Bereit zum Abschied und Neubeginn


Meditation zum Jahreswechsel 2021/2022 – Oktavtag von Weihnachten – 1. Januar 2022
Hochfest der Gottesmutter Maria – Num 6,22-27 und Lk 2,16-21
Zum Jahreswechsel und zu Beginn des Neuen Jahres wird uns das Vergehen der Zeit in einer Art bewusst, die uns wie selten unmittelbar betreffen kann. Im Augenblick des Jetzt spüren wir das Vergehen des Gestern und ebenso das herannahende Drängen des Morgen. Dem Gestern droht das Schwinden ins Nichts des Vergessens, das Morgen ist verborgen im Kommen der Zukunft. Nutzen wir – so möchte ich es vorschlagen – den Augenblick der Betrachtung in diesem Gottesdienst, um unsere Lebenszeit in der Dimension der Ewigkeit Gottes zu sehen. Doch wie nähern wir uns diesem Thema?
In seinem Gedicht „Stufen“ sagt Hermann Hesse: „Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe / bereit zum Abschied sein und Neubeginne, / um sich in Tapferkeit und ohne Trauern / in andre, neue Bindungen zu geben.“ Mag auch unsere Erinnerung im Blick auf die Vergangenheit zurückschweifen zu mancher glücklichen und geglückten Stunde, sie selbst ist vorbei. Doch sei die Frage erlaubt: Ist die glückliche Stunde wirklich vorbei? – Der Beter des Psalms 88 beispielsweise klagt schwermütig aus seinem Elend mit Blick auf die Vergänglichkeit und die Lasten des Lebens: „Elend bin ich, ein Sterbender von Jugend an“ (Ps 88,16a). Und auch hier frage ich: Sind wir wirklich zeitlebens vom Tod bedroht? Schauen wir mit den Augen des Glaubens. Mit ihnen zu schauen bedeutet, dass wir auf die Zeit des irdischen Jesus blicken, die sich zwischen Leben und Tod ausspannt und sie mit unserer Lebensspanne in Verbindung bringen.
Wir haben Weihnachten gefeiert. Die Erinnerung an den Augenblick der Geburt Jesu. Schauen wir von seinem Ende her. Als Jesus von Nazareth gewaltsam zu Tode kam, war er ungefähr Mitte dreißig Jahre alt. Das lässt sich so sagen, weil es um ein historisches Ereignis geht. Ist er aber – und die Frage mag müßig scheinen – genauso alt gewesen, als Gott ihn von den Toten auferweckte? Die Frage scheint nur deshalb müßig, weil die Herrschaft der Zeit und der Geschichte mit dem Tode vorbei ist. Das heißt: Auferstehung geschieht hinein in die Dimension Gottes, hinein in die Ewigkeit, in der es keinen Begriff der Zeit, keine Vergangenheit und keine Zukunft gibt. Wenn wir von der Dimension Gottes sprechen, dann benutzen wir den Begriff „Himmel“ und meinen damit Gottes zeitlose Gegenwart in der Gemeinschaft der Liebe, die in Gott ist und die er selbst ist als Vater, Sohn und Heiliger Geist. In ihr nun behält der Auferstandene jedes Alter, das der irdische Jesus irgendwann gehabt hat. Denn bei der Auferstehung geht nicht nur der letzte irdische Augenblick in die Ewigkeit ein. Also erkennen wir im Kind in der Krippe auch den Auferstandenen. Das so Gesagte gilt auch für uns, sind wir doch als Christen Geschwister Jesu, Kinder des Vaters im Himmel. In der Gegenwart Gottes verdichtet sich unser ganzes irdisches Leben; alle Lebensstufen sind da versammelt, jeder Augenblick, auch dieser jetzt, der – eben aus dem Nichts geschaffen – schon wieder vergeht. Nicht zurück ins Nichts, das sagt uns unser Glaube, vielmehr ist er aufgehoben in Gottes unvergänglicher Gegenwart. Wie das sein kann, so fragen wir? Wir wissen es nicht, denn wir Menschen sind nur fähig, in der Dimension von Raum und Zeit zu denken. Dass aber alles, alle Stufen und alle Augenblicke unseres Lebens in Gott versammelt sind, das verheißt uns der Osterglaube und unser glaubendes Wissen um die Verbindung zu Gott in Jesus. Wie Jesus werden wir in Gott sein, auferstehen vom Tod, neu geschaffen mit unserem ganzen und einmaligen Sein und Wesen, mit unserem Bewusstsein und unserer Persönlichkeit, denn Gott ruft uns bei unserem Namen, weil er uns kennt und jeden von unsliebt. Wir, das meint unser jeweiliges und einmaliges Ich, vom Mutterschoß an bis zu unserem Sterben. In Gott behalten wir alles gegenwärtig, was lebendig war, was wir gewollt und geliebt haben im Verlauf unserer irdischen Existenz. Das alles kommt uns zu gleich dem Gottes- und Menschensohn Jesus als Töchter und Söhne Gottes.
So sehen wir im Auferstandenen auch das Kind in der Futterkrippe im Stall von Bethlehem. Und wir begreifen mit den Evangelisten, dass wir Weihnachten nur feiern können, weil wir von Ostern glaubend wissen. In ihren Herzen haben Maria, Josef und auch die Hirten himmlisches Licht aufstrahlen sehen und in den Engeln den Glanz der Gegenwart der göttlichen Dimension wahrgenommen. Die Evangelisten Matthäus und Lukas mit ihrer Kindheitsgeschichte Jesu wissen eben glaubend – und deshalb schreiben sie es als Frohe Botschaft für uns auf – schon im Geschehen der Geburt, was es mit dem Tod und der Auferstehung auf sich hat: Jesus ist der Christus, der Herr und Heiland der Welt. In ihm verbindet sich das Menschliche mit dem Göttlichen absolut: Er ist aus seiner einmaligen Sohnes-Verbindung zum himmlischen Vater die Brücke zwischen Zeit und Raum und Ewigkeit. Aus Gottes zeitloser Ewigkeit und Gegenwart leuchtet sein Osterlicht ins Innerste all der irdischen Augenblicke und Lebensstufen des Menschenlebens und durchstrahlt selbst die größte Finsternis mit dem Glanz des Göttlichen.
Und so strahlt das Licht der Auferstehung, die auch uns durch unsere Verbindung mit Jesus Christus geschenkt ist, schon auf das Kind, das wir waren und auf alle unsere Lebensstufen und Augenblicke bis zu unserem Sterben. Die Klage des Psalmbeters wird so von ihrer Schwermut befreit. Und alle unsere Lebensstufen bedeuten in sich beides zugleich: ständiges Sterben und Abschiednehmen, aber auch bleibende Gegenwart in Gott. Nur wenn wir den Zugang zur Brücke, zur Verbindung mit Gott zerstören – das ist die Sünde –, dann kann die Schwermut und die Verzweiflung auch uns den Zugang in Gottes Ewigkeit nehmen. Damit wir aber genau in dieser Situation die erforderliche Kraft und Hilfe finden, hat Gott uns im Heiligen Geist geschenkt, dass wir uns unserer Gotteskindschaft in Jesus bewusstwerden und den Weg zu ihm finden. Hermann Hesse beschließt sein Gedicht Stufen: „Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde / uns neuen Räumen jung entgegen senden, / des Lebens Ruf an uns wird niemals enden… / Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“
Der Oktavtag von Weihnachten, der erste Tag des Neuen Jahres, ist der Festtag der Gottesmutter Maria. Von ihr, die den Gottes- und Menschensohn von der Empfängnis bis zum Kreuzestod getragen und begleitet hat, heißt es bei Lukas: „Maria aber bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen“ (Lk 2,19). Bewahren wir also wie sie, dass wir in der Gemeinschaft mit Gott jetzt schon die Fülle des ewigen Lebens in uns haben und aus ihr leben dürfen.
Seien Sie auch im Neuen Jahr gesegnet und behütet! Ihr P. Guido
Zwischen den Jahren
Zwischen den Jahren
scheint die Zeit seltsam still zu stehen.
Meine innere Uhr tickt langsamer
wie behutsam angehalten.
Zwischen den Jahren
schweigt die Natur beharrlich.
Mein Inneres sammelt Kraft
und vertraut auf die Wurzeln.
Zwischen den Jahren
sucht der Geist seinen Platz
zwischen dem Vergehenden und dem Kommenden.
Meine Seele spannt zögernd
feine Fäden von hier nach dort.
Zwischen den Jahren
steigen viele Bilder aus der Tiefe,
manche schön und voller Licht und Wärme,
manche schmerzhaft und voller Fragen.
Zwischen den Jahren
halten sich Abschied und Neubeginn
an der Hand.
Zwischen Loslassen und zögernden Schritten
spüre ich Dich, Gott.
Du bist in der Zeit -
und immer zwischen den Jahren.
Doris Nolden
Gemeindereferentin
Zwischen den Jahren 2021