Botschaft als deutliche Kritik an Machtgehabe und falschen Strukturen in der Kirche


Predigt zum 3. Sonntag im Jahreskreis – C – Neh 8,2-4a.5-6.8-10 und Lk 1,1-4; 4,14-21
Unser Sonntagsevangelium besteht deutlich aus zwei Textteilen. Die Liturgen haben es so vorgegeben. Der erste Teil liest sich wie ein Vorwort oder eine Widmung. Da ist jemand, an den Lukas sein Evangelium richtet. Theophilus', sein Name, der „Freund Gottes“ bedeutet, ist ein Name, den wir alle von Gott erhalten können, wenn wir seinen Lehren folgen und Jesus als unseren persönlichen Freund und Retter erkennen. Theophilus' Name kann auch „von Gott geliebt“ bedeuten. Ob Lukas den Adressaten seines Evangeliums und auch der von ihm verfassten Apostelgeschichte, denn auch dort spricht er Theophilos an, allgemein als literarische Person gesehen hat, oder ob er ein ihm bekannter Zeitgenosse war – es gibt da verschiedene Theorien bei den Schriftauslegern – wissen wir nicht. Mir ist der Gedanke sympathisch, dass er ein konkreter Ansprechpartner war, vielleicht einer, der sich für das Leben und Wirken Jesu und der jungen Kirche interessierte. Ob ein einflussreicher Römer – „hochverehrter Theophilus“, redet ihn Lukas an – oder ein einfach nach Wahrheit suchender Neubekehrter – Lukas schreibt von der Zuverlässigkeit der Zeugen und der Lehre als Gewährleistung – ganz gleich: Wir, Du und Ich, sind, sofern wir an Jesus interessiert sind, die Gegenüber des Lukas und seiner Botschaft. Gleichzeitig wird mit dieser Zuordnung auch ausgedrückt: Gottes Offenbarung in Jesus Christus ereignet sich inmitten der Geschichte von Menschen, in Raum und Zeit. Die Menschwerdung des Sohnes Gottes ist also kein geschichtsloser Mythos. Er ist aber auch kein simpler Historienklatsch. Was das bedeutet, wird im zweiten Teil unseres Evangelien-Textes deutlich.
Da erzählt Lukas davon, wie Jesus sich selbst vorstellt und wie er seinen Auftrag sieht. Sofort fällt etwas auf: Jesus zitiert den Propheten Jesaja (Jes 61,1-2) und es werden einige Worte ausgelassen. Bei Jesaja ist die Rede „von einem Tag der Vergeltung für Gott“ (vgl. Jes 61,2b). Genau dieser Negativansatz wird nicht genannt. Das heißt: Jesus verkündet den Zuhörern also einen bedingungslos liebenden und befreienden Gott, keinen strafenden und Vergeltung übenden. Gott ist der Barmherzige und Liebende. Diesem Gottesbild bleibt Lukas in seinem ganzen Evangelium treu, und was er von Jesus und dessen Botschaft und Wirken berichtet, bekräftigt die Proklamation des Anfangs. Dazu gehören beispielsweise die Gleichnisse vom verlorenen Schaf, von der verlorenen Drachme (Lk 15,1-10) und vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32), die einen Gott verkünden, der sich gerade den ihm am weitesten Entfernten zuwendet, der sie sucht und ihnen nachgeht; da ist ebenso das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25-37), das die rettende Tat ausgerechnet durch einen verpönten Außenseiter geschehen lässt, während die amtlich bestellten Vertreter des Tempelkults – Priester und Levit – versagen. Die bedingungslose Liebe Gottes gilt, so bezeugt es Lukas, besonders den Schwächsten und den Ausgegrenzten: Es sind die Mahlgemeinschaften die Jesus gegen alle Konvention mit Zöllnern und Sündern und mit den ins gesellschaftliche Abseits Gedrängten pflegt (vgl. Lk 14). Nicht gut kommen jene weg, die andere knechten, ausgrenzen und unterdrücken und sich auf sich selbst und ihr selbstgerechtes Tun etwas einbilden. Sie erfahren Kritik aber auch die Einladung umzukehren.
In der Synagoge von Nazareth umschreibt Jesus seine Sendung vom Vater her als Tun der „Befreiung“. Darin erweist sich der „Geist Gottes“, der auf ihm ruht. Das bedeutet: Wo Gott seine Herrschaft, sein Reich aufrichtet, da wird der Mensch „frei“ („erlöst“) von allen zerstörenden Herrschaften. Wo Gott selbst Herr ist, da hat die Herrschaft von Krankheit und Sünde und auch von seelischer Blindheit und knechtender Angst ein Ende. Wo Gott herrscht, da können nicht mehr Menschen über Menschen herrschen. Wir können heute eine solche Botschaft als deutliche Kritik an Machtgehabe und falschen Strukturen in der Kirche lesen und verstehen.
„Ein Gnadenjahr des Herrn“ wird angesagt. So gibt Lukas seine Sicht auf Jesus und auf die Frohe Botschaft vom bedingungslos liebenden Gott weiter. Auf diesem Hintergrund finden sich bei ihm immer wieder Hinweise auch für unseren Glaubensweg mit Jesus. Ich nenne hier nur zwei Beispiele:
Zutrauen trotz aller Fehler -
Auffallend ist für mich, dass Jesus bei Lukas besonders deutlich als Heiland der Sünder, der Krüppel, der Armen und Ausgestoßenen gezeichnet wird. „Hab‘ keine Angst, umzukehren“, sagt er mir durch die Geschichte vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32). „Deine Schuld ist vergeben“, sagt er mir durch deine Erzählung von der Sünderin, die Jesus die Füße salbt (Lk 7,36-50). „Ich traue dir zu, viel Gutes zu tun“, sagt er mir durch die Erzählung vom wunderbaren Fischfang, wo Petrus seinen Unglauben eingesteht und von Jesus zur neuen Aufgabe des Menschenfischens für ihn ermuntert wird (Lk 5,1-11).
Im Glauben unterwegs sein -
Tröstlich finde ich, dass Glaube für ihn nicht etwas Fertiges, Abgeschlossenes bedeutet, sondern ein Suchen und Ringen um den richtigen Weg. Typisch Lukas, denke ich, wenn ich sehe, wie viel in seinem Evangelium auf dem Weg geschieht, wie genau er beispielsweise im Weg der Emmausjünger einen Glaubensweg nachzeichnet: von Ratlosigkeit und Traurigkeit über Verwunderung und Zweifel bis hin zur Osterfreude - die Höhen und Tiefen des Glaubens finden wir in seinen Erzählungen wieder (Lk 24,13-25).
Es lohnt sich wirklich, mit Hilfe des Lukas-Evangeliums darüber nachzudenken, wie die Anstöße seiner Sicht auf Jesus in unser Leben wirken und uns im Glauben helfen können:
So frage ich,
- welche Taten des Glaubens traut mir Jesus zu und erwartet von mir?
- wie kann ich zeigen, dass das Heil durch Jesus tatsächlich spürbar und erfahrbar ist?
- welche Kräfte werden frei, wenn ich daran glaube, dass ich als erlöster Mensch leben darf?
- wie viel Zeit und Nachdenken darf ich brauchen, um auf meinem Glaubensweg weiterzukommen? Gehen wir also mit Lukas den Weg hinein in dieses „Gnadenjahr des Herrn“.
Der Herr geht mit! Seien Sie gesegnet und behütet! Ihr P. Guido