Predigt zum 2. Advent – A – Jes 11,1-10; Röm 15,4-9 u. Mt 3,1-12
Damit wir es uns noch einmal vor Augen halten: Unser lateinisches Wort „adventus“ ist eine Übersetzung des griechischen Wortes „parusia“. Dieses griechische Wort meint in seiner Bedeutung nicht nur einfach „Ankunft“ sondern vielmehr: „Ankommen/Dabeisein, um zu helfen“. Daraus folgt, dass es in der Praxis des christlichen Lebens für diesen geistlichen Zeitraum der Adventszeit darum gehen muss, ihn auch als einen geistlichen Raum zu gestalten, und das im Bewusstsein, dass Gott selbst bei der Gestaltung mitwirken will. Er will uns helfen, damit wir uns richtig und gut vorbereiten für sein Kommen in Jesus Christus.
Der Umkehrruf des Täufers Johannes greift genau das auf: „Bereitet dem Herrn den Weg!“ (Mt 3,3,b). Die Leute laufen in Scharen zu diesem seltsamen Mann an den Jordan. Matthäus übertreibt es sicher, wenn er sagt: Ganz Judäa und alle Einwohner Jerusalems zogen zu ihm hinaus. Viele, soll das heißen, sind es, sehr viele. Dabei sind sie anderer Erwartung als das, worauf die Botschaft des Täufers abzielt. Sie erwarten ihren Messias und mit ihm eine radikale politische Veränderung. Der Messias, so denken sie, würde die Römer, die verhasste Besatzungsmacht, aus dem Lande jagen. Er würde ein neues, glanzvolles Reich Israel in Freiheit und Wohlstand errichten. Nein, Johannes kann nicht der Erwartete sein? Der redet doch ganz anders, als man es sich vom Messias vorstellt. Der spricht von Umkehr – nicht der äußeren Machtverhältnisse, daran ist er nicht interessiert, sondern von der Umkehr der Herzen. Aber es kann ja nicht schaden, schon mal seine Verfehlungen und seine Sünden zu bekennen und sich taufen zu lassen mit der Taufe der Umkehr. Vielleicht denken wir da nicht viel anders!
Dennoch, die sehr deutlichen Worte des Täufers, so wie sie Matthäus uns überliefert, deuten darauf hin, dass die vielen Menschen, die in die Wüste zu ihm liefen, vielleicht doch eher des Spektakels wegen oder wie man heute sagt, wegen des Events kamen. Um so mehr als ihre Erwartungen der politischen Veränderung sich nicht erfüllten.
Nochmal gesagt: Ist es denn in unseren Tagen anders? Damals hat man die Befreiung von fremder Herrschaft und ein Leben in Wohlstand erwartet. Johannes aber weist auf das Kommen Gottes hin, um allen Menschen ein Leben mit Gott zu eröffnen, damit eine neue Menschlichkeit werden kann. Die Befreiung, die er gemeint und gebracht hat, reicht weiter und tiefer als die bisweilen recht vordergründigen Erwartungen. Weihnachten feiern wir das Kommen Gottes in unsere Zeit und Welt. Wissen wir wirklich, was das bedeutet? Dieses und auch manche andere Feste verlieren dann ihren eigentlichen Sinn, wenn wir sie nicht mit dem Inhalt füllen und auch in ihrem wesenseigenen Sinn feiern. Weihnachten hat doch nichts mit protzigen Einkäufen zu tun und auch nichts mit der Coca-Cola Werbefigur eines in roten Plüsch gehüllten, weißbärtigen, gestiefelten dicken Typen mit über die Ohren gezogener Zipfelmütze. Weihnachten ist das Fest der dankbaren, uns aber auch in die Pflicht nehmenden Erinnerung daran, dass Gottes Sohn Mensch geworden ist. Und Weihnachten weiß zugleich von seiner Wiederkunft am Ende der Zeiten. Menschwerdung Gottes? – Heißt das nicht auch, dass wir das Menschsein neu betrachten müssen?
Der Täufer Johannes ruft mit den Worten des Propheten Jesaja nicht nur den vielen damals sondern auch uns heute zu: „Stimme eines Rufers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn! Macht gerade seine Straßen!“ (Mt 3,3). Wie also können wir mit Hilfe des Evangeliums den Raum der vorweihnachtlichen Zeit, der Zeit der Ankunft Christi und der dazu bereiten Hilfe durch die Gnade Gottes so gestalten, dass sie uns hilft, Gott und dem Menschen neu zu begegnen? Bei dem ehemaligen Bischof von Xingu in Amazonien, Dom Erwin Kräutler (*1939) – er stammt aus Österreich, 2010 erhielt er für sein Engagement für die Ureinwohner im Gebiet seiner Diözese und für den Erhalt des Regenwaldes den alternativen Nobelpreis und er ist auch Coautor des ersten Kapitels (Umweltschutz) der Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus –, fand ich bewegende Worte zu genau unserem Thema. Ich lasse ihn hier ausführlicher zu Wort kommen, weil er, der öfter als einmal auch mit dem Tod bedroht wurde, auf engagierte Weise in bewegender Sprache wirklich etwas zu sagen hat:
„In der Wüste einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung, einer immer bewusster werdenden Ausgrenzung breiter Bevölkerungsmassen, in der Wüste des Ausländerhasses und eines immer wieder neu aufflammenden Rassismus und Nationalismus: Was heißt es in dieser Wüste, dem Herrn den Weg zu bereiten und die Straßen zu ebnen? Soll die Stimme in der Wüste nur einzelnen gelten und sie zu persönlicher Umkehr auffordern? Müssen wir nicht gemeinsam Hand anlegen, um Mauern niederzureißen und Gräben zuzuschütten, um Misstrauen und Hass anderen Menschen und Völkern gegenüber abzubauen?
Der Herr kommt heute nicht in Glanz und Herrlichkeit zu uns. Er kommt als wehrloses, hungerndes Kind, als verzweifelter junger Mensch, als ausgemergelte kranke, herabgewürdigte Frau, als arbeitsloser, von Grund und Boden vertriebener Mann, als vergessener Greis. Er begegnet uns in den verelendeten und an den Rand gedrückten Familien, in ausgebeuteten und versklavten Völkern. Dem Herrn den Weg zu bereiten und die Straßen zu ebnen ist nicht nur individuelle Aufgabe des einzelnen Christen. Dieser Auftrag richtet sich auch an Verantwortliche in Kirche, Politik und Wirtschaft auf nationaler und internationaler Ebene. Es geht um die Bekehrung der Gewissen, aber auch um den Abbau sündiger Strukturen und ausbeutender Systeme, die im Laufe der Zeit immer mehr gewachsen sind und Geschwülste nach allen Seiten getrieben haben.
Dem Herrn den Weg zu bereiten - das heißt heute, den Weg der Geschwisterlichkeit und liebenden Solidarität gehen als Mensch, als Volk, als Staatengemeinschaft, das heißt trennende Zäune abreißen, fesselnde Ketten sprengen, die geballte Faust öffnen und Hände entgegenstrecken, die Halt geben, und gemeinsam in allen Sprachen und Kulturen das Lied der Versöhnung singen.“ (Genaue Fundstelle des Zitates nicht bekannt. Näheres in seinem Buch „Mein Leben für Amazonien“, Tyrolia, Innsbruck 2018.)
Lassen wir uns von diesen prophetischen Worten treffen und auch aufrütteln!
Ich wünsche weiterhin gesegnete Tage des Advent und bleibt behütet!
Ihr P. Guido














