Predigt zum 4. Sonntag d. Osterzeit – C – Apg 13,14.43b-52; Offb 7,9.14b-17 u. Joh 10,27-30
Jenen, die da Jesus zuhörten, waren Hirten aus ihrer alltäglichen Umwelt bestens vertraut. Hirten zogen mit ihren Schafen durchs Land, mussten unter den widrigsten klimatischen Bedingungen Israels fruchtbare Stellen finden, um den Schafen das Überleben und sich selbst die wirtschaftliche Existenz zu sichern. Ein Hirte musste ständig bei seinen Schafen sein, damit diese nicht verloren gingen, nicht verunglückten und auch, damit sie nicht gestohlen oder von wilden Tieren angegriffen wurden. Übrigens: Hirte sein, war kein ehrenvoller Beruf, vielmehr vermutete man, dass sie sich an den anvertrauten Tieren für ihren Einsatz schadlos hielten. Hirten gehörten zu denen am unteren Ende der Gesellschaft. Es ist also alles andere als ein romantisches oder idyllisches Bild, das Jesus gebraucht. Es ist gerade in seiner Mehrdeutigkeit einfach ein realistisches Bild aus dem Alltag der Menschen. Trotzdem ist es ein Bild, das tief im Bewusstsein der Menschen verankert war: Einerseits aus der Tradition der Geschichte und ebenso im religiösen Zusammenhang. Das Urbild des „Guten Hirten“ war für die Menschen das Bild des Friedenskönigs David, der aus seiner tiefen Gottesbeziehung Hirte seines Volkes war und den Menschen eine lange Zeit des Friedens schenkte (vgl. 1 u. 2 Sam) und das Bild des „Hirten“, der Gott selbst für sein Volk ist, vor Augen stellt (vgl. Gen 48,15; Ps 23,1; Jes 40,11; Mi 5,3; Ez 34,23 u.v.m.). Es beschreibt aber auch jene, die als schlechte und ungeeignete Hirten die ihnen anvertraute Herde ausnutzen und bei Gefahr weglaufen (vgl. Ez 34,8 u.v.m.). Jesus spricht im Johannesevangelium konkret von beiden, vom „Guten Hirten“ und auch vom „Schlechten Hirten“, den er den „bezahlten Knecht“ nennt (vgl. Joh 10,11-18).
Das entscheidende Kriterium für den „Guten Hirten“ ist nach den Worten Jesu die Bereitschaft zum totalen Einsatz für die ihm anvertraute Herde. Die gipfelt in der Selbstaussage: „Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe“ (Joh 10,11). Bis hierhin könnte man fast noch sagen: Großartig, da ist jemand, der nimmt seine Aufgabe völlig ernst, todernst im wahrsten Sinne des Wortes. Die Menschen konnten tatsächlich ahnen, wie ernst es Jesus mit seinem Auftrag vom himmlischen Vater her war. Und doch konnten sich angesichts der beschriebenen Realitätserfahrungen auch Zweifel einschleichen. Denn, so mag man einwenden, ein noch so guter Hirte wird sich zwar um seine Herde kümmern, wird er aber wirklich sein Leben geben, hergeben für seine Herde? So wird der eine oder die andere sich gesagt haben: Ein Hirte kümmert sich zwar um seine Schafe, aber doch nicht um jeden Preis. Der Hirte wird lieber seine Schafe verlieren als sein eigenes Leben. Ein Hirte wird lieber ein verarmter Bettler sein als tot. Mag der Hirte für die Schafe also ein ständiger Mittelpunkt ihres Lebens sein, so ist er doch im Letzten nicht verlässlich.
Die Skepsis scheint angebracht, denn das gibt es auch unter uns Menschen: Charismatische Führer, die anderen Leuten kluge Ratschläge erteilen, sich dann aber als Erste zurückziehen, wenn es brenzlig wird. So haben es viele in der Geschichte gemacht - Diktatoren und Despoten, die von ihren Völkern Opfer verlangten, für sich selbst aber Paläste und Bunker bauten, um sicher und bequem zu leben. So machen es auch manche religiösen Anführer, sektiererische Fanatiker, die andere ins Verderben treiben, in die Verzweiflung, bisweilen sogar in den Tod, selbst aber Reichtümer anhäufen und sich fernab von den Problemen ihrer Gefolgsleute ein angenehmes Leben machen.
Jesus mag solche Einwände geahnt oder gar erfahren haben. Deshalb sagt er als ergänzenden Gegenpol zur eigenen Hingabebereitschaft etwas, das nicht nur unerhört klingt, sondern es tatsächlich ist. Damit sind wir bei dem angekommen, was uns der heutige Textabschnitt des Johannesevangeliums vermitteln will. Hören wir noch einmal hin: „Ihr aber glaubt nicht, weil ihr nicht zu meinen Schafen gehört. Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie und sie folgen mir. Ich gebe ihnen ewiges Leben. Sie werden niemals zugrunde gehen und niemand wird sie meiner Hand entreißen. Mein Vater, der sie mir gab, ist größer als alle und niemand kann sie der Hand meines Vaters entreißen. Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,26-30). Das hört sich an, als sei es Größenwahnsinnig und ebenso eine maßlose Übertreibung! Dem ist nicht so! Denn diese Worte sind im Licht und der Erkenntnis des Ostergeschehens aufgeschrieben und weitergegeben worden. Kreuzestod und Auferstehung stehen für die Wahrheit der Worte Jesu. Er hat tatsächlich sein Leben gegeben für die Seinen. Genau deshalb hat der Evangelist Johannes und haben die Christen der jungen Gemeinde den Mut gehabt, diese Worte Jesu auch aufzuschreiben und weiterzugeben bis zu uns hin. Was Jesus auf seinem irdischen Weg sagte, und was er in Tod und Auferstehung durchstand, das ist in ihren Herzen zur Glaubensüberzeugung geworden, damit auch wir wissen, dass wir seinen Worten „blind“ vertrauen können. Wer auf die Stimme des Herrn hört, wer so zu ihm „ge-hört“, genauer, wer zu seinen Schafen gehört, der ist absolut in seinen und in Gottes Händen geborgen durch den Tod bis hinein in die Ewigkeit.
Da sind wir nun.
Gehören wir zu ihm?
Glauben wir ihm?
Diese Fragen fordern Antworten. Mit den Antworten auf diese Fragen gehen wir den Osterweg mit den Jüngern und der ganzen Kirche in dieser Zeit zwischen Ostern und Pfingsten Schritt für Schritt weiter. Lassen Sie mich noch einmal, wie schon am vergangenen Sonntag, einige Zeilen aus der letzten Enzyklika von Papst Franziskus als Weisung für diese österliche Zeit zitieren: „Er selbst (der Herr) sagt uns: Ich sende euch (Lk 10,3). Dies ist Teil der Freundschaft mit ihm. Damit diese Freundschaft reifen kann, musst du dich also von ihm senden lassen, um eine Aufgabe in dieser Welt zu erfüllen, mit Vertrauen, mit Großherzigkeit, mit Freiheit, ohne Angst. Wenn du dich in deine Bequemlichkeiten verschließt, wird dir das keine Sicherheit geben, es werden immer Ängste, Traurigkeiten und Sorgen auftauchen. Wer seine Aufgabe auf dieser Erde nicht erfüllt, kann nicht glücklich sein, er ist frustriert. Deshalb ist es besser, wenn du dich von ihm senden lässt, dass du dich von ihm führen lässt, wohin er will. Vergiss nicht, dass er dich begleitet. Er wirft dich nicht in den Abgrund und überlässt dich nicht deinen eigenen Kräften. Er (der Herr) treibt dich an und begleitet dich. Das hat er versprochen und das tut er: Ich bin bei euch alle Tage (Mt 28,20).“ (Dilexit Nos, Nr.215).
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Osterzeit und bleibt behütet!
Ihr P. Guido