Die richtige Balance und Richtung halten
Predigt zum 16. Sonntag im Jahreskreis – B – Jer 23,1-6; Eph 2,13-18 u. Mk 6,30-34
Ich sage nichts Falsches, wenn ich sage: Nur wer das Gleichgewicht halten kann, der kann sich auch gefahrlos bewegen. Seit ich vor einigen Jahren krankheitsbedingt auf der linken Seite den Gleichgewichtsnerv verloren habe, muss ich besonders auf die richtige Balance achten. Es braucht mehr Aufmerksamkeit durch die Augen und das Gehör, dann klappt es ganz gut. Aber wenn es dunkel ist oder besonders stressig wird, dann ist es ganz schön schwierig, die Richtung und sich selbst aufrecht zu halten.
Die richtige Balance und die Richtung halten, das sind auch die Stichworte, die uns das Evangelium heute vorgibt. Diese beiden Worte stehen so auch für die Lebenshaltung Jesu. Jesus hatte die Jünger als Boten der Liebe Gottes ausgesandt, als seine APOSTEL. Letzten Sonntag haben wir von dieser Aussendung und dem Missionsauftrag Jesu gehört (vgl. Mk 6,7-13). Das Evangelium heute erzählt von der Rückkehr der ausgesandten Jünger. Und Jesus sorgt sich um sie, damit sie Ruhe finden nach der Anstrengung, damit sie auftanken können und so die Richtung und die Balance halten. So wie er es selbst macht, gibt er es auch an die Jünger weiter. Der Evangelist Markus erzählt öfter davon, dass Jesus sich nach anstrengendem Tagewerk in die Einsamkeit zurückzieht, um mit dem Vater – mit Gott – zusammen zu sein und mit ihm zu sprechen. Wer also wie Jesus und die Apostel unterwegs ist zu den Menschen, wer von sich das gibt, was innerlich trägt und hält, der braucht den Rückzug, das Ausruhen und das geistliche „Auftanken“. Für Jesus und so auch für die Jünger bedeutet das: Abstand zur Tätigkeit und mit Gott im Gespräch sein.
Es ist schön und ermutigend, zu sehen, wie Jesus mit denen umgeht, die er als seine Botschafter ausgesandt hat. Er achtet auf das Gleichgewicht und die Balance zwischen Einsatz und Ruhe. Wie wertvoll sind doch Menschen – das geht mir gerade durch den Sinn –, die einem darauf aufmerksam machen, wenn sie beobachten, dass etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist und entsprechend hilfreiche Anstöße geben! Als Zisterzienser denke ich da an eine Ermahnung, die der heilige Bernhard von Clairvaux an seinen Mitbruder Papst Eugen III. geschrieben hat. Bernardo de Pisa (Bernardo Pignatelli – *1080 in Pisa u. + 1153 in Rom) war in Clairvaux 1138 Mönch geworden, wurde 1140 Abt des Klosters Tre Fontane vor den Toren Roms und war von 1145 – 1153 Papst. Der hl. Bernhard sorgte sich um seinen Mitbruder in den Lasten des Papstamtes und so schrieb er ihm in seiner Mahnschrift „De Consideratione“ unter anderem folgende Zeilen: „Wenn du vernünftig bist, erweise dich als Schale und nicht als Kanal, der fast gleichzeitig empfängt und weitergibt, während jene wartet, bis sie gefüllt ist. Auf diese Weise gibt sie das, was bei ihr überfließt, ohne eigenen Schaden weiter. Lerne auch du, nur aus der Fülle auszugießen und habe nicht den Wunsch freigiebiger zu sein als Gott.“
Was hier dezidiert geistlich ausgesprochen ist, gilt, so denke ich, auch im allgemeinen Sinn für das Leben. Ganz sicher sind heute so viele Menschen durch „burn out“ – seelisches Ausbrennen – bedroht oder gar betroffen, weil ihnen die innere Balance fehlt. Man muss die rechte Mitte finden, die Balance zwischen dem: „Setze dich ganz ein, für das, was dir wichtig ist!“ und dem „Halte inne und tanke auf!“ Das vom hl. Bernhard gebrauchte Bild vom Kanal, der schnell leerläuft, und von der Schale, die sich füllen muss, bevor sie weitergeben kann, ist praktisch und ein guter Anstoß zum Nachdenken.
Es gibt in unserem Leben viele Bereiche, in denen wir ausbalancieren müssen: Im Umgang mit uns selbst und den eigenen Ansprüchen und Bedürfnissen, in Beziehungen zu Mitmenschen und Freunden, in der Erziehung der Kinder, in der Partnerschaft der Ehe, im stressigen Alltag, im Leistungsanspruch des Berufslebens und nicht zuletzt auch im religiösen Leben und seinem Stellenwert.
Das „sowohl als auch“ gehört zu einem vernünftigen Umgang mit sich selbst. Einseitigkeit führt zur Schlagseite und zum Umkippen. Das kennen wir. Nicht immer gelingt die rechte Balance. Sobald das Leben die Gewichtung zu sehr auf eine Seite verlagert, wächst der negative Stress, der innere Unfriede, die Unzufriedenheit. Wenn das Leben ausgewogen gestaltet wird, dann spüren wir den Frieden, die Zufriedenheit. Was kann helfen? Ein gutes Gespräch, Beratung, gute Lektüre und vieles andere. Für das religiöse Leben möchte ich auch auf die Besinnung, die Gewissenerforschung beim Sakrament der Buße hinweisen, das leider viele heutzutage – warum auch immer – schmählich vernachlässigen. Auch die Möglichkeit des geistlichen Gespräches mit erfahrenen Seelen- und Lebensbegleitern, muss man in den Blick nehmen. Besinnungstage und geistliche Begleitungsangebote werden auch bei uns im Kloster öfter nachgefragt und auch angeboten. Es ist selbstverständlich: Von Zeit zu Zeit bedarf es des intensiven Nachdenkens über den eigenen Weg und der klugen Reflektion über das eigene Leben, um von falschen oder irrigen Wegen wieder auf den richtigen Pfad im Leben zurückzufinden, oder auch einen Neuanfang zu machen. Gute und kundige Begleitung ist dabei unbedingt notwendig und ratsam, um das Leben auszubalancieren.
Es ist gut, dass in diesem kurzen Abschnitt des Evangeliums etwas aus dem Alltag der Jünger Jesu erzählt wird. Wie schön, dass Jesus bei den Jüngern so viel Wert auf die rechte Balance legt! Markus berichtet am Ende des heutigen Leseabschnitts (vgl. Mk 6, 33-34), dass Jesus selbst allerdings von den Menschen über Gebühr in Anspruch genommen wird und ihrem Anspruch auch nachkommt. Er sorgt – ich sagte es schon – immer dafür, dass diese Quelle der Liebe die Schale seines Lebens füllt und überfließt, indem er sich immer wieder mit dem Vater im Himmel verbindet. Er selbst schöpft aus der Quelle, die in ihm einzigartig ist. Das Mitleid und die Liebe Gottes treiben ihn an.
Das ist auch unser Ziel als seine Jünger. Der Evangelist nimmt deshalb das Anliegen Jesu von der Notwendigkeit der rechten Balance vom Handeln und dem Ausruhen bei Gott auf und spiegelt es in seine Gemeinde. Das sollte auch uns ermutigen, in unserem Leben mehr darauf zu achten und diese Balance ernst zu nehmen, damit wir im Sinn Jesu leben und helfen können. Nicht zuletzt auch deshalb, weil jene Dinge, die uns im Leben und im Glauben wirklich guttun, oftmals zu kurz kommen – wie die Gemeinsamkeit mit Jesus und das Gespräch mit Gott... Die Zeit der Sommerferien und des Urlaubs könnten hier gute Dienste leisten. Meinen Sie nicht auch?
Ich wünsche eine gute und gesegnete Zeit und bleibt behütet!
Ihr P. Guido