von ihm her Lebensfülle zu erwarten. So sieht Jesus sich selbst.
Natürlich weiß Jesus um den großen Anspruch seiner Worte. Petrus ist der erste, der angesichts dieses Anspruchs versagen wird, nicht erst bei der Verleugnung Jesu vor dessen Tod, nein, schon wenige Augenblicke nach unserer heutigen Evangelienszene macht Petrus ihm Vorwürfe, weil er den Leidensweg Jesu nicht akzeptieren will. Jesus spricht die Worte der Nachfolge über seinen eigenen Weg in göttlicher Vollmacht. Man kann spüren, dass seine Worte tatsächlich sein Leben sind. Genau deshalb müssen wir uns in der Nachfolge Jesu ehrlich machen, will sagen, wir müssen unser eigenes Zögern und Zaudern auf dem Weg der Nachfolge Jesu als Christen als inneren Zwiespalt begreifen. Wie oft entschließen wir uns gerade angesichts unseres Zögerns und Zweifelns wie Petrus dazu, die eigene Haut zu retten und den Herrn zu verleugnen? Fragen wir doch: Gibt es da einen Ausweg? Den gibt es, behaupte ich! Er beginnt genau mit dem „sich ehrlich machen“, sich also nicht selbst belügen. So bin ich, mit guten und schlechten Seiten. So können Menschen sein. Nicht nur Jüngerinnen und Jünger zur Zeit Jesu können so sein, sondern viele Menschen in der Geschichte der Kirche bis heute. Wir dürfen uns das eingestehen. Wir dürfen sein wie der reiche Jüngling, der ein erfülltes Leben dringend begehrte und doch im letzten Augenblick davor zurückschreckt und den ihm vertrauten Weg geht, der ihn scheinbar nichts kostet (vgl. Lk 18,18-25). Wir dürfen auch sein wie der Tempeldiener und der Priester, die an dem ohnmächtigen Menschen im Graben vorübergehen, den die Räuber halbtot zurückließen, und dabei nur auf sich selbst sahen (vgl. Lk 10,25-37). Jesus verurteilt dieses Vorübergehen, aber er verdammt die Menschen nicht, die es getan haben und noch tun. Er kennt uns gut genug! Er weiß, denke ich, wie oft wir nur das Beste wollen und es doch verfehlen, weil wir am Bequemen hängenbleiben. Ja, so sind wir Menschen. Wir verlieren Jesu Zuwendung dennoch nicht. Er weiß, glaube ich, wie schwer der Weg ist, von dem er spricht und den er lebt. Und gerade deswegen spricht er ja immer wieder davon. Er weiß aber auch, wie erfüllend dieser Weg ist. Er will, dass wir seinen Weg wagen, weil er weiß, dass dieser Weg mit ihm allen Menschen in der Tiefe ihrer Existenz umfassend das Heil bringen wird. Wie also finden wir uns, wie unsere Identität, wie bestimmen wir uns? Von ihm, von Jesus, von Gott her!
„Wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es retten“, sagt Jesus (vgl. Lk 9,24; Lk 17,33; Mt 16,25; Joh 12,25 u.a.). Wer auf sein Recht verzichtet und Gnade walten lässt, wird Leben geben und finden. Wer auch in einer angeblichen Ausweglosigkeit nach Möglichkeiten zum Frieden sucht, wird Leben geben und finden. Wer anderen Menschen aus der Verachtung durch Menschen heraushilft, wird Leben geben und finden. Wer um der Liebe willen Leid auf sich nimmt, wird Leben geben und finden. Wer teilt, was ihm gehört, wird Leben geben und finden. Vielleicht geht es gar nicht darum, dies immer zu tun, sondern zuerst darum, es einmal zu tun, ein einziges Mal, um von dem Heil zu kosten, das in Jesu Worten liegt. Vielleicht geht es zuerst darum, einmal zu spüren, dass immer mehr eigenes Leben nicht bedeutet, immer mehr Glück zu finden. Vermutlich reichte der ganze Arm nicht für die Namen aus, die man tätowieren müsste, wollte man sich immer nur von anderen her definieren. Wer immer nur fragt: Wie werde ich glücklich, der wird es nie. Erst im Wegsehen von sich selbst kann man wirklich wachsen, kann man das Leben finden und geben. Mit solcher Bescheidenheit und Umsicht wächst das Heil wie der Strauch oder der Baum aus dem Senfkorn, von dem Jesus erzählt; allmählich, aber stetig und kräftig (vgl. Lk 13,19). Es darf nicht nur um einen selbst gehen, wenn das Leben gelingen soll. Wo es aber um andere geht, da wirkt es auf mich zurück. Jesus hat es geglaubt und vorgelebt. Er hat es uns versprochen. Wir dürfen ihm glauben.
Ihnen Gottes reichen Segen und bleibt behütet!
Ihr P. Guido