Das Leben erfüllt sich in der Liebe
Predigt zum 24. Sonntag im Jahreskreis – B – Jes 50,5-9a; Jak 2,14-18 u. Mk 8,27-35
Die Jünger sind mit Jesus in der Nähe von Cäsaräa Philippi. Diese Stadt lag am Rande des Hermongebirges im Norden des heutigen Israel in der Nähe der Jordanquellen. Die Errichtung dieser Stadt war damals – man kann heute noch die Reste besichtigen – eine gewaltige Kulturleistung des Königs Herodes Philippus, der an den östlichen Jordanquellen überwiegend aus den dortigen Felsen eine ganze Stadt heraushauen und bauen ließ. Dort und sicher auch im Blick auf die erwähnte gewaltige Kulturleistung fragt Jesus nach der Wahrnehmung seiner Person durch die Menschen. Verbunden mit den Hinweisen auf seinen Weg des Leidens wird schnell deutlich: Es geht nicht um Meinungsumfragen, sondern darum, wie sich der Blick auf Gott und sein Handeln am Menschen öffnet. Und das ist viel mehr als eine vergängliche Kulturleistung. Damit öffnet sich, so führt Jesus das Gespräch, auch der Blick auf das Leben und die Lebensgestaltung von Gott her. Man kann es auch so auf den Punkt bringen: Jesus möchte klar machen, dass es Gott und damit auch ihm um nichts Geringeres geht, als darum, dass wir unser Leben so formen, dass es einen ewigen Mehrwert erhält und wir so durch ihn zum Leben in ungeahnter Fülle gelangen.
Es ist eine Sache, wenn man genug damit zu tun hat, überhaupt den Lebensunterhalt zu bestreiten. Viele haben in ihrem Leben genug damit zu tun. Aber wo das pure Überleben nicht das vordringliche Problem ist, da wird ganz schnell die Frage nach dem „Wie lebe ich?“ zur entscheidenden Frage. Man will viel vom Leben haben, möglichst viel erleben.
Paradox – also „überkreuz“ (Chiasmus – griechischer Buchstabe X) und widersprüchlich empfinden wir da das Wort Jesu: „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten“ (Mk 8,34f). Wie kann das sein? Nun, Leben, wie Jesus es meint, ist mehr als die wahrnehmbare Lebensgestaltung. Es betrifft den ganzen Menschen in seiner Lebendigkeit, seinem Lebenswillen, seinen Lebensäußerungen, seine ganze Existenz. Und Jesus sagt uns: Wer nur das eigene ICH entfalten und seine Existenz für sich allein retten will, der wird sein Leben verlieren, weil er das von Gott gesetzte Lebensziel verfehlt. Denn das Lebensziel menschlicher Existenz von Gottes Schöpfungsauftrag her besteht im Für- und Miteinander. Der Mensch als Abbild Gottes ist auf Gemeinschaft hin geschaffen, die ja Gott selbst verkörpert als „Vater, Sohn und Hl. Geist“.
Wer also sein Leben im Sinne Jesu einsetzt aus dem Bewusstsein des gemeinsamen Handelns in Gott, der erst findet den ganzen Reichtum menschlicher Existenz, menschlichen Lebens und damit sein Ziel.
Wir spüren Jesus geht es nicht um eine Auftrennung des Lebens in einen irdischen und einen himmlischen Teil. Nein! Jesus weitet den Begriff des Lebens aus, indem er irdische und himmlische Existenz zusammen sieht: Die Lebensfülle ist das gemeinsame Leben der sich gegenseitig tragenden Liebe. Das Leben erfüllt sich in der Liebe.
Denken wir an die Frage Jesu, die eine Frage, die auch uns herausfordert und damit die Perspektive auf das eigene Leben im Zusammenhang mit dem Weg Jesu öffnet: „Für wen halten die Leute den Menschensohn? – Ihr, für wen haltet Ihr mich?“ (Mk 8,29a).
Antworten wir wie Petrus aus der tieferen Erkenntnis des Glaubens an die besondere Sendung Jesu: „Du bist der Christus!“ (Mk 8,29b) – „der Gesalbte – der Messias!“? Im übertragenden Sinne muss diese Wahrnehmung der Person Jesu in sich bedeuten: Ich bin für euch der „Christus – der Gesalbte – der Messias“, weil ich in meiner Existenz ganz für euch da bin. Ahnen wir hier die Bedeutung des Kreuzes, als Zeichen der Lebenshingabe aus Liebe, oder bleiben wir in einer verkürzten und nur auf die eigene Sicherheit bedachten Abwehr des Kreuzes hängen? Petrus äußert auch letztere Sichtweise und erfährt eine klare Abfuhr durch Jesus: „Tritt hinter mich, du Satan! Denn du hast nicht im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen“ (Mk 8,33b). Jesus sieht die erste Aussage des Petrus als Bestärkung für seinen Weg der Liebe, die zweite Aussage begreift er als Angriff auf seine Entscheidung den Weg des Kreuzes und der Hingabe zu gehen. Dagegen wehrt er sich.
Im Brennpunkt steht also zunächst Jesus selbst. Indem er seinen Weg geht, gibt er ein Zeichen und Beispiel für uns. Er ist nicht gekommen, unsere Arbeit zu tun, er ist gekommen, um den Weg Gottes als Einladung an die Menschen durch sein Wort, seine Zeichen, sein Leben und Sterben deutlich zu machen. Er selbst geht diesen Weg konsequent bis zum Kreuz. Und als Bestätigung dieses Weges hat der Vater ihn ins Neue Leben der Auferstehung auferweckt. Wir sind eingeladen ihm auf diesem Weg zu folgen.
Vom Kreuz her, also „überkreuz“ und damit anders, öffnet sich der Blick auf das Lebensziel: Wer mit Gott lebt, ihn – der die Liebe ist – über seine Existenz und sein Leben verfügen lässt, der macht sich mit Jesus auf den Weg, der in die Weite und Freiheit des ganzen Lebens irdisch und himmlisch führt. Und das jetzt schon! Er wird sich verlieren und doch findet er sich, weil er oder sie frei wird für ein Leben im weiten Horizont der Liebe Gottes!
Nein, es bedarf keiner Meinungsumfrage. Der Weg Jesu und der Weg des Christen ist der Weg hin in die Nähe Gottes, in die Gemeinschaft der Liebe – hier im Zeichen des Kreuzes also der Hingabe und dort in der Vollendung der himmlischen Gemeinschaft.
Ich denke an ein Wort des Hl. Bernhard von Clairvaux:
„Des Kreuzes Arme sind wie die Flügel der Vögel: Sie tragen nach oben.“
„Nach oben“ – hinaus in die Weite und Freiheit und doch geborgen in der Liebe Gottes.
Seien Sie in der Liebe Gottes gesegnet und behütet!
Ihr P. Guido