Predigt zum 29. Sonntag im Jahreskreis – C – Ex 17,8-13; 2 Tim 3,14-4,2 u. Lk 18,1-8
Wenn man die Texte aus den heiligen Schriften, denen wir nach der liturgischen Ordnung Sonntag für Sonntag begegnen, genauer betrachtet, dann kann man erkennen, dass jene, die sie zusammengestellt haben, immer versuchten, die erste Lesung – sie ist meist aus dem sogenannten Alten Testament genommen – und das jeweilige Evangelium eine inhaltliche Beziehung aufweisen. So ist es auch heute. Da hören wir in der Lesung aus dem Buch Exodus vom inständigen Gebet des Moses für das Volk Israel und im Evangelium nach Lukas von der mahnenden Rede Jesu, allezeit zu beten und niemals darin nachzulassen. Das Gebet und die Praxis des Gebetes sind also an diesem Sonntag die tragenden Elemente der Botschaft, die uns im Glauben zurüsten sollen. Das lässt mich vom Grundsatz her fragen, wie wir das Gebet überhaupt sehen.
Gerade wenn man die Lesung aus dem Buch Exodus näher betrachtet, ist das dort geschilderte Bild für das inständige Gebet des Moses sehr anrührend. Solange er gestützt durch Aaron und Hur, die Hände zum Gebet erhoben hatte, gelang es Josua, die Feinde Israels zurückzudrängen. Dabei ist dieses inständige Gebet des Moses nur ein Teil des Geschehens. Wir dürfen davon ausgehen, dass das Zusammenwirken aller Beteiligten hier entscheidend ist: Da ist Gott selbst, der von Moses angefleht wird zur Hilfe, da sind Aaron und Hur, die als Vertreter des Volkes Mose unterstützen und da ist Josua und all die Vielen, die direkt im Kampf stehen. Schon der Kirchenlehrer Origenes hat in einem Vaterunser-Kommentar, die Frage thematisiert, welchen Sinn das Gebet hat, vor allem, wenn man bedenkt, dass Gott ja schon alles im Voraus weiß und in seiner Allmacht bedenkt und sich in Liebe sorgt. Nun, Origenes sagt dazu, dass wir nicht beten, um die Gedanken Gottes zu ändern – er ist ja die Liebe und handelt immer zu unserem Besten – sondern, dass wir uns selbst aus unserer Zerstreuung sammeln und uns so vor Gott in seiner Gegenwart im Hier und Jetzt einfinden und in seine Gemeinschaft eintreten, damit wir selbst uns verändern und verwandeln hin zu Gott und seinem guten Willen für uns und die ganze Schöpfung. Das Gebet des Moses ist also Ausdruck des Vertrauens darauf, dass Gott mit seinem Volk ist und für es und mit ihm sich sorgt. Gebet ist Zeichen des Glaubens und in der mündlichen Form auch konkreter Ausdruck des Glaubens. Wir müssen aussprechen können, was uns in der Tiefe unserer Existenz bewegt, was uns bedrängt und was uns erfreut. Im Gebet halte ich mich und mein Leben, meine Geschichte und meine Welt also vor Gott hin. Das geschieht innerlich in Gedanken und auch nach außen und hinein in die Welt durch den Mund und die Sprache und durch Zeichen und Gesten.
Mich erinnert das an Predigten von Karl Rahner, die dieser große Theologe unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg in St. Michael in München über das Gebet gehalten hat. Er erinnerte in einer von ihnen an die Nächte im Keller, wo die Verschütteten nach den Bomben einsam und ohnmächtig warteten, ob einer käme, um sie aus ihrem Elend herauszuholen. Die verschütteten Herzen freizuschaufeln – das sei der Sinn des Gebetes. So sagt es Karl Rahner. Gebet als Öffnung des Herzens. Und er sagt weiter: „Wenn du meinst, dein Herz könne nicht beten, dann bete mit dem Mund, knie, falte die Hände, sprich laut, und selbst wenn dir all das wie eine Lüge vorkommt (es ist nur das verzweifelte Sichwehren deines Unglaubens vor seinem Tod, der ja doch schon besiegt ist): Ich glaube, hilf meinem Unglauben“ (vgl. Karl Rahner „Von der Not und dem Segen des Gebetes“ Neuaufl. Freiburg 2021). Mit dem Mund beten, auch wenn die Seele noch hinterherhinkt! Das ist gerade für uns heute gut, die wir so vieles zweifelnd in Frage stellen: So wagt der Mund einen Vorgriff auf etwas, was das Herz des Beters zutiefst ersehnt. Wir wollen geborgen und angenommen sein und ohne Angst.
Genau darin liegt auch die Botschaft der kleinen Geschichte Jesu vom Drängen der Witwe. Gott ist nicht der bedrängte Richter in der Geschichte. Eine solche Deutung wäre irrig und damit falsch. Vielmehr ist der feste Glaube der Frau an ihr Recht der entscheidende Punkt. Dieser Glaube, dieses Vertrauen ist es, auf die es ankommt. Deshalb fragt Jesus ja danach, ob der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben auf Erden finden wird (vgl. Lk 18,8). Nochmal: Gebet ist konkreter Ausdruck des Glaubens. Im andauernden Gebet zu verharren, ist so Konkretisierung des Glaubens an die Nähe und Liebe Gottes.
In diesen Gedankengang fügt sich beispielsweise auch eine interessante Meditation der großen Theresa von Avila zum Vaterunser, die in ihrem Buch „Weg der Vollkommenheit“ (Kap.26-42) aufgezeichnet ist. Für Theresa ist das Gebet, zumal das Vaterunser, ein Heilmittel, das den Menschen aus der Verlorenheit der begrenzten eigenen Gedankenwelt zu befreien vermag. Für sie ist das ausdrücklich gesprochene mündliche Gebet die Grundlage, ohne die sich die Innerlichkeit des Menschen schnell in Versponnenheit ins eigene Ich umkehren und damit zu verrückten Egoismus werden kann. Gebet ist Überwindung des eigenen Ich und Öffnung des Herzens und der Sinne auf Gott und seine Nähe hin. Gebet ist ein Weg in die Liebe Gottes.
Madeleine Delbrél (1904-1964), die Mystikerin der Straße, spricht davon, wie wichtig es ist, jeden geeigneten Augenblick, zum Gebet zu nutzen. Sie schreibt: „In das beschäftigste, umhergeworfenste Leben dringen doch, wie feiner Staub, leere Zeitteilchen ein. Sieht man sie – man sieht sie nicht immer –, so müsste man auf den Gedanken kommen, sie zusammenzulegen und dadurch ein Stück verwendbare Zeit zu gewinnen. Wenn wir behaupten, beten sei aus Zeitmangel unmöglich, so müssen wir uns auf die Suche nach diesem Zeitstaub machen und ihn, so wie er ist verwerten“ (M. Delbrél „Gebet in einem weltlichen Leben“, Freiburg, 6/2005, S. 82). Sie weiß aus ihrer eigenen Geschichte, wie wichtig das Gebet als Ausdruck der Suche nach dem Glauben und für den Glauben selbst ist: „Dann habe ich, betend und nachdenkend, Gott gefunden, aber indem ich betete, habe ich geglaubt, dass Gott mich fand und dass er lebendige Wirklichkeit ist und man ihn lieben kann, wie man eine Person liebt." (M. Delbrél „Wir Nachbarn der Kommunisten“ Einsiedeln 1975, S.16)
Wer also Gott sein Herz öffnet, ihm die Türe zu seinem Leben aufschließt, ihn ausdrücklich einlädt, zu Gast zu sein, darf sich nicht wundern, wenn genau das dann auch Wirklichkeit wird. Und wir dürfen begreifen, dass er schon längst in unseren Herzen wohnt und darauf wartet uns seine Liebe und Nähe zu schenken, um uns zu heilen und zu befreien.
Seien Sie in der Liebe Gottes gesegnet und behütet!
Ihr P. Guido















