Für wen halten WIR ihn?
Predigt zum 21. Sonntag im Jahreskreis (A) – Röm 11, 33-36 und Mt 16, 13-20
Bei der Synode der Deutschen Bistümer im Jahr 1976 in Würzburg gab es eine heftige Diskussion um das Glaubensbekenntnis und dessen Vermittlung für die Menschen unserer Tage. Vor allem einige Theologen gerieten in die Schusslinie eifriger und traditionsbewusster Kritiker. Sie waren der Auffassung, es würde doch völlig genügen, die Glaubensaussagen aus der Tradition der Bekenntnisse nur neu einzuschärfen. Da stand einer der geschmähten Theologen, der Jesuit Karl Rahner, auf und sagte: „Auch ich bekenne Jesus Christus als meinen Herrn und Heiland, auch wenn ich Fragen an das allzu gewohnte Christusbekenntnis der Kirche stelle.“
Im Evangelium, das uns heute in der Liturgie begegnet, klingt genau diese angesprochene Problematik an. Da wird unterschieden zwischen dem, was die „Leute“ und was im Unterschied zu ihnen die „Jünger“ über Jesus denken und sagen. Jesus selbst spitzt diese Fragestellung zu, indem er die Jünger fragt: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ (Mt 16, 15).
Dieser Frage müssen auch wir uns heute stellen. Sie ist entscheidend für unseren Glauben als Menschen in der Nachfolge Jesu. Wir müssen sie – wie Christen zu allen Zeiten – persönlich und in der Gemeinschaft der Kirche beantworten. Und weil unser christlicher Glaube ein „Beziehungsglaube“ ist, was so viel bedeutet wie, man kann nicht Christ sein, ohne eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus zu haben, müssen wir zu einem klaren Bekenntnis zu ihm finden. So wie man auch eine Freundschaft nur erleben und leben kann, wenn man eindeutig „Ja“ zu seinen Freunden sagt. Christsein ist zuerst eine Beziehung, eine Beziehung zu Jesus Christus und dann erst eine in Gedanken und Worte gefasste Lehre.
In den Worten, die uns Matthäus überliefert, wird uns das persönliche Bekenntnis des Simon Petrus gewissermaßen als Messlatte vor Augen gestellt: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“ (Mt 16, 16). Auch wenn wir uns diese Worte zu Eigen machen, müssen wir uns fragen: Sind das Worte, die mir und uns wirklich etwas wichtiges für das Leben erschließen? Oder ist das nicht doch eine angelernte Katechismus-Wahrheit? Steckt in diesem Bekenntnis auch für mich eine mein Leben betreffende Erkenntnis oder handelt es sich um eine formelhafte Aussage? Matthäus weiß wohl aus eigener Erfahrung und auch aus seiner Gemeinde, dass es Worte gibt, die tiefer in die Existenz der Menschen reichen müssen, damit sie sich als tragfähig erweisen. Das Petruswort ist ein solches Wort, deshalb ordnet Jesus das Bekenntnis auch als unmittelbare Gottesoffenbarung ein. Und das bedeutet, dass die Annäherung an Jesus, dass das Bekenntnis zu ihm, etwas mit der innersten Zustimmung des Simon Petrus zu Gottes Handeln und Sein in Jesus zu tun hat.
So, wie Simon Petrus seine Worte ausspricht, muss man davon ausgehen, dass dahinter deutlich werden kann: In diesem Jesus kommt mir der lebendige Gott entgegen. In ihm ist Gott, der Unfassbare und Unbegreifliche, der über alles Erhabene und alles Überblickende, der alles Freilassende und Zulassende, der alles Zusammenfügende und alles Entwirrende oder welche Umschreibungen oder Zuordnungen ich für ihn auch finde, mir ganz nahe. Und diese Erfahrung der Nähe Gottes bestärkt das Leben und die zuversichtliche Hoffnung. Das, was Petrus und die anderen Jünger und viele andere Menschen, beginnend aus der unmittelbaren Begegnung mit Jesus und durch die Geschichte Kirche hindurch, im Menschensohn erfahren haben und worauf sie mit Zuneigung und Vertrauen antworten, all das führt zum Bekenntnis: Du bist für mich der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes! Du, Jesus, zeigst mir in allem, was du sagst und in all deinem Handeln, dass Gott selbst zu mir Ja sagt. Und du kannst das, weil ich spüre und darauf vertraue, dass dir Gott viel enger verbunden ist, als irgendjemand sonst. Dir will ich mein Leben anvertrauen, denn du zeigst mir den Weg auch für mein Leben. Ja, du bist der Christus, der Gottgesalbte, der Sohn des lebendigen Gottes!
Und doch wäre alle Mühe vergebens, wenn wir uns mit dem bloßen Aufsagen dieses Bekenntnisses begnügen würden, wenn wir nicht selbst mit allen Kräften und aus ganzem Herzen Jesus immer wieder neu für uns zu entdecken suchten: als den unsichtbaren Fels unseres Lebens, als den vielleicht vergrabenen, verschütteten Schatz unserer Hoffnung, als den verlässlichen Freund und Begleiter unserer Tage und Nächte, als den Menschensohn, dessen Wort uns die verborgene Tiefe der Welt, des Lebens und den Weg zu Gott eröffnet.
Ein kleines Gedicht von Andreas Knapp umschreibt das so:
der Herr
wer den Thron deines Herzens besetzt
zu dem du aufschaust
den du anhimmelst
der dich beherrschen darf
den machst du zu deinem Herrn
ER steigt vom Thron des Himmels herab
begegnet dir auf Augenhöhe
kniet sich nieder auf die Erde
und wäscht dir die Füße
so herrlich will Liebe sein
Sagen wir es doch noch einmal mit den Worten von Karl Rahner: „Auch ich bekenne Jesus Christus als meinen Herrn und Heiland!“
- (Andreas Knapp „Tiefer als das Meer“ Gedichte zum Glauben, 4. Auflage, Echter Verlag, Würzburg, 2012, S.18)
Seien Sie gesegnet und behütet! Ihr P. Guido