Predigt zum 2. Sonntag der Osterzeit – C –
Apg 5,12-16; Offb 1,9-11a.12-13.17-19 u. Joh 20,19-31
Papst Johannes Paul I., Albino Luciani mit weltlichem Namen, der „dreiunddreißig-Tage Papst“, so kurz war sein Pontifikat, war ein guter Lehrer des Glaubens. Von ihm ist bekannt, dass er an bekannte Persönlichkeiten der Geschichte und Literatur, Briefe geschrieben hat, in denen er Fragen des Glaubens und der Religion ansprach. Er schrieb so einen Brief an einen lieben Trilussa, einen italienischen Schriftsteller mit dem Namen Carlo Alberto Salustri (1871-1950).
In diesem Brief heißt es:
„Lieber Trilussa,
wieder einmal habe ich Dein schwermütiges autobiographisches Gedicht gelesen, in dem Du erzählst, wie Du Dich eines Nachts in einem Wald verirrtest und plötzlich auf eine blinde, alte Frau trafst. „Den Weg“, sprach sie, „den kennst Du nicht? Ich kenn' ihn gut, so folge mir.“ Du warst erstaunt: „Nur zu, doch scheint's mir sonderbar, wenn jemand mir vorangehn soll, der gar nicht sieht.“ Die Blinde ergriff Deine Hand und seufzte leise: „So komm!“ - Es war der Glaube.
Ich stimme Dir zu, allerdings nur teilweise: Der Glaube ist zwar ein guter Führer, wie eine liebe, weise Alte, die sagt: „Setz deinen Fuß hierhin, nimm diesen Weg, der dich hinaufführt.“ Aber das geschieht erst in einem zweiten Moment, wenn der Glaube bereits zur Überzeugung geworden ist, wenn er Wurzeln im Denken geschlagen hat und von dort aus das Handeln des Einzelnen steuert und lenkt.
Doch zunächst muss sich diese Überzeugung überhaupt einmal bilden und im Geist festsetzen. Und hierin, lieber Trilussa, liegt gerade die Schwierigkeit. Denn da enthüllt sich der Weg des Glaubens nicht als ein romantischer Waldspaziergang, sondern als eine manchmal recht schwierige, bisweilen dramatische und immer geheimnisvolle Reise.“
(Albino Luciani „Ihr ergebener Albino Luciani“. Briefe an Persönlichkeiten, Verlag Neue Stadt, Oberpframmern, 10. Aufl. 2003, S. 34)
Nur damit wir es recht vor Augen haben: Die blinde Alte im Gedicht ist der Glaube und, so sagte es Papst Johannes Paul I., erst wenn der Glaube in uns zur Überzeugung geworden ist, vermag er uns zu führen und zu leiten. Das ist die Aussage dieses kurzen Textabschnittes.
Eben das haben wir in überzeugender Weise auch vom verstorbenen Papst Franziskus erfahren. Wie, so müssen wir fragen, wird Glaube zur Überzeugung? Anders gesagt: Wie wird das, was wir von jemand erfahren und wahrnehmen in uns so gefestigt, dass wir es nicht nur für wahr halten, sondern es zu unserer eigenen Lebensgrundlage werden lassen? Die Thomasgeschichte des Johannes-Evangeliums will uns hier Hilfestellung geben.
Thomas ist durch seine Geschichte mit Jesus, durch seinen Weg mit ihm und seinen Freunden, den anderen Jüngern, so mit Jesus verbunden, dass die Einladung des Auferstandenen, die Wunden zu berühren, seine Skepsis und den Zweifel beseitigen. Das ist die erste Erkenntnis.
Und das bedeutet: Glaube muss also mit dem eigenen Herzen, mit der Personenmitte verbunden sein, damit er sich als tragfähig erweisen kann. Er muss der Vernunft standhalten – das ist die Frage nach der Möglichkeit der Berührung – aber eines Beweises im Sinne naturwissenschaftlicher Beweisführung bedarf der Glaube ebenso wenig, als man wahre Liebe beweisen kann. Es gibt keinen anderen Weg, den Glauben in diesem Sinne zum Herzen zu führen als den, als Eltern, als Freunde, als Begleiterinnen und Begleiter, Kindern, jungen Menschen, uns allen, einander schlicht vorzuleben, wie die eigene Glaubenshaltung und die Verbindung zum lebendigen Gott in uns verwurzelt sind und so aus unserem Herzen unser Handeln und Denken bestimmen und formen und zum Guten führen. Ja, Papst Franziskus und ebenso viele andere haben es uns genauso gezeigt und vorgelebt. Wir alle wissen es: Glaube wird zur Überzeugung, wenn wir einander Bespiel geben aus der Liebe zu Gott und im Vertrauen auf seine Nähe.
Das ist dann aber auch der wichtige und entscheidende nächste Schritt, den das Johannesevangelium auch aufzeigt: „Nicht sehen und doch glauben“ (vgl. Joh 20,29). Wenn meine innere Überzeugung, die, wie aufgezeigt aus dem Glaubenszeugnis der mir wichtigen Mitmenschen gewachsen ist, auch meiner kritischen Überprüfung durch die Vernunft standhält, wenn dieses Zeugnis sich also als „echt und wahr“ für mich erweist, dann kann ich, wie man sagt „blind“ auf das vertrauen, was jene vor mir getragen und geleitet hat. Vorab aber ist das Zeugnis, das im Evangelium auf uns überkommen ist, das entscheidende. Dieses Zeugnis ist aufgeschrieben, damit wir glauben, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit wir durch den Glauben Leben haben in seinem Namen (vgl. Joh 20,31).
Möge dieser Glaube in uns zur entscheidenden Überzeugung werden, zum tragfähigen Grund des Lebens. Gebe Gott, dass wir, wie es uns Papst Franziskus vorgelebt hat, demütig genug sind, die Fülle des Lebens aus seiner, Gottes liebender und barmherziger Hand zu erwarten und anzunehmen. Ja, es ist wahr! Der Weg des Glaubens ist kein romantischer Waldspaziergang, sondern eine wahrhaft abenteuerliche und fordernde Reise durch alle Abschnitte menschlicher Existenz, durch Abschnitte des Lichtes und auch durch die Dunkelheit von Leid und Tod. Das Ziel aber ist das Leben in und mit Gott, jetzt schon und einmal für immer.
Ihnen und Euch den Segen des auferstandenen Herrn!
Ihr P. Guido