Der Tod hat keine Chance mehr
Predigt zum Osterfest 2022 – Kol 3,1-4 und Joh 20,1-9
„… Sie wussten noch nicht aus der Schrift, dass er von den Toten auferstehen musste“ (Joh 20,9). Eine, so mutet sie an, seltsame Feststellung! Jesus hatte den Jüngern doch mehr als einmal gesagt, dass nach all dem Schrecken des Todes und der Ungerechtigkeit etwas anderes sein würde: Die Fülle des Lebens! Ist es denn so, dass die Skepsis und die Erwartung den Weg durch den Akt des Glaubens nehmen müssen, bis man dann zum Wissenden wird? Durch den Glauben hindurch, der neu schaffen kann und der der wahre Pfad des Vertrauens ist, der hinschaut auf die eigene Schwäche und alles, aber auch alles erwartet von dem den Jesus als seinen Vater verkündet hat? Die Glaubenserzählungen der heiligen Schriften, sind sie die Spur auf diesem Pfad des Vertrauens?
Mir kommt ein Gedicht von Marie Luise Kaschnitz (1901-1974) in den Sinn. Hier ist es:
Die Mutigen wissen
Dass sie nicht auferstehen
Dass kein Fleisch um sie wächst
Am jüngsten Morgen
Dass sie nichts mehr erinnern
Niemandem wiederbegegnen
Dass nichts ihrer wartet
Keine Seligkeit
Keine Folter
Ich
Bin nicht mutig.
Marie Luise Kaschnitz
Aus: Dies., Gesammelte Werke in sieben Bänden.
Fünfter Band: Die Gedichte (c) Insel Verlag 1985
Und ich frage:
„Die Mutigen…“ – Sind das all jene Menschen, die in ihrer Weltgewandtheit den Blick über den Horizont hinaus, über diese unsere Welt hinaus, verloren haben und nicht einmal wissen, was das ist: über die Welt hinaus? Die Welt, unsere Welt, begrenzt auf den irdischen Weg, 70, 80 oder 90 Jahre. Und danach Schluss. Ich denke an einen Text von Berthold Brecht, der dieses Weltgefühl umschrieb, indem er sagte: „Lasst euch nicht verwirren. Nichts kommt hinterher!“
„Die Mutigen…“ – So wie Marie Luise Kaschnitz sie umschreibt, sind das Menschen, die nicht träumen können; Menschen, die keine Erinnerungen und Beziehungen haben können; Menschen, die nicht leiden und also auch nicht lieben können.
„Die Mutigen…“ Sind das die „Wissensmenschen“, die sich nur an die Fakten halten, vorgeblich, auch wenn es alternative Fakten sind, also Lügen? Was sollten sie auch beispielsweise mit dem gewaltigen Sprachbild des Propheten Ezechiel anfangen, dem Gott auf einem Totenfeld mit Knochen durch die göttliche Schöpferkraft seines Geistes vor Augen führte, dass sich diese Gebeine umkleideten mit Fleisch und Sehnen und Haut und Leben (vgl. Ez 37,1-14).
„Die Mutigen…“ Sind das Menschen, die sich begnügen mit Flugzeugen, Raketen und Bomben, mit Gewehren und Gewalt, mit Ökonomie und Aktienkursen und mit der vagen Hoffnung, dass irgendwann einmal eine Pille gegen Fettsucht oder das Alter oder sogar den Tod entdeckt wird?
„Die Mutigen…“ Sind das Menschen, die die Stille und das Schweigen nicht aushalten können, und das Warten und den Schmerz und die Einsamkeit, weil sie nicht damit rechnen, dass auch in der Stille, im Warten, im Schmerz und auch in der Einsamkeit sich eine Türe der Begegnung öffnet, ein Weg über sie hinaus?
„Die Mutigen…“ Sind das jene Menschen, die sehen, was vor ihren Augen ist, aber dennoch nicht begreifen, dass in all dem sich anderes widerspiegelt, oder sagen wir besser „jemand anderes“, jemand, der mit dem Menschen sein will, mit ihm, weil er die Liebe ist und das für ewig?
Ja, mit Marie Luise Kaschnitz möchte ich sagen:
Ich
Bin nicht mutig,
weil ich, weil wir unsere Ängste nur überwinden können, wenn wir sie annehmen und teilen mit dem, der durch sie hindurchgegangen ist. Nicht die „Mutigen“ von denen Maria Luise Kaschnitz spricht, sondern die „Demütigen“ sind gesucht. Ihre Haltung ist der wahre Mut. „Nicht mein Wille geschehe …“ (Mk14,36; Mt 26,39.42; Lk 22,42) und „Meine Speise ist es, den Wille dessen zu tun, der mich gesandt hat …“ (Joh 4,34) war sein Wort und Gebet. Und Gott hat ihn nicht im Tode gelassen. Der Tod hat keine Chance mehr. Jesus Christus lebt. Der Vater hat ihn auferweckt und er ist auferstanden zum Leben der Ewigkeit. So beantwortet sich die Frage des Anfangs: Es bedarf der Skepsis in der Frage und es braucht demütigen Glauben, der sich führen lässt vom Auferstandenen. Und wie den Emmausjüngern, von denen Lukas erzählt, wird er den brennenden Herzen die Augen öffnen für das Verständnis der heiligen Schriften (vgl. Lk 24,13-35).
Ihnen und Euch ein gesegnetes Osterfest!
P. Guido
Hier die Tagestexte zum Ostersonntag