Predigt zum 30. Sonntag im Jahreskreis – C – Sir 35,15b-17.20-22a und Lk 18,9-14
Es ist der Schreck jedes Autofahrers, wenn ein Kind zwischen parkenden Autos hindurch auf die Fahrbahn läuft. Wie kann das geschehen? Die Wahrnehmung des Kindes ist wesentlich von seiner Größe, seiner Augenhöhe festgelegt - und eingeschränkt. Was hinter dem Auto geschieht, sieht es nicht… und läuft los…
Was an diesem Beispiel klar ist, ist in anderen Lebensbereichen alles andere als klar. Einander begegnen auf Augenhöhe ist Anspruch auf Anerkennung von Gleichwertigkeit, Respekt, Ebenbürtigkeit, trotz Verschiedenheit. Einander auf Augenhöhe begegnen, verlangt danach, die Unterschiedlichkeit, die Verschiedenheit wahrzunehmen und auch zu achten.
Hier wird die Deutespur in der Beispielerzählung Jesu vom Pharisäer und Zöllner erkennbar, der wir im Evangelium dieses Sonntags begegnen. Es ist unstrittig, dass jeder Mensch sich vom anderen unterscheidet, dass jeder in seiner Art einmalig ist und unverwechselbar und ebenso ausgestattet mit einer ureigenen Persönlichkeit. Sie gilt es anzuerkennen. Aber wird es in Bezug auf die anderen und auch in Bezug auf Gott absurd, wenn die gottgewollte und in der Schöpfung grundgelegte Verschiedenheit dazu benutzt wird, um sie den Mitmenschen und Gott gegenüber als Qualitätsmerkmal des eigenen Lebens und Handelns auszuspielen. Fragen Sie sich doch einmal, was der Unterschied ist zwischen Ihnen und einem Verbrecher oder einer Verbrecherin. Möglicherweise ist es nur der Mangel an Gelegenheit…
Der Anfang des Pharisäer-Gebetes wäre schon in Ordnung; betont er doch eben den Dank an Gott für die persönliche Eigenheit. „Der Pharisäer stellte sich hin und sprach bei sich dieses Gebet: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, …“ (Lk 18,11a). Jesus aber stellt den Pharisäer als jemand dar, dem es nicht um die versöhnte Verschiedenheit vor Gott geht und um den Dank dafür, sondern darum, dass er sich in Überheblichkeit für gerechter und damit für besser hält als der Zöllner: „Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort“ (Lk 18,11). Jesus sagt sein Wort zu Menschen, die „von der eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten“ (vgl. Lk 18,9). Plötzlich sind wir mitten hineingenommen in die Auseinandersetzung zwischen Jesus und den Pharisäern, die sich durch das ganze Lukas-Evangelium zieht. Jesus, der in einmaliger Art mit Liebe, Verständnis und Erbarmen all jenen entgegenkommt, die nicht zu den Bessergestellten der Gesellschaft gehören, die Armen, die Kranken, die Aussätzigen, die Kleinen, die Sünder und Sünderinnen, die Fremden, zeigt ungewöhnliche Härte und spricht scharfe Worte, wo es um Lüge, Heuchelei, Überheblichkeit und bloße Gesetzesgerechtigkeit geht. Was geht da nicht zusammen, war doch die Gruppe der Pharisäer eigentlich religiöse ernsthaft bemüht?
Es geht ihnen und sicher auch manchen anderen nicht um die Anerkennung der unterschiedlichen Augenhöhe. Es geht nicht um die Achtung des anderen und einer möglichen versöhnten Verschiedenheit. Das Gebet des Pharisäers verkehrt sich in Selbstbespiegelung, weil der Sinn des Betenden sich nicht auf den Dank für das Beschenkt-Sein für seine Eigenart von Gott richtet, sondern auf die eigene Überheblichkeit und auf die Einschätzung, aus eigener Kraft Ursache der Gerechtigkeit zu sein. Das ist das Problem: Wer sich zum Maß aller Dinge macht, für den existiert Gott eigentlich gar nicht, der hat sich seinen Gott selbst gemacht. Das hat Jesus vor Augen und genau das findet seine harsche Kritik.
Damit befinden wir uns in einem Spannungsfeld, das von bleibender Aktualität ist. Der Pharisäer ist ja überzeugt davon, nach dem Willen Gottes zu leben und zu handeln. Seine Überheblichkeit wird ihm gar nicht bewusst. Er stellt fest: „Ich faste zweimal die Woche, gebe den zehnten Teil meines Einkommens“ (Lk 18,12). Das ist für sich betrachtet, ja nicht falsch. Dadurch aber, dass er sich selbst zum Maß aller Dinge macht, zum Maß auch des Glaubens, das führt dazu, dass er die Frucht des Gebetes nicht erfährt. Sein Gebet ist ein Selbstgespräch. Er geht leer, nicht gerechtfertigt nach Hause, weil er sich Gott gegenüber nicht geöffnet, sondern verschlossen hat. Sein Gottes- und Menschenbild dient nur der eigenen Selbstbespiegelung. Für den Pharisäer und für alle, die ebenso wie er handeln, ist der Wille Gottes lediglich eine Art Pflichtübung, ist die Erfüllung des göttlichen Gesetzes lediglich ein Abhaken von Vorschriften. Das führt zur Heuchelei vor anderen und – viel schlimmer – zur absoluten Selbsttäuschung. Solche Menschen sind sich selbst ihr Gott. Ihr Gebet wie auch ihr Handeln im Glauben ist ein Selbstgespräch und Selbstbespiegelung und nichts anderes.
Es ist mehr als sinnvoll darauf zu achten, wie wir uns vor Gott sehen und wie wir die Mitmenschen wahrnehmen. Wenn es uns nur darum geht, vor Gott aufzählen, was und wo wir tätig waren und was wir alles geleistet haben, und dann meinen, daraus vor ihm und vor anderen einen Verdienst ableiten zu können, dann spricht auch in uns der Pharisäer. Auf Augenhöhe mit vielen anderen könnte das Gebet des Zöllners unseres sein. Vielleicht so:
„Gott sei mir Sünder gnädig. Versöhne dich mit mir. Gott du, lass mich Wege finden, die zueinander führen, statt mit dem Finger auf andere zu zeigen. Befreie mich und uns alle von Rechthaberei und davon, voreinander gut dazustehen, statt hinter anderen zu stehen. Wer sich vor andere stellt, verstellt ihnen den Blick – wer sich hinter sie stellt, gibt Rückhalt. Gott du, schenke Mut, Versagen einzugestehen, statt es anderen vorzuhalten. Ja, Gott, ich weiß, dass auch in mir ein Pharisäer lebt, aber auch ein Zöllner. Gott du, versöhne dich mit mir. Amen“
Seien Sie gesegnet und behütet! Ihr P. Guido