Am Ende sind da keine kreischenden Fans
Predigt zum 13. Sonntag im Jahreskreis – C – Gal 1,1.13-18 und Lk 9,51-62
An eine kleine Anekdote erinnere ich mich. Sie erzählt von einem Missionar, der nach einem langen und aufopferungsvollen Dienst für die Menschen an seinem Missionsort zurück in sein Heimatland kam. Im Terminal des Flughafens sah er sich von einer riesig großen jubelnden Menschenmenge umgeben. Die begrüßten allerdings nicht ihn, sondern einen Popstar, der eine Welttournee erfolgreich absolviert hatte. Zum Mitbruder, der ihn in Empfang genommen hatte, sagte der Missionar mit Blick auf die kreischenden Fans: „So werden wir nach all unserem Einsatz nicht empfangen.“ Der so Angesprochene antwortete: „Wir sind ja auch noch nicht am Ziel unseres Weges angekommen.“
Die Leidensankündigung Jesu im Evangelium des letzten Sonntags klingt noch nach und wird im Textabschnitt des heutigen Evangeliums aufgegriffen. Wörtlich heißt es im griechischen Text: Er richtete sein Gesicht fest auf Jerusalem (vgl. Lk 9,51). Dorthin ist allerdings noch eine Wegstrecke zurückzulegen. Unmittelbar vor unserer heutigen Schriftstelle findet sich die Erzählung von der Verklärung Jesu, vom erfolglosen Versuch der Jünger einen bösen Geist auszutreiben, eine zweite Leidensankündigung und zuletzt die Erzählung vom Streit der Jünger, wer von ihnen der Größte sei (vgl. Lk 9,25-50). Gegenwärtig bleibt bei all dem die Frage, die wir letzten Sonntag hörten: „Für wen haltet ihr mich?“ (Lk 9,20). Wir müssen, so leitet Lukas uns an, diese Frage aus dem Raum der Freundschaft mit Jesus und aus dem Raum des Gebetes beantworten. Sie ist bedeutsam und existentiell für unseren Glauben und für unser eigenes Leben. So wie Jesus weiß, dass sein Weg nach Jerusalem, der Weg hinein ins Leiden und Sterben und in die Auferstehung im Vertrauen auf den Willen des Vaters notwendig ist, so sind auch wir „hinter Jesus her“ – den Begriff der „Nachfolge“ müssen wir so verstehen – auf sein Wort und seine Hilfe für den Weg angewiesen. Hinter Jesus hergehen, ihm nachfolgen, meint dabei, dass wir Zeugen seines Weges werden müssen. Die Wegweisungen für diese Zeugenschaft finden wir im heutigen Textabschnitt des Evangeliums. Der Evangelist fügt, nach einer Zurechtweisung des Jakobus und Johannes, sie wollten Feuer vom Himmel auf ein samaritisches Dorf herabrufen, weil man ihnen dort keine Gastfreundschaft gewährt hatte, drei „Sprüche“ über das Unterwegssein mit Jesus an. Drei kurze Begegnungen werden mit einem Jesuswort abgerundet: „Der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann – Lass die Toten ihre Toten begraben – Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes.“ Die Worte schockieren. Sie sind ein bewusstes gebrauchtes Stilmittel des Evangelisten. Durch sie soll die notwendige Entschiedenheit in der Nachfolge Jesu unterstrichen werden, ohne zugleich Unmögliches oder gar Pietätloses zu verlangen. Es sind Weg-Worte, die grundsätzlich auf die täglich neu einzulösende Treue verweisen, sich mit Jesus auf den Weg zu machen und mit ihm unterwegs zu bleiben. Sie machen klar: Der Weg der Zeugenschaft für Jesus ist kein Spaziergang. Das sollen die Jünger und Jüngerinnen Jesu zu allen Zeiten erkennen. Anknüpfend an die Anekdote des Anfangs wird deutlich: Nicht die kreischenden Fans markieren das Ziel des Weges. Zuhause werden wir ankommen, wenn unser Weg in der Nachfolge Jesu vollendet ist.
Immer sind wir unterwegs: auf der Straße, auf der Schiene, zu Wasser oder in der Luft, analog und digital. Mobilität heißt das Stichwort heutiger Lebensgestaltung. Der stetige Wandel, die Veränderung, sie sind paradoxerweise das einzig Bleibende und Konstante im Leben. Unterwegssein ist, so scheint es, die Bestimmung. Es gibt kein Festhalten, keine endgültige Geborgenheit und Sicherheit in dieser Welt. Gerade die Geschichte der jüngsten Zeit lehrt uns das bis zur Schmerzgrenze. Was für uns als Einzelne gilt, gilt ebenso für die Gesellschaft und gilt auch für die Kirche. Es ist biblische Botschaft: Gottes Volk darf sich niemals auf den Lorbeeren des Erreichten und Liebgewordenen ausruhen. Erst der Weg durch die Wüste dieser Zeit führt hin zum Land der Verheißung. Das 2. Vatikanische Konzil sagt es deutlich: „Ecclesia semper reformandum – die Kirche muss sich immer reformieren!“ Das macht auch das erste Weg-Wort Jesu nach Lukas klar: nicht eingerichtet, sondern unbehaust sind wir unterwegs.
In der Schüleroper „Der Neinsager“ von Bertold Brecht sagt ein Junge: „Ich brauche einen neuen großen Brauch, den wir sofort einführen müssen, nämlich den Brauch, in jeder Lage neu nachzudenken.“ Dieses Neunachdenken ist fordernd und mühsam und stellt auch die Kirche und jeden Christen vor jeweils neue Aufgaben. Wer der Versuchung nachgibt, zu kneifen und auszuweichen, am vermeintlich Altbewährten festzuhalten, wird auf der Strecke bleiben. Das ist das Ende – der Tod des Weges. Das Bruchstückhafte und Fragmentarische unseres Wollens und Handelns darf uns nicht davon abhalten, immer wieder den nächsten Schritt zu gehen, gemäß einem Wort des Hl. Augustinus: „Wenn uns auch der letzte Tag nicht als Sieger findet, dann soll er uns wenigstens doch als Kämpfer sehen!“ Das spricht das zweite der Weg-Worte an, wenn Jesus sagt: „Lasst die Toten ihre Toten begraben…“ Niemand wird da aufgefordert, die pietätvolle Pflicht der Totenbestattung zu unterlassen. Jesu Wort bedeutet vielmehr: Diejenigen, die sich durch sein Wort nicht bewegen lassen, gleichen – im Bild gesprochen – den „Toten“, die unter sich bleiben. Wer sich nicht aufmacht, sich nicht „bewegt“ und mit Jesus weitergeht, ist „tot“ für die Sache des Gottesreiches.
Gott ruft uns stets neu: durch ein Wort, das uns trifft, durch Menschen, die uns begegnen; und nicht selten sind es Fehler und Irrwege, die uns voranbringen, wenn wir nur offenbleiben und auf Gottes Hilfe vertrauen. Der stetige Aufbruch als Prägezeichen für das pilgernde Gottesvolk macht uns klar, dass wir auf ein Land verwiesen sind, das noch nicht vermessen wurde, auf eine Straße, die noch nicht ausgeschildert ist. Man kann nur mit Jesus auf dem Weg nach Jerusalem hinauf erfahren, dass der Weg dennoch gangbar ist, dass er ein Ziel hat und das wahre Leben eröffnet und das schon jetzt und hier im Unterwegssein. Dabei ist er, Jesus Christus, Ziel, Richtung und Weggefährte zugleich. Darauf zeigt das dritte Weg-Wort Jesu hin: Glauben heißt, gemeinsam und zielbewusst mit ihm ein Leben lang unterwegs bleiben. Jeden und jede von uns ruft er auf je eigene Weise und fordert uns auf, das „Gesicht fest nach dem himmlischen Jerusalem“ auszurichten. Wir bezeugen seinen Weg und sein Weg wird zu unserem! Am Ende steht nicht nur das Kreuz auf der Schädelhöhe, sondern es strahlt das Licht des Ostermorgens; am Ende sind da keine kreischenden Fans, sondern die Gemeinschaft des Himmels und die Fülle des ewigen Lebens.
Seien Sie so gesegnet und behütet! Ihr P. Guido
Die Tagestexte zum 13. Sonntag im Jahreskreis