Predigt zum 26. Sonntag im Jahreskreis – C – Am 6,1a.4-7; 1 Tim 6,11-16 und Lk 16,19-31
Ist Ihnen aufgefallen, dass der Reiche in der Geschichte, die uns Lukas heute von Jesus erzählt, keinen Namen hat? Nun, der Arme hat einen: Er heißt Lazarus. In der hebräischen Form „Eleazar“, was bedeutet: „Gott hilft“. So ist der Evangelist Lukas, könnten wir sagen. Seine Perspektive ist es ja, kritisch auf die Reichen und wohlwollend auf die Armen zu schauen. Und damit ist dieser Arme charakterisiert: Von dem reichen Mann, vor dessen Tür er liegt, übersehen, von den Hunden belästigt, hat er keine andere Hilfe, keine Hoffnung mehr als Gott, den Gott Israels, den Gott, den Jesus verkündigt, von dem immer wieder gesagt und gesungen wurde und wird: Er erhöht den Armen, der im Schmutz liegt; sein Herz schlägt für alle Verachteten, Erniedrigten und Geringgeschätzten. Eleazar – Lazarus: Gott hilft.
Die Dramatik der Erzählung fordert nun, dass sich die Geschichte, die da erzählt wird, in der Erzählrichtung umkehren muss. Und genau das geschieht: Der Blick ins Jenseits nach dem Tod stellt den Armen in die Geborgenheit des Himmels – der Schoß des Abraham steht dafür – und den Reichen, der allen irdischen Luxus hatte, stellt der Tod in die Qual – er leidet schrecklichen Durst, er brennt innerlich und äußerlich.
Ist also die Moral der Geschichte: Wenn es dir jetzt gut geht, dann geht’s dir in der Ewigkeit schlecht oder umgekehrt, wenn es dir jetzt schlecht geht, dann geht’s dir später gut? So wäre der übliche Gedankengang solcher Geschichten. Aber da wird ja noch etwas anderes erzählt. Der weiter geschilderte Dialog zwischen dem Reichen und Abraham gibt mit einem Satz deutlich zu erkennen, worum es Jesus wirklich geht: Da antwortet Abraham dem Reichen auf die Bitte, doch einen aus dem Totenreich zu seiner Verwandtschaft zu senden, damit sie, überwältigt durch solch eine Begegnung, von ihren falschen Wegen des Lebens abkämen und nicht ebensolch ein schreckliches Schicksal erleiden müssten wie er: „Sie haben Mose und die Propheten – auf die sollen sie hören“ (Lk 16,29).
Genau in diesen Worten können wir sehen, dass Jesus aus seiner Erfahrung im Umgang mit den Menschen spricht. Wir wissen, dass er nicht nur bei den einfachen Leuten war. Er ist auch Gelehrten und auch Reichen und Wohlhabenden begegnet. Und er hat die Erfahrung gemacht, dass gerade jene, die ihr Herz an Besitz, an Macht und andere Formen des Vermögens gehängt haben, Probleme mit seinem Ruf zur Umkehr und zur Öffnung für Gott hatten. Diese Erfahrung Jesu findet sich nicht nur bei Lukas. Sie zieht sich durch alle Evangelien. Denken wir nur an die Geschichte des Mannes, der da nach dem Weg ins ewige Leben fragt und dem Jesus zuerst sagt, er möge die Gebote halten und dem er dann den Hinweis gibt „alles zu verkaufen und den Erlös den Armen zu geben“ (vgl. Mk 10.17-22 od. Mk 10,25, Mt 6,24 u.a.), der dann aber traurig weggeht, weil er ein großes Vermögen hatte. Die Erfahrung Jesu zeigt sich darin, dass es eben zwischen dem, was das Reich Gottes ausmacht und was der irdische Reichtum ist, eine große unüberbrückbare Kluft zu sein scheint.
Jesus will wohl mit diesem Gleichnis, das ja nur von Lukas weitererzählt wird und das dennoch ursprünglich zu den Worten Jesu gehört, dringend und auch einschneidend warnen, sich nicht auf Reichtum und Wohlergehen auszuruhen. Darin besteht die Gefahr, teilnahmslos und gleichgültig zu werden gegenüber der Bedürftigkeit und auch der Armut der Mitmenschen. Durch diese Gefahr wird auch der Weg zu Gott und zum Reich Gottes erschwert oder gar unmöglich gemacht. Es ist auch ein Aufruf im Augenblick des Lebens den entscheidenden Moment zu begreifen, in dem es darauf ankommt, alles aufzugeben, was dem Reich Gottes, was Gott selbst entgegensteht – und das ist neben anderem gerade auch das, was das Herz verschließt und besetzt, eben der Reichtum, der zur Gleichgültigkeit in Bezug auf die Not der Mitmenschen und damit in die Erbarmungslosigkeit gegenüber den Armen führt.
Die Alternative, die das Leben im Glauben aufzeigt, ist die Perspektive des Gottesreiches. Es ist das Leben der Ewigkeit schon im Hier und Jetzt. So schildert es Marie Luise Kaschnitz (1901-1974) in einem Gedicht mit dem Titel:
Auferstehung
Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut.
Nur das Gewohnte ist um uns.
Keine Fata Morgana von Palmen
Mit weidenden Löwen und sanften Wölfen.
Die Weckeruhren hören nicht auf zu ticken
Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.
Und dennoch leicht
Und dennoch unverwundbar
Geordnet in geheimnisvolle Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.
(Marie Luise Kaschnitz, Überallnie, Ausgewählte Gedichte 1928-1965, Frankfurt 1984, S.160)
Seien Sie gesegnet in der Liebe Gottes und bleiben Sie behütet!
Ihr P. Guido