Begreifen wir, was der Herr an uns getan hat?
Predigt Gründonnerstag 2021 – Das Zeichen der Fußwaschung
Symbole und Zeichenhandlungen, liebe Schwestern und Brüder, sind dann sinnvoll, wenn man sie ohne großen Kommentar und ohne Erläuterung auch verstehen kann. Die Fußwaschung, die als zentrales Element der Liturgie dieses Tages vorgesehen ist, ist ein Symbol. Sie umschreibt das Grundprinzip des Umgangs miteinander in der Gemeinschaft der Jünger und damit auch in der Kirche. So weit, so gut, könnten wir dazu sagen. Aber geht es tatsächlich nur um dieses Grundprinzip des Dienstes aneinander?
Es sieht so aus, als wollte Jesus der Gemeinschaft im Abendmahlsaal unmissverständlich klar machen, wie er das Miteinander in dieser Gemeinschaft geordnet haben möchte: Werde der Kleinste und der Diener aller! Werde ein Diener, so wie ich, der Herr, in eurer Mitte euch dient. Aber genügt es, diese Situation des Evangeliums in der Liturgie – im Gottesdienst der Abendmahlsfeier also – einfach nachzuspielen? So hat man es über die Zeitläufe immer gehalten: Bischöfe wuschen ihrem Domkapitel die Füße, Pfarrer dem Pfarrgemeinderat oder den Honoratioren in der Gemeinde, Klosterobere den Mitbrüdern oder in Frauenklöstern Oberinnen den Schwestern. Wenn Papst Franziskus, was er in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie leider nicht machen kann, mit Obdachlosen, oder Gefangenen, oder Drogensüchtigen die Messe vom letzten Abendmahl feiert und dabei diesen die Füße wäscht, dann fällt es uns leichter, dieses Zeichen als Impuls für die ganze Kirche zu verstehen.
Aber im Blick auf das Ganze haben sich im Laufe der Jahrhunderte die Machtverhältnisse in der Struktur Kirche keinen Millimeter verschoben. Dazu kommt, was uns in diesen Tagen unheimlich belastet, die ganze schreckliche Problematik sexualisierter und geistlicher Machtausübung, die nicht generell alle Amtsträger und Verantwortliche betrifft, aber sich auf alle in der Kirche auswirkt. Und die Welt geht weiter ihren Gang. Unsere Gesellschaft ist dabei, das Thema Jesus und Christentum und Kirche abzuhaken und sich dem zuzuwenden, was für sie zählt: Geld, Vergnügen, Erfolg, Nervenkitzel, Konsum…
Aber genug davon!
Der für mich entscheidende Satz in der Botschaft des Evangeliums von der Fußwaschung wird an den widerstrebenden Petrus gerichtet: „Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir“ (Joh 13,8b). Petrus muss etwas an oder besser in sich geschehen lassen. Er muss es mit innerer Zustimmung geschehen lassen. Es darf nicht nur äußerlich sein. Deshalb sagt Jesus ja auch: „Wer vom Bad kommt ist ganz rein und braucht sich nur noch die Füße zu waschen. Auch ihr seid rein, aber nicht alle“ (Joh 13,10). Jesus hat auch einem Judas die Füße gewaschen. Der empfing wie die anderen auch Brot und Wein beim Mahl. Aber ohne die tatsächliche Innere Öffnung auf den Herrn hin bleibt das alles nur Außen und verändert nichts: Judas bleibt Judas. Und Petrus? Er hat noch einen Weg des Verstehens und Begreifens vor sich. Genau wie wir auch. Das heißt deshalb auch für uns und eben für die ganze Kirche: Das zentrale Geschehen unseres Glaubens ist nicht irgendein anonymer Ritus oder eine formale Zeremonie, sondern etwas zutiefst Persönliches, von Jesus Geprägtes. Es ist an uns, die Zeichen Jesu – sei es das Mahl der Eucharistie oder auch das Zeichen der Fußwaschung – so zu gestalten und mitzufeiern, dass etwas von diesem Ureigenen Jesu, von seiner Liebe und Hingabe, seiner Sehnsucht und Opferbereitschaft, seiner Freundlichkeit und Versöhnungskraft in uns sein kann. Noch deutlicher ausgedrückt: Ich muss mich von ihm so anrühren lassen, dass ich selbst zum Christus werde, zum anderen Christus, dass ich in ihn verwandelt werde. Nur so ist beispielsweise ein Wort wie jenes – wir hörten es in der Einleitung zu unserem heutigen Evangelium – „Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung“ (Joh 13,1b), zu verstehen.
Es ist der letzte Abend in seinem Erdenleben. Jesus schaut weit über das Ende seiner irdischen Existenz hinaus in die Zukunft der Jünger-Gemeinschaft, der Kirche. Er will den Jüngern noch einmal so eindringlich wie möglich klar machen, worauf es ihm ankommt. Eindrucksvoller hätte Jesus seine Vorstellung, wie das Amt in der Kirche auszuüben und das Miteinander zu gestalten ist, nämlich ausschließlich als Dienst der Liebe, nicht darstellen können. Und wir? Schmerzlicher könnten wir den Kontrast zur Wirklichkeit der realen Kirche nicht erfahren. Jesus stellt die Verhältnisse vom Kopf auf die Füße. Ein Paulus verdeutlicht, was er verstanden und erlitten hat von der Jünger-Gemeinschaft im Brief an die Galater, indem er sagt: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus“ (Gal 3,28). Einer in Christus!
Autorität in der Kirche hat ihre Berechtigung nur als Dienst der Liebe. Der erste der Apostel, Petrus, wird es begreifen. Die Fußwaschung im Abendmahlssaal ist über die Zeit hinweg die anschaulichste und wirksamste Kritik an einem klerikalen Amtsverständnis, die man sich denken kann. Und das bedeutet: Allein der Blick auf Jesus wird uns helfen, die Kirche der Zukunft so zu gestalten, dass sie – wie Papst Franziskus sagt – ein Lazarett, eine Heilungsstätte für die kranke Welt sein kann.
Mit der Fußwaschung in der Geburtsstunde der Kirche am Gründonnerstag schreibt Jesus uns ins Stammbuch, dass all unser Tun kein Selbstzweck ist, dass Kirche nicht um ihrer selbst willen existiert, dass sie den Kräften der Selbsterhaltung die Ohnmacht des Dienens der Liebe entgegenstellen muss. So nötig wie das tägliche Brot brauchen wir die geistliche Speise der Eucharistie, die uns immer neu hineinnimmt in den Dienst, den Gott in der Liebe dieser Welt schenkt und schenken will. Nur so können wir wirklich einander dienen.
Begreifen wir, was der Herr an uns getan hat und immer wieder tut?
Es geht keineswegs um Prinzipien. Es geht um unsere Verwandlung und um die Vollendung und Heilung von uns und der ganzen Welt. Lassen wir uns von der Liebe Gottes im Innersten anrühren. Amen
Gesegnete Tage und bleibt behütet! P. Guido