Auch wir bedürfen der Ermutigung, der Stärkung
Predigt zum 19. Sonntag im Jahreskreis – C – Hebr 11,1-2.8-12 und Lk 12,32-48
„Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben.“ (Lk 12,32)
Was wir hier im ersten Vers des liturgisch ausgewählten Evangelientextes nach Lukas für diesen Sonntag lesen und hören, hat es in sich.
Lukas schreibt sein Evangelium, so ist es übereinstimmende Ansicht der Schriftkundigen, der Exegeten, fast sechzig Jahre nach Tod und Auferstehung Jesu. Es gab erste größere Verfolgungen für die jungen Gemeinden mitten in ihrem Selbstfindungsprozess, es gab Verwirrungen über den richtigen Weg der Glaubenden. Eine kleine Zahl waren sie, verfolgt, verunsichert, ängstlich und fast verloren... Da ist das Wort Jesu eine unglaubliche Zusage. Genau darum geht es. Die Christen brauchten und brauchen Ermutigung auf ihrem Weg. Lukas hat diesen Vers einer Sammlung von Jesusworten vorangestellt, die unter dem Gesichtspunkt der Stärkung und Ermutigung der Gemeinden vom Evangelisten aufgeschrieben wurden. „Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben.“ (Lk 12,32)
Ist es heute denn viel anders? Nun gut, in unseren Breiten gibt es keine Christenverfolgung, obwohl, was die wenigsten wirklich wissen, weltweit gerade die Christenheit die am meisten verfolgte Religionsgemeinschaft ist. In der westlichen Gesellschaft sind es andere Probleme, die den Glauben an den Gott Jesu Christi behindern: Da ist insbesondere die Angst, die Kirche und mit ihr der Glaube könnten dem Zeitgeist zum Opfer fallen; da ist die vielfältige Angst, dass Verfehlungen einzelner dem Image und dem Vertrauen in die Kirche und ihrer Verkündigung schaden. Da ist mit Blick auf die Statistiken die Befürchtung, dass wir immer weniger werden. Da ist die Wahrnehmung, dass es anscheinend immer weniger Berufungen zum geistlichen Leben und den Ämtern und Diensten in der Kirche gibt. Da ist die, mit dem Blick auf die gesellschaftliche Entwicklung begründete Ansicht von Mitchristen, dass sie sich in der Struktur und den Ämtern der Kirche nicht beachtet und also unterrepräsentiert fühlen. Da ist die Gefahr, dass es durch kurzsichtiges Denken zu falschem Streit und zu Polarisierung und damit zu Spaltung in der Kirche kommen kann. Wer die Geschichte der Kirche und des Glaubens kennt, der weiß: das alles und ähnliches gab es immer schon. Da ist aber – und dazu müssen wir uns nur ehrlich selbst anschauen – die tiefste Wurzel dieser Ängste, dass wir als Einzelne und als Kirche letztlich Gott nichts oder zumindest viel zu wenig zutrauen und deshalb Strukturen geschaffen haben und schaffen, die einerseits Macht darstellen und andererseits den Geist töten. Das alles lähmt und raubt die Freude am Glauben und auch am Leben in der Kirche. Im Endeffekt heißt das: Auch wir bedürfen der Ermutigung, der Stärkung.
„Fürchte dich nicht, du kleine Herde!“ (Lk 12,32a) Dieses Wort lässt mich gleich fragen: Was nimmt denn die Furcht? Was überwindet die Lähmung? Was lässt mutig und gelassen trotzdem die Freude des Glaubens leben? Es ist dieser kleine zweite Satz: „Denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben.“ (Lk 12,32b) – Was bedeutet dieser kleine Satz? Er ist nicht nur eine Zusage oder eine Ansage... so wird es geschehen, irgendwann einmal. Was hier gesagt wird, ist bereits konkretes Geschenk und Wirklichkeit in Jesu Leben, in seinem Tod und seiner Auferstehung. Gottes Botschaft für den Menschen, die Gemeinschaft und das Leben, die Gerechtigkeit, der Friede... und noch unendlich viel mehr. All das, wofür Jesus sich hingegeben hat, DIE BOTSCHAFT VOM REICH GOTTES, ist so in unsere Hände gelegt. Ich gebe es euch, so hat es Jesus gesagt, tragt es weiter, bezeugt es. Ihr macht es nicht. Aber ihr seid Träger, Boten, Vermittler, mehr noch Töchter und Söhne Gottes, also Erben dieses Reiches. Was Gottes ist, ist eures! Das alles ist deshalb erstaunlich, weil die Gemeinschaft der Jünger, die Freunde und Freundinnen Jesu ein bunt zusammengerufener Haufen war, Sünder und Eiferer, Abständige und Nächste... So ist es bis heute. Jesus, Lukas hält es der Gemeinde vor Augen, erinnert an das Entscheidende: Was uns und die Kirche stark macht, das ist nicht das Geschick einiger Superchristen, nicht die geniale Gelehrsamkeit der Theologen, nicht die Heiligkeit einiger, nicht allein die spezielle Organisation der Institution Kirche, nicht die großen Zeremonien und Auftritte, nicht die Events mit Tausenden Teilnehmern und Teilnehmerinnen! Entscheidend ist nur eines: Die Herrenworte, die Lukas im vorliegenden Textabschnitt des Evangeliums zusammengestellt hat, machen deutlich, dass es das VERTRAUEN AUF DIE ZUSAGE GOTTES ist, auf das es ankommt! Das ist der Kern, da finden wir den Schatz, den Gott uns anvertraut. Es kommt darauf an, dass jeder und jede einzelne in unseren Gemeinden und Gemeinschaften diesen Schatz zum Dreh- und Angelpunkt des Lebens macht, dass wir mit unseren Herzen und allen unseren Kräften auf das Geheimnis setzen: Gottes Liebe ist mitten unter uns und sie ist nahe und erfahrbar in unserem je eigenen Handeln und Leben, in unserem Tun und Hoffen. Die Liebe Gottes haben wir wachsam zu leben und zu stärken, ganz gleich wer oder was wir sind! Und das nicht nur für uns selbst und zur egozentrischen Selbstverwirklichung, sondern entsprechend dem Auftrag des Herrn für uns, für die nachfolgende Generation und für alle Menschen, heute und in Zukunft. Dieser universale Anspruch hat dazu geführt, dass die Kirche aus dem Auftrag Jesu entstehen konnte. Und genau dazu ist sie, ist diese Form der Gemeinschaft der Glaubenden, auch notwendig. Dazu braucht es Form und Struktur, Amt und Dienst, aber nicht oben und unten. Die Mahnung Jesu an den „treuen und klugen Verwalter“ (Lk 12,42-48) ist unüberhörbar. So heißt es schon in einer der frühen Schriften der Kirche, der sogenannten „Zwölf-Apostel-Lehre“ (sie entstand zu Beginn des 2. Jahrhunderts): „Wer zu euch kommt und euch alles lehrt, was gesagt worden ist, den nehmt auf. Lehrt er zur Mehrung der Gerechtigkeit und Erkenntnis des Herrn, so nehmt ihn auf wie den Herrn selbst.“ Die Freude an der wachsenden Erkenntnis des Herrn für alle besiegt allein die Angst. Diese Veränderung zur Freude beginnt im Herzen eines jeden von uns. Und sie gilt auch allen: Dem Papst und den Bischöfen genauso wie jedem von uns. Deshalb ist uns Gottes Wort geschenkt.
Deshalb begegnen wir Gottes Liebe im Sakrament von Brot und Wein. Deshalb erfahren wir Gottes Barmherzigkeit und Versöhnung im Sterben und Auferstehen des Menschensohnes.
Das ist die Ermutigung und Stärkung, derer wir bedürfen auf unserem gemeinsamen Weg des Glaubens: Die Mitte dieses Schatzes ist und bleibt das DU GOTTES, seine unbezwingbare und treue Liebe zu allen Menschen.
Seien Sie gesegnet und behütet im DU der Liebe Gottes! Ihr P. Guido