Bitte um Einheit
Predigt zum 7. Ostersonntag – C – Offb 22,12-14.16-17.20 und Joh 17,20-26
An diesem Sonntag vor Pfingsten ist im Evangelium des Johannes von Einheit die Rede. Und sicher denken wir dabei in diesen Tagen an das vom Krieg in der Ukraine zerrissene menschliche Zusammenleben dort und natürlich auch an andere Schwierigkeiten unter Menschen und Staaten auf unserer so bedrohten Welt. Wir Christen denken an die fehlende Einheit unter den vielfach gespaltenen und zerstrittenen Christen in Kirchen und Konfessionen.
Nun, Jesus hat in seinem Abschiedsgebet einen besonderen Blickwinkel. Das ist auch die besondere Intention des Evangelisten Johannes. Die Einheit der Glaubenden sieht er begründet in der tief innigen Verbundenheit und Einheit Jesu mit seinem himmlischen Vater. Das bedeutet: Unser Leben als Christen, unsere Glaubwürdigkeit, unser Wirken auf die Menschen um uns und in der Welt, unser Umgang als Christen untereinander in der Kirche und zwischen den Konfessionen - all das hängt so in erster Linie davon ab, inwieweit uns die Verbindung, die Einheit mit Jesus Christus, mit Gott, dem Vater, als Lebensnerv wichtig ist und als solche wahrgenommen wird. Und diese Verbundenheit und Einheit ist zuerst nicht gemacht, sondern erbetet und geschenkt. Gerade in der Vielfältigkeit braucht es so etwas wie ein gemeinsames Fundament, auf dem das Haus der Gemeinschaft gebaut werden kann. So hat Jesus schon zuvor seinen Jüngern gesagt: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt“ (Joh 15,16a) und vorher sagt er: „Ohne mich könnt ihr nichts tun“ (Joh 15,5). Er lenkt also den Blick von ihnen selbst ab, um sie zu entlasten und sie daran zu erinnern, dass sie in seinem Auftrag und mit seiner Hilfe wirken sollen und es auch nur mit ihm können.
Genau deshalb richtet Jesus seine Bitte um Einheit nicht an seine Jünger, sondern an den Vater. Die Einheit der Christen mit ihm und dem Vater soll die Möglichkeit eröffnen, dass alle Menschen Gottes Gegenwart und Herrlichkeit sehen und erfahren können. So, wie das ganze Leben Jesu Zeugnis für die Nähe und Verbindung mit Gott ist, so soll das Leben derer, die ihm nachfolgen, ebenso inniges Zeichen der Verbindung in Gott sein. Das ist der eigentliche Sinn der Einheit im Glauben! Sie ist kein Selbstzweck! Sie ist Zeugnis für den lebendigen Gott!
Weil Jesus die Grenzen menschlicher Möglichkeiten kennt, kennt er auch die Grenzen derer, die an ihn glauben und seinen Namen tragen. Als er dieses Gebet spricht, weiß er um die Grenzen seiner Jünger, die nur wenig später, als er verhaftet wird, weglaufen und in der Gestalt des Petrus sogar leugnen, ihn zu kennen. Das betrifft auch uns: Unser Mangel an Vertrauen auf die Liebe und Hilfe des Herrn lässt die Angst überhandnehmen und verhindert das Zeugnis. Deshalb bittet Jesus den Vater am Ende seines Abschiedsgebetes um die Liebe, mit der Gott, der Vater, ihn, Jesus, geliebt hat und liebt, als Geschenk für die Jünger.
Das Fundament der Einheit im Glauben ist also die gottgeschenkte Berufung zur Liebe, die im dreifaltigen Gott selbst ist. Wenn wir nun die Wirklichkeit unserer christlichen Glaubensgemeinschaften anschauen, dann war und ist da immer wieder das Ringen und Suchen um den richtigen Weg in der Nachfolge Jesu, um das rechte Verständnis seines Lebens und seiner Botschaft für die Menschen unterschiedlicher Zeiten und Kulturen. Das alles war und ist beeinflusst von glaubensfremder Politik oder anderer Interessen. Die Worte Jesu stoßen die Frage an, wie sich bei all diesen Unterschiedlichkeiten und vielfältigen Lebenswelten und -wirklichkeiten die Einheit in der Nachfolge Jesu Christi, also die Einheit der Glaubenden entfalten und darstellen kann.
Ich bin sicher: diese Einheit wird darin bestehen, dass wir einander in unserer Unterschiedlichkeit wahrnehmen, uns darin in gegenseitiger Achtung begegnen und davon auch bereichern lassen. Also: Der Weg zur Einheit im Glauben besteht nicht darin, dass gewordene und gewachsene Unterschiede eingeebnet werden müssen. Und: Der Weg zur Einheit im Glauben und alle geschichtlich und kulturell entwickelten Eigenheiten müssen sich dem Kriterium stellen, ob sie wirklich näher zu Jesus und damit zu Gott führen, genauer gesagt: Ob sie geistgewirkt sind.
Es mag sein, dass uns von Gott her Wege eröffnet werden, die wir in unserer Suche und Sehnsucht nach Einheit bislang noch nicht entdeckt haben, und die in unseren bisherigen Vorstellungen, wie sich Einheit verwirklichen könnte, noch gar nicht vorkommen. Die ganze Christenheit und jede einzelne Kirche oder christliche Glaubensgemeinschaft lebt vom Wort Jesu Christi und mit und aus vielen Traditionen, von denen wir glauben, dass sich auch in ihnen Gottes Wirken gezeigt hat und zeigt. Sie geben Halt und Orientierung, können aber auch, wenn sie nicht von Gottes Wort durchdrungen sind, auf falsche Wege führen.
Mir kommen so Fragen in den Sinn, Fragen, die wir persönlich und auch miteinander beantworten müssen, um Schritte in die Zukunft tun zu können: Vergewissern wir uns immer wieder unserer gemeinsamen Grundlagen im Wort der Heiligen Schriften? Sind wir bereit, uns von Gott auf Wege führen zu lassen, im Blick auf die Verbundenheit und Einheit mit ihm und dann auch untereinander, die unsere große menschliche und kulturelle Vielfalt umfangen kann und uns dennoch als eine Glaubensgemeinschaft erfahren lässt - zum Heil der Menschen und zur größeren Ehre Gottes? Also müssen wir uns zuerst in der Vielfältigkeit kennenlernen, um auch verstehen zu können. Und dann: Sind wir bereit, seinen Geist in uns wirken zu lassen, der uns den Sinn des Gotteswortes erschließt? Sind wir bereit, unsere Grenzen als Menschen, als Christen, als Kirchen wahrzunehmen, sie vor Gott, voreinander und vor uns selbst einzugestehen - Begrenztheiten, die oft genug zur Abkehr vom Evangelium und zur Spaltung unter Christen geführt haben?
Wichtig scheint mir, dass wir Einzelne, als Kirche und als Glaubensgemeinschaft uns immer wieder auf den notwendigen Weg begeben müssen, uns mehr und mehr zu öffnen für Gottes Leben und für das Wirken seines Geistes. Und wir müssen uns angesichts der Botschaft des Evangeliums auch bewusstwerden, wo wir als einzelne Christen und als Kirchen Jesus im Stich gelassen haben und lassen. Mich tröstet bei all dem, dass Jesus die Jünger trotz ihrer Wankelmütigkeit und Schwäche nach seiner Auferstehung wieder aufgesucht und sich und sein ganzes Lebenswerk an sie und damit an uns gebunden hat, um durch uns in dieser Welt ein menschliches Gesicht zu behalten - ein Menschengesicht, das um die eigenen Grenzen weiß, das aus dem Erbarmen und der Liebe Gottes heraus lebt und sich angenommen wissen darf. Nur so können wir uns den Mitmenschen und der Mitschöpfung in der Güte und Liebe Jesu Christi zuwenden.
Beten wir so mit Jesus um die Gabe der Einheit im Glauben!
Seien Sie gesegnet und behütet! Ihr P. Guido