Da wird ein Neuanfang und entsprechende Orientierung benötigt
Predigt zum Fest Christkönig (B) – Dan 7, 2a.13b-14 und Joh 18, 33b-37
Vielleicht kennen Sie die Geschichte, die ich ihnen erzählen möchte:
An einer sehr gefährlichen Küste, die schon vielen Schiffen zum Verhängnis geworden war, befand sich vor Zeiten eine armselige Hütte. Sie diente zusammen mit einem einfachen Ruderboot einer Handvoll Freiwilliger als Rettungsstation. Unentwegt versahen sie einen Wachdienst und wagten sich tags wie nachts unermüdlich und ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben hinaus auf das gefährliche Meer, um Schiffbrüchige zu bergen. Dank dieses kleinen Stützpunktes wurden so viele Menschen gerettet, dass nicht nur die Bekanntheit wuchs. Viele der Geretteten und andere Leute waren nun gerne bereit, Zeit Energie und Geld aufzubringen, um die Station zu unterstützen. Man kaufte neue Boote, schulte neue Mannschaften. Eine Erfolgsgeschichte.
Vielen Wohltätern dieser Rettungsstation gefiel mit der Zeit die ärmliche Hütte nicht mehr. Also wurde das Provisorium ausgebaut und mit neuem Mobiliar ausgestattet. Doch damit erfreute sich die Rettungsstation zunehmender Beliebtheit als Aufenthaltsort; immer gemütlicher wurde sie hergerichtet und wandelte sich zu einer Art Clubhaus. Dort traf man sich, um zu verweilen und Feste zu feiern. Immer weniger Freiwillige waren dann aber bereit, in Seenot geratene Menschen zu bergen. Immerhin schmückte das Wappen des Seenotdienstes die Räume und im Hauptraum hing von der Decke das Modell eines großen Rettungsbootes.
Bei einer Versammlung gab es nun aber einen Streit. Die meisten wollten den Rettungsdienst einstellen, da er unangenehm und dem Clubbetrieb abträglich sei. Einige jedoch vertraten die Ansicht, dass Lebensrettung die vorrangige Aufgabe sei. Sie wurden schnell überstimmt. Man ließ sie wissen, dass sie, wenn ihnen das Leben all dieser schiffbrüchigen Typen so wichtig sei, ja woanders ihre eigene Rettungsstation aufmachen könnten. Das geschah auch.
Die Jahre vergingen und die neue Station wandelte sich genauso wie die erste. Sie wurde zu einem Clubhaus, und so kam es zur Gründung gar einer dritten Rettungsstation. Doch auch hier wiederholte sich die Geschichte.
Wenn man heute die genannte Küste besucht, findet man längs der Uferstraße eine beträchtliche Anzahl exklusiver Clubhäuser. Immer noch wird die gefährliche Küste vielen Schiffen und ihren Besatzungen zum Verhängnis; nur – die meisten Schiffbrüchige ertrinken.
Keine Frage! Da wird ein Neuanfang und entsprechende Orientierung benötigt!
Als im Heiligen Jahr 1925 Papst Pius der XI. das Christkönigsfest für die ganze Kirche einführte – man feierte es damals am letzten Sonntag im Oktober – sollte der Blick aller Glaubender und der ganzen Kirche neu auf Christus und seine Botschaft gerichtet werden. Das war auch notwendig, da nach dem Zerbrechen der Weltordnung nach dem ersten Weltkrieg und mit dem Aufkommen nationalsozialistischer und faschistischer Ideologien, die Menschen eine neue Orientierung brauchten. Christ-Sein sollte der Gegenpol zu politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen werden, die die Menschen von sich selbst weg und in die Irre führten. Das Gegenbild zu den vergangenen und den sich neu entwickelnden Machtstrukturen der damaligen Zeit war und ist der „Christus-König“ des Evangeliums, der mit Dornenkrone und blutbeflecktem Mantel dem Menschen bis in seine größte Not hinein beisteht und ihm den Weg zum Leben zeigt, einem Leben, das einzig der Wahrheit Gottes verpflichtet ist. Dieser Christus-König sollte das Vorbild des Glaubens sein und zu einem neuen Profil für das helfen, was Christ-sein ausmachte und ausmacht: die eigene und die Seelen anderer zu retten!
Manche der Älteren erinnern sich noch an die katholischen Bekenntnistage vor allem für junge Menschen, die ursprünglich am Sonntag nach Pfingsten gefeiert und die dann – weil die Nationalsozialisten ein Sportfest auf diesen Sonntag legten – mit dem Christkönigsfest verbunden wurde. Bei der Liturgiereform nach dem 2. Vatikanischen Konzil (1969) verlegte man das Christkönigsfest auf den letzten Novembersonntag, den letzten Sonntag im Kirchenjahr.
Im Heute unseres Christ-seins und -werdens ist es – so denke ich – wie damals im Jahr 1925 notwendig, den Blick neu auf das Vorbild des Glaubens zu richten. Die einzelnen Christinnen und Christen, die Gemeinden, ja, die ganze Kirche, wir alle suchen ja nach einer neuen Orientierung in dieser global vernetzten Welt. Nur so können wir den angestoßenen Prozess der Beratungen im „Synodalen Weg“ bei uns in Deutschland wie auch in der Weltkirche recht verstehen. Die entscheidende Sinn-Frage dabei lautet: Was ist der Kern und die Mitte unseres Glaubens und wie machen wir ihn deutlich sichtbar? Wie können wir Menschen zur Wahrheit in Christus führen und begleiten? „Wahrheit“, das ist das Stichwort.
Die „Wahrheit“ nun – Pilatus fragt ja Jesus nach ihr – ist kein abstrakter Begriff, sondern sie ist der Weg Jesu und sein Leben für uns. Er ist die Mitte und der Inhalt und Vorbild für unseren eigenen Weg und unser Leben als Christen. Anders gesagt: unser Glaube und unser Leben im Glauben sind kein Selbstzweck, sondern Herausforderung, das Leben einzusetzen, weil wir unüberhörbar von größter Not angefragt sind: S O S – Save Our Souls – Rettet unsere Seelen – so lautet auch heute der Notruf unzähliger Menschen. Es sind die Schiffbrüchigen unserer Zeit und Welt, denen wir uns zu stellen haben. Unsere Würde als Menschen besteht nicht darin, dass wir uns von den Untiefen der Ökonomie und des Geldes, den Ideologien der Politik oder der Macht, dem Rausch des Konsums oder anderem... verschlingen und entmenschlichen lassen, wie es der blanke Hans bei den Schiffbrüchigen tut. Unsere Würde als einmalige und geliebte Menschen besteht vielmehr darin, dass Gott uns in Jesus Christus, in seinem Königtum der Liebe und der Gerechtigkeit seine Würde verliehen hat – dem Größten wie dem Kleinsten, dem Reichsten wie dem Ärmsten und dem Lebenden wie dem Sterbenden... durch sein Ansehen und seine Liebe.
Ganz gleich, wie die Rettungsstation Kirche oder Gemeinde aussieht – die eigene Seele und die Seelen der Welt sind uns von Christus her anvertraut. Nur wenn wir tatsächlich als Menschen leben, die von ihm geliebt, beauftragt und auf ihn bezogen sind, werden wir den rechten Weg zum Vater finden und können andere zu ihm begleiten, können wir uns und sie retten.
Seien Sie vom Herrn gesegnet und behütet! Ihr P. Guido