Predigt zum 8. Sonntag im Jahreskreis – C – Sir 27,4-7 und Lk 6,39-45
Immer noch sind wir auf der Spur des Evangelisten Lukas mit Jesus in Augenhöhe auf der Alltagsebene. Vom Berg ist er herabgestiegen, der neue Mose, und er gibt in seiner „Feldrede“ programmatische Weisung für die neue Gemeinschaft des Gottesreiches. Kreativ schöpferische Bildworte wie sie beispielsweise auch die Weisheitsworte der Lesung aus Jesus Sirach formen, stoßen die Menschen an, ihr Leben miteinander zu überdenken. Diese Worte fordern heraus, sie lassen nicht kalt!
Für sich alleine genommen und absolut gesetzt, fordern sie allerdings unseren Widerspruch heraus. So könnte sich das Wort vom Splitter im Auge des Bruders und vom Balken in deinem eigenen Auge wie Gift auswirken auf schwermütig oder gar depressiv Veranlagte, weil es den Blick auf die Größe des eigenen Versagens lenkt und das des Mitmenschen verkleinert. Und auch das ist zu sehen: Oft genug wird ein solches vermeintliches Sprichwort, zu dem es fälschlicherweise geworden ist, missbraucht, um berechtigte und notwendige Veränderung zurückzuweisen mit dem Vermerk: „Fang doch zuerst mal bei Dir selber an!“; als ob irgendeiner das Recht hätte vorauszusetzen, der andere tue das eben nicht oder bemühe sich nicht zumindest darum. Ermahnung und Weisung ist notwendig. Aber sie muss immer lind und mit Liebe geschehen. Wenn wir nicht vergessen haben, dass den heutigen Worten Jesu die Einladung zur Feindesliebe und zur Barmherzigkeit vorausgegangen ist (wir haben davon am letzten Sonntag gehört) dann wird klar, dass sich das „Splitter- und Balkenwort“ tatsächlich gegen liebloses Richten über andere und gegen ebenso liebloses Sich-Abgrenzen von anderen wendet. Denken wir daran: Jesus geht es um die neue Gemeinschaft im Reich Gottes! Nur vor diesem Hintergrund will Lukas die Worte Jesu an die Jünger und damit auch an die Gemeinden adressiert wissen. Dann nämlich rufen diese Worte zur Sensibilität im Umgang miteinander auf, machen auf die Gefahr aufmerksam, eigene Schatten übergroß auf andere zu projizieren, und werben dafür, möglichen Ärger übereinander im Geiste Jesu und – wenn nötig – in der geschwisterlichen Korrektur und nicht mit dem Mittel der „Zurechtweisung“, anzugehen.
Das Bildwort vom guten bzw. schlechten Baum und seinen entsprechend guten und schlechten Früchten dient Jesus zur Unterscheidung der Geister, das heißt, wie der Vergleich mit der entsprechenden Stelle der Bergpredigt bei Matthäus (vgl. Mt 7,15-20) nahelegt, zur Charaktierisierung und Entlarvung der sogenannten „falschen Propheten“, die auch in der Gemeinde aber auch darüber hinaus den Mächtigen zu Gefallen schönreden und nicht das sagen, was in einer bestimmten Situation gesagt werden muss, auch wenn keiner es hören will, und die es natürlich zu allen Zeiten gibt.
Aber auch dieses Bildwort ist kein allgemeingültiges Sprichwort. Sonst müssten wir ja generell folgern: Wie ein guter Baum nur gute Früchte und ein schlechter nur schlechte Früchte hervorbringt, so kann ein guter Mensch nur Gutes tun und ein böser Mensch nur Böses. Um im Bild zu bleiben: Die guten Bäume könnten dann gehegt und gepflegt, die schlechten müssten umgehauen werden; Disteln und Dornsträucher würden ausgerissen und verbrannt. Das wäre allerdings ein Widerspruch dazu, dass die Botschaft Jesu sich an alle Menschen richtet, gleich ob gut oder böse. [Da mag man sich an die Geschichte vom Unkraut unter dem Weizen zu erinnern, von der nur Matthäus erzählt (vgl. Mt 13,24-30), das Unkraut, das die „Knechte“ so geflissentlich ausreißen wollen und sich dann sagen lassen müssen: Lasst beides wachsen bis zur Ernte!]
Übrigens: Was ist denn ökologisch betrachtet ein „guter Baum“? Über die Qualität eines Baumes entscheiden doch nicht allein seine Früchte, also die Verwertbarkeit für den Menschen. Und was sind ökologisch gesehen „gute Früchte“? Die makellosen, dicken Äpfel oder Birnen, die man unter hohem Pestizideinsatz großgezüchtet hat, sind es doch wohl nicht, sondern eher die kleinen, schrumpeligen und unscheinbaren möglicherweise aus dem Bio-Anbau. Und statt der armen Distel, die ihre eigene Schönheit hat, ist doch eher der zu schelten, der törichterweise an einer Distel nach Feigen sucht.
Die Schwächen dieser Bilder gelten auch für den allgemein angewandten Vergleich auf Menschen: Ihre Taten und damit sie selbst in absolut „gut“ oder „böse“ einzuteilen und sie in entsprechende Schubladen zu stecken, ist eine schrecklich vereinfachende und unchristliche Darstellung, die noch dazu dem „Splitter-und-Balken-Wort“ widersprechen würde. Die Wirklichkeit ist immer von einem „mehr oder weniger“ geprägt, niemals von einem „alles oder nichts“. Aber wir kennen das ja, wenn Menschen wegen irgendwelcher Taten, die man vielleicht nicht oder noch nicht verstehen kann, einfach als „böse“ bezeichnet und sie also ausgrenzt. Das kann nicht die Überzeugung Jesu sein. Das ist auch absolut nicht im Sinn des Evangelisten Lukas. Und gerade deshalb dürfen wir beim heutigen Evangelium die Rede von den guten und schlechten Früchten bzw. von den guten und bösen Menschen außerhalb ihres ursprünglichen Zusammenhangs nicht verallgemeinern. Das wäre im höchsten Maß lieblos. Denn die Grenze verläuft nicht zwischen vermeintlich „Guten und Bösen“, sondern sie geht mitten durchs eigene Herz.
Es gilt also, genau hinzuschauen, was da verhandelt wird. Und dieses Hinschauen fällt, wie könnte es anders sein, gerade denen leichter, die um diesen Grenzverlauf mitten durchs eigene Herz wissen und sich ihre Armut und Schwäche vor Gott eingestehen, oder, um im Bild zu bleiben, die an sich selbst Runzeln, mangelnde Schönheit oder Unvollkommenheit erkennen. Was Jesus in seiner Gemeinschaft des Gottesreiches haben möchte, ist zum einen Entschiedenheit zum besseren Miteinander und andererseits Vertrauen auf die Gnade und Barmherzigkeit der heilenden Liebe Gottes. Das genügt!
Seien Sie so gesegnet und behütet in Gottes Liebe! Ihr P. Guido
Die Tagestexte zum 8. Sonntag im Jahreskreis