Missionieren oder demissionieren?
Predigt zum 25. Sonntag im Jahreskreis – C – Am 8,4-7 und Lk 16,1-9 + Lk 16,10-13
Irgendetwas an diesem Evangelientext Lk 16,1-13 passt nicht zusammen.
Gleich zu Beginn fällt auf: Die sich an das Gleichnis vom betrügerischen Verwalter anschließenden Ermahnungen und Belehrungen legen nahe, dass sie als Jesusworte dort nicht hingehören. Es sind Belehrungen zum Thema: Umgang mit Besitz. Das Thema des Gleichnisses lautet allerdings: Wie finde ich den Weg, um zu überleben? und nicht: Umgang mit Besitz. Schauen wir hin: Die Sinnspitzen der Belehrungen werden der Aussageabsicht des Gleichnisses nicht gerecht, weil sie das von Jesus benutzte gewagte Bild wieder zurechtzurücken und zu „entschärfen“ versuchen, indem sie die Verpflichtung unterstreichen, auch „in den kleinsten Dingen“ zuverlässig zu sein und das besonders „im Umgang mit dem fremden Gut“. Genau das aber ist der Verwalter im Gleichnis gerade nicht. Wir haben hier in den Versen Lk 16,10-13 ein vom Evangelisten überliefertes Nachdenken der Gemeinde über die Frage des gerechten Umgangs mit Besitz in der Nachfolge Jesu als „Jünger-Belehrung“ vor Augen. Im Grunde stehen diese belehrenden Worte für sich und müssen so auch für sich betrachtet werden. Mit dem voranstehenden Gleichnis in Lk 16,1-9 haben sie wenig zu tun. Deshalb lassen wir sie jetzt beiseite.
Wenden wir uns dem Gleichnis zu, in dem Jesus einen Fall aufgreift, den man ihm vielleicht selbst mit allen Anzeichen der Entrüstung erzählt hat. Denn da wird ja nicht nur ein Schelmenstreich zum Besten gegeben, sondern, in unserer heutigen modernen Terminologie formuliert, ein Fall von „Wirtschaftskriminalität“ geschildert.
Nicht nur, dass der Verwalter, offenbar durch sträfliche Misswirtschaft, seinen Herrn, den Besitzer eines Landguts, schwer schädigt; darüber hinaus stiftet er die Pächter noch zur Urkundenfälschung an, um sie sich zu verpflichten. Dabei geht es keineswegs um geringe Summen: Fünfzig Fass Öl und zwanzig Sack Weizen. Wenn es ums nackte Überleben geht, ist dem Verwalter offenbar jedes Mittel recht. „Der Herr“, der diesen Schwindler lobt und als Vorbild hinstellt, ist nicht etwa der Gutsbesitzer; das würde keinen Sinn ergeben, da der ja gleich doppelt betrogen würde. „Der Herr“ ist, wie auch sonst im Lukasevangelium, Jesus selbst, der – merkwürdig genug – seine Jünger auffordert, sich an diesem Betrügereien Beispiel zu nehmen. Hier nun greift, was das Gleichnis zum Gleichnis macht:
Den Zielpunkt dieses Gleichnisses bildet nicht das gewissenlose und skrupellose Verhalten des Verwalters, sondern dessen Einfallsreichtum und Zielstrebigkeit im Überlebenskampf. Jesus ist davon überzeugt, dass „die Kinder des Lichtes von den Kindern dieser Welt“ (vgl. Lk 16,8) mit Blick auf die Zielsetzung ihres Lebens und in der Durchsetzung ihres Lebensweges einiges lernen können. Die Frage für uns Christen lautet allerdings nicht: Wie kann ich überleben? Sondern: Wie finde ich das göttliche Leben? Der Weg zu diesem Leben ist die Nachfolge Jesu. Die Nachfolge, zu der Jesus aufruft, ist nie gleichförmig und bloße Gewohnheit, sie muss kreativ und innovativ sein. Gefragt sind nicht nur sogenannte „passive Tugenden“ wie Demut, Entsagung und Hingabebereitschaft, sondern auch „aktive“ wie Einfallsreichtum, Erfindungsgabe und Fantasie. Kurzum, Jesus ruft nicht zu einer sterilen Nachahmung, sondern zur schöpferischen Nachfolge auf. Menschen wie Mutter Teresa von Kalkutta (1910-1997), der im vergangenen Mai heiliggesprochene Charles de Foucauld (1858-1916), Maria Katharina Kasper (1820-1898) oder die Mystikerin der Straße Madeleine Delbrel (1904-1964), um nur wenige zu nennen, haben diese aus der Hoffnung gestaltete Nachfolge für sich entdeckt und so kreativ und voll Freude gelebt, dass viele andere folgten. Es ließen sich noch viele beispielhaft nennen. Wir sollen also von jenen lernen, die das, was sie als entscheidend erkennen für ihr Leben, konsequent und zielbewusst umsetzen. Wenn – und das erfahren wir Tag für Tag – wir in einer zunehmend gottlosen Welt leben, die vor allem geprägt ist von der Ökonomie und der Macht des Geldes, und wenn wir sehen, wie in dieser Welt um Besitz und Macht gerungen wird – und das geschieht wie wir wissen bis hin zu Krieg und Terror –, dann sollten wir uns als Menschen in der Nachfolge Jesu fragen, wie wir unserem Auftrag Jesu, „Salz der Erde und Licht der Welt“ (vgl. Mt 5,13f) zu sein, nachkommen. Dafür steht dieses Gleichnis. Sind wir als Einzelne und auch als Kirche wirklich ebenso konsequent wie jene, die im weltlichen Streben alles und noch mehr für ihre Sache einsetzen? Derzeit erfahren wir allerdings eine gegenteilige Bewegung: Es verlassen viele Mitchristen, aus Enttäuschung, wie sie sagen, die Kirche, die sicher aus vielfältigen Gründen zu kritisieren ist. Doch ist die Kirche, die Gemeinschaft des Glaubens nicht ein existentieller und unverzichtbarer Teil unseres Glaubens?
Die erwähnte Mystikerin der Straße Madeleine Delbrel sagte einmal: „Wenn wir in einer atheistischen Umwelt leben, stellt sie uns vor die Wahl, zu missionieren oder zu demissionieren. Demissionieren heißt: Wir geben auf. Unsere Zeit ist um. Man braucht uns nicht mehr. Wir sind überflüssig und treten ab von der Bühne der Geschichte. Aber Jesu Worte verbieten uns zu demissionieren. Wir Christen haben auch heute eine Sendung. Wenn wir unsere Sendung annehmen und leben, dann bauen wir mit an einer neuen Gestalt der Kirche, dann werden wir immer mehr zu einer Kirche, wie Jesus sie gewollt hat: Eine Kirche, die sich löst von falschen Bindungen, die sie angekettet sein lässt und unbeweglich macht. Eine Kirche, die sich ausrichtet auf das Reich Gottes, das sie ankündigen darf. Eine Kirche, die heilt und tröstet. Eine Kirche, die wie ihr Herr machtlos-mächtig ist, offen für alle Menschennot und ausgespannt zum Himmel“ (zit. na. O. Georgens, „Das Evangelium leben mit Madeleine Delbrel“, 2.Aufl. Ramstein, 2003).
Übrigens hat Papst Franziskus das mehr als einmal ebenso ausgedrückt.
Natürlich muss die Kirche sich wandeln! Das hat sie in ihrer Geschichte öfter als einmal getan. WANDLUNG MEINT ABER NICHT EINFACH ANPASSUNG AN DEN ZEITGEIST! Wir brauchen die Kirche, weil sie gerade in der Feier des Gottesdienstes, im Geschenk der Sakramente, in der Bewahrung des Evangeliums und in der erfahrbaren Gemeinschaft des Glaubens uns trägt.
Frage sich also jeder und jede selbst: Was setze ich ein für meinen Glauben und auch den meiner Mitmenschen? Was für die Beziehung zu Gott? Was bedeutet mir die Nähe zu Jesus? Was ist mir die Freude wert, aus dem Heiligen Geist, der Gottes Nähe schenkt, meinen Alltag mit anderen zu gestalten? Oder habe ich – haben wir – resigniert, besser „demissioniert“, weil ich bei aller auch berechtigter Kritik Gottes Liebe aus den Augen verloren habe?
Seien Sie behütet in der Liebe des Herrn! Ihr P. Guido