Gott steinigt nicht
Predigt zum 5. Fastensonntag – C – Jes 43,16-21 und Joh 8,1-11
Jesu Eintreten für die Ehebrecherin ist imponierend, und sein Mitleid mit der schuldig gewordenen Frau wirkt ungemein sympathisch, vor allem natürlich wegen des Kontrastes zur unversöhnlichen Haltung derer, die sich als buchstabengetreue Verfechter des Gesetzes präsentieren. Sie machen deutlich, dass Gesetze und Vorschriften ihrer Überzeugung nach so gehandhabt werden müssen, dass darüber der Mensch unwichtig wird und völlig aus dem Blick gerät. Ihre feste Überzeugung ist: Das Gesetz hat nicht für den Menschen da zu sein, sondern der Mensch für das Gesetz. Diese Gefahr besteht besonders da, wo solche Gesetze und Vorschriften absolut auf Gott selbst zurückgeführt werden.
Freilich haben wir hier auch an die eigene Brust zu klopfen und uns zu fragen, ob wir nicht manchmal selbst zu rigorosen Vorurteilen und Urteilen neigen, wenn es um andere geht, die uns nicht so recht sympathisch sind. Vielleicht tun wir das gerade dann um so lieber, wenn wir uns vermeintlich hinter Gott und seinen Geboten verschanzen können.
„Wir haben ein Gesetz, und nach diesem Gesetz muss verurteilt werden“, heißt es immer dann, entsprechend dem Geschrei der Ankläger Jesu vor Pilatus: „Wir haben ein Gesetz, und nach diesem Gesetz muss er sterben“ (Joh 19,7), womit sie schließlich Jesus selbst ans Kreuz gebracht haben. Wichtig scheint mir: In der Tradition des Johannesevangeliums gehört die Erzählung von der Ehebrecherin zu einer eindringlichen Mahnung an die Christengemeinde, die vor einem verfehlten Rigorismus gewarnt wird, für den die „Paradegegner“ Jesu einmal mehr herhalten müssen. Die Christen müssen sich darauf besinnen, dass keiner von Schuld und Fehlverhalten frei und somit jeder auf Gottes Erbarmen angewiesen ist.
Gott ist anders als die sogenannten Kenner des Gesetzes meinen: Gott steinigt nicht. Und so schließt sich nach Überzeugung derer, welche die liturgischen Lesungen der Fastensonntage festgelegt haben, folgerichtig an das Evangelium vom 4. Fastensonntag, also an das Gleichnis vom barmherzigen Vater und seinen beiden verlorenen Söhnen, die Erzählung von Jesus und der Ehebrecherin an. Sie stellt so etwas wie eine Aktualisierung der Barmherzigkeit Gottes dar, die in Jesus von Nazareth offenbar geworden ist und die unser christliches Handeln prägen soll.
Jesus gerät dabei in eine kritische Lage, denn, so heißt es ja ausdrücklich, „sie, die Schriftgelehrten und Pharisäer, wollten ihn auf die Probe stellen“, wir können auch sagen: ihm eine Falle stellen. Lehnt Jesus nämlich die Bestrafung der Ehebrecherin ab und praktiziert entsprechend seiner Verkündigung die grenzenlose Güte Gottes, so könnte man ihm das Gesetz des Mose mit seinem Anspruch vorhalten. Bejaht er hingegen die Steinigung, dann würde er selbst seine gesamte Verkündigung und seine Zuwendung zu den Sündern „ad absurdum“ führen und überdies gegen geltendes Recht der römischen Besatzungsmacht verstoßen, die sich damals allein die Todesstrafe vorbehalten hat. Es sieht wie eine gelungene Falle aus.
Jesus erkennt die Falle, in die man ihn locken will, und schlägt einen anderen Weg ein; erzählerisch wird vom Evangelisten dieser Augenblick kunstvoll durch das „Schreiben auf die Erde“ ausgeschmückt, dennoch ist Jesu Reaktion provozierend: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie“ (Joh 8,7b). Damit spielt er auf die Rechtsbestimmung im Buch Deuteronomium (Dtn 17,7) an, wonach die Hauptbelastungszeugen der Anklage nach erfolgter Verurteilung des oder der Schuldigen „als erste ihre Hand gegen“ ihn oder sie zu erheben, das heißt „den ersten Stein“ zu werfen hatten.
Wem kommt hier nicht die Bergpredigt in den Sinn, in der Jesus auffordert: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“ (Mt 7,2f und parr. Mk 4,24; Lk 6,37f)?Aber machen wir uns klar: Jesus beschönigt und verharmlost die Sünde nicht, das wird gerne übersehen, aber er weiß auch, dass Schuld selten einmal und schon gar nicht in dem zu verhandelnden Fall einseitig festzumachen ist. Wieso wird denn der in den Ehebruch notwendigerweise mitverstrickte Mann nicht für schuldig befunden? Von ihm ist keine Rede.
Jesus ergreift Partei für die Frau und spricht ihr Vergebung zu. Dabei tritt er nicht als Richter, sondern als Retter auf, weil Gott selbst nicht richtet, sondern rettet. Er lässt kein Verdammungsurteil los, sondern wirbt für die überwältigende Barmherzigkeit Gottes. Dadurch, dass die Ehebrecherin nicht gesteinigt wird, ist sie allerdings nicht für unschuldig erklärt, aber auch nicht für alleinschuldig. Es gibt keine Alleinschuld, wohl aber eine Solidarität im Schuldigwerden, aus der nur die göttliche Barmherzigkeit einen Weg zeigen kann. Nur sie eröffnet die Möglichkeit eines Neubeginns. Das Evangelium ist entlarvend, darum ist es so tröstlich. Es lässt die Wahrheit zu, ohne sie zu beschönigen. Und wo der Wahrheit zum Recht verholfen wird, da kann sie von der Barmherzigkeit überflügelt werden. Nachdem die Wahrheit der Frau bloßgestellt und die Wahrheit der Ankläger offengelegt ist, bleiben zwei in der Begegnung übrig, wie es der Hl. Augustinus in einer Ansprache zu unserem Evangelium formuliert hat: „relicti sunt duo, misera et misericordia.“ Ich übersetze seine Worte so: Die Sünderin, die Erbärmliche, und Christus, der Erbarmende, sind übriggeblieben. In Wahrheit müssen wir selbst deshalb mit Blick auf uns sagen: Übrig bleibt von mir viel Erbärmliches. Und wir dürfen darauf vertrauen: Übrig von IHM bleibt alles Erbarmen.
In diesem Sinn hat uns die Lesung dieses Sonntags aus dem Propheten Jesaja zugerufen: „Der Herr spricht: Denkt nicht mehr an das, was früher war; auf das, was vergangen ist, sollt ihr nicht achten. Seht her, nun mache ich etwas Neues. Schon kommt es zum Vorschein, merkt ihr es nicht“ (Jes 43,18 f).
Seid gesegnet und behütet! Bleiben wir im Gebet um Frieden verbunden! Ihr P. Guido
Die Tagestexte in der Messe zum 5. Fastensonntag