Predigt zum 17. Sonntag im Jahreskreis – C – Gen 18,20-32; Kol 2,12-14 u. Lk 11,1-13
Lasst mich zuerst eine Vorbemerkung zum Evangelium dieses Sonntags machen. Im Grunde sind es zwei Teile, in die sich dieser Textabschnitt aufgliedert. Da ist der Abschnitt von Vers 1 – 4, in dem sich das „Vaterunser“ findet und dann der Abschnitt 5 – 13, das „vom bittenden Freund“ handelt. Der genannte zweite Teil ist mit seiner Parallele bei Matthäus (Mt 7,7-11) ein Hinweis auf den guten Willen Gottes, der die Bitten der Glaubenden erhören wird.
Ich möchte allerdings mein Augenmerk auf die Bitte des einen Jüngers richten, der zu Jesus sagt: Herr, lehre uns beten!
Offensichtlich haben die Jünger im Beten Jesu Tiefgehendes und Ansprechendes erfahren, das dann für sie zur geäußerten Bitte geführt hat: Herr, lehre uns beten! Das lässt fragen: Wie kann ich überhaupt beten? Wie bete ich im Sinne Jesu? Das sind Fragen, die heute möglicherweise auch umtreiben. Ich denke an eine Schrift des berühmten Theologen Karl Rahner (1904-1984) aus dem Jahr 1949 (!) mit dem Titel „Von der Not und dem Segen des Gebetes“ (Neuaufl. Freiburg 2021), in der der Verfasser sich auf der Grundlage von fünf Fastenpredigten und zwei Meditationen mit eben dieser Thematik befasst hat und an viele andere Autoren und Autorinnen in der Tradition unseres Glaubens, die sich, geistlich ebenfalls oft angestoßen durch Fragestellungen ihrer Zeit, mit solchen Fragen beschäftigten.
Es geht hier allerdings nicht um eine allgemeine Gebetslehre. Wer in der Art und im Sinn Jesu beten will, muss als erstes begreifen, dass Beten konkreter Ausdruck des Glaubens ist. Und christlicher Glaube ist Beziehung. Wer also von und mit Jesus lernen will zu beten, muss akzeptieren, dass Beten ein Gespräch ist, Ausdruck einer Beziehung. Der Gesprächspartner ist Gott, den ich als den ganz anderen ernst nehmen und ihn trotzdem intim ganz persönlich, wie Jesus eben als „Vater“ anreden darf. So hat es Jesus selbst getan und mehr noch gelebt. Jesus war und ist Mensch unter Menschen, mit ihnen und für sie. Aber er ist – wie ihn uns das Evangelium vor Augen stellt und wir ihn wahrnehmen – auch ein Mensch mit und für Gott. Da ist etwas ganz Besonderes in und mit ihm, das ihn als „Gottes Sohn“ sichtbar werden lässt. Zärtlich nennt er Gott seinen „Abba“ - seinen lieben Vater. Der ist der alles überragende Bezugspunkt seines Lebens. Das Gebet Jesu ist intensiver Austausch mit Gott.
Die wichtigste und alles weitere prägende Lektion des Gebetes für einen Jünger, eine Jüngerin Jesu ist es, Gott zum engsten Vertrauten und zum entscheidenden Bezugspunkt des Lebens zu machen. Genau da gibt es für viele große Schwierigkeiten. Das „göttliche“ Du kommt nicht in den Blick, weil man von sich selbst besetzt ist. Seien wir ehrlich: Wir alle haben eine hohe Aufmerksamkeit uns selbst gegenüber. Man hat oft genug nur sich selbst im Blick. Oft aus der Angst heraus, nichts zu sein und zu gelten und nicht beachtet zu werden, wenden wir uns uns selbst als dem Maß aller Dinge zu. Und wenn man nicht mehr hat als sich selbst, ist man nur sich selbst allgegenwärtig. Das Du schwindet und man muss sich selbst alleiniger Sinngeber, Tröster und Retter sein. Das aber ist eine absolute Überforderung, aus der ganz schnell eine Verfälschung des eigenen Ich und eine Lebenslüge entstehen kann. Wie war das nochmal mit dem Lügenbaron Münchhausen? Am Ende konnte er sich nur an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen.
Mit Jesus beten lernen öffnet den Blick auf das Du, öffnet die soziale Dimension des Menschseins, öffnet die Augen für die Welt und über den Horizont hinaus. Wir brauchen den liebenden Blick von jemand, der nicht nur außerhalb unseres eigene Selbst ist. Wir brauchen die Zuwendung von Jemand, der uns hilft, uns selbst zu überwinden und hinzugeben, der über allem steht und uns dennoch kennt und annimmt, der uns also liebt. Wir brauchen das Wort und die Liebe Gottes! Nur so werden wir frei vom dauernden angstbesetzten Kreisen um uns selbst. Im Sinne Jesu heißt also Beten, die Liebe Gottes mit der er uns bis zum äußersten liebt, so banal uns unser Leben auch zu sein scheint, wahrnehmen und annehmen. Wenn wir Gott als unseren Vater – oder analog dazu – als unsere Mutter anreden, dann sehen wir mit Jesus Gott als prägenden Bezugspunkt – als Vater oder Mutter eben – für alle Menschen. Das weitet den Blick noch einmal. Alle Menschen sind Kinder des einen Vaters, der einen Mutter, dazu berufen als Schwestern und Brüder miteinander zu leben. Genau damit nimmt das Beten Jesu Bezug auf die endgültige Gemeinschaft der ganzen Menschheitsfamilie, die sich – wie Jesus sagt: im Reich der Himmel vollenden wird. Beten im Sinne Jesu hilft also dazu, dass wir begreifen, diese Welt, so wie sie ist, ist nicht schon alles. Sie hat ein Ziel, die Vollendung in Gott. Damit öffnet das Beten den Weg, mitzutun an der Vollendung der Welt, indem wir selbst mit unseren Fähigkeiten ein wenig mehr Liebe in die Welt tragen.
Damit wird auch das ganze Herrengebet zu einer Leitlinie der Beziehung zu Gott: Die gelebte Liebe soll dem, was Gottes ist zum Durchbruch in der Welt helfen – dein Reich komme – beten wir; die Bitte um das tägliche Brot soll entlasten von zu viel Sorge um das Überleben; die Anregung zur Vergebung soll verdeutlichen, dass wir als Menschen und Christen aus der Versöhnung und aus der Vergebung unseres Schuldigwerdens leben, und die Bitte um Bewahrung vor der Versuchung, soll uns hinweisen auf die treue Sorge des himmlischen Vaters, dessen Liebe alles umfängt.
Das Gebet Jesu spricht an, was wir Menschen zum Leben brauchen: Frieden und Gerechtigkeit, liebevolles Miteinander, Heilung an Leib und Seele. Jesus macht uns Mut, die tiefsten Sehnsüchte betend auszusprechen. Als Gottes Kinder dürfen wir Gott um alles bitten. Und indem wir IHM so unser Innerstes öffnen, geben wir IHM Raum in unserem Leben, Raum, in dem auch wir wirklich zum Leben kommen. Und noch eines: Wenn wir so beten, dann betet Jesus in uns.
Seien Sie gesegnet in der Liebe Gottes und bleiben Sie behütet!
Ihr P. Guido